Die Bahn kommt, bevor die Kohle geht

Erster Spatenstich für die neuen Hallen des DB-Instandhaltungswerkes in Cottbus

Längs der Wilhelm-Külz-Straße am Hauptbahnhof Cottbus sind Bagger, Kiesberge und eine Baugrube zu sehen. Hier wird am Dienstagmorgen ein symbolischer erster Spatenstich gesetzt. Die Deutsche Bahn (DB) erweitert am Standort ihr Instandhaltungswerk um zwei neue Hallen. Hier sollen bereits in zwei Jahren statt den ursprünglich geplanten vier, wenn die erste der beiden Hallen fertig ist, ICE-Züge gewartet werden. »Das ist außerplanmäßig schnell«, rühmt am Dienstag Daniela Gerd tom Markotten, die im DB-Vorstand für Digitalisierung und Technik zuständig ist.

Die Bahn drückt aufs Tempo. Die Kapazitäten werden dringend gebraucht. Noch sind lediglich knapp 100 Fernzüge des Typs ICE 4 auf den Strecken unterwegs. Bis 2024 aber sollen es 137 sein und Ende des Jahrzehnts dann schon 450.

Das Cottbuser Bahnwerk
  • 1874 wird in Cottbus eine Werkstatt für Lokomotiven und Wagen der preußischen Eisenbahn aufgebaut. Das 5 Hektar große Areal wurde ein Jahr zuvor für 16 212 Taler gekauft. Schon 1874 kommen noch einmal 2,5 Hektar dazu.
  • Los geht es mit 70 Mitarbeitern. 1919 sind es dann fast 2000 Beschäftigte, nach zahlreichen Entlassungen 1923 nur noch 1400.
  • 1930 droht dem Reichsbahnausbesserungswerk die Schließung wegen Unwirtschaftlichkeit, es kommt jedoch nur zu weiteren Entlassungen.
  • Bei einem Bombenangriff auf Cottbus am 15. Februar 1945 wird das Werk weitgehend zerstört, aber wieder aufgebaut.
  • Nach der Wende gibt es mehrere Phasen mit schlechter Auftragslage, Kurzarbeit und Personalreduzierungen. Es droht sogar das Aus.
  • Aktuell zählt das DB-Instandhaltungswerk Cottbus 530 Beschäftigte, deutlich weniger als zu DDR-Zeiten.
  • Die jetzt im Bau befindliche neue Werkshalle mit zwei Gleisen soll 445 Meter lang, 33 Meter breit und 11,50 Meter hoch werden. 48 000 Kubikmeter Erdreich werden ausgehoben, 11 800 Kubikmeter Beton und mehr als 2000 Tonnen Stahl verbaut sowie 82,8 Kilometer Kabel verlegt. af

    Um diese Menge zu bewältigen, soll die Revision eines ICE-Zuges in den neuen Cottbuser Hallen nur zwei Wochen dauern. Bisher dauert es fünf Wochen, die Türen, Kupplungen, Drehgestelle, Radsätze, Bremsen und andere Teile zu warten und gegebenenfalls auszutauschen. »Züge sollen rollen und nicht stehen«, erklärt Gerd tom Markotten die Eile. Die Beschleunigung soll durch modernste Hallen gelingen, die der DB dann in Cottbus zur Verfügung stehen werden. Die erhöhten Gleise ermöglichen es den Arbeitern, bequemer als bislang an die Radsätze heranzukommen. Außerdem werden in die Böden der Hallen eigens entwickelte Drehgestellwechsler eingesetzt. So können die Arbeiter die Drehgestelle seitlich herausfahren. Schweres Heben entfällt.

    Die erste Halle mit zwei Gleisen wird 435 Meter lang, die zweite Halle mit vier Gleisen 500 Meter. Der Clou dabei: auch die 374 Meter langen XXL-ICE mit 13 Wagen und 918 Sitzplätzen können in ganzer Länge einfahren, von den kürzeren ICE mit sieben Wagen passen zwei hintereinander auf ein Gleis. Auch das beschleunigt nach DB-Angaben die Wartungszeit.

    Eine Milliarde Euro werden investiert. Möglich wird das durch die Mittel des Bundes und der Länder für den Strukturwandel in den Braunkohlerevieren. Die Lausitz müsse in Zukunft ohne die Braunkohle auskommen, aber auch dank des Bahnwerks mit 1200 zusätzlichen Beschäftigten behalte sie »ihre Identität als Industrieregion«, versichert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Er hofft, dass das Bauprojekt im Zeit- und Kostenrahmen bleibt – trotz des Krieges in der Ukraine mit seinen Folgen für Material und Preise. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist zum ersten Spatenstich gekommen. »Ich bin ja schon dreimal hier gewesen. Beim fünften Mal möchte ich einen Mitarbeiterausweis und eine Einladung in die Kantine«, scherzt er. Dass dieses Projekt »ein Aufbruchssignal für ganz Ostdeutschland« sein könnte, meint er ernst. »Der Bau des neuen Bahnwerks in Cottbus zeigt, wie der Strukturwandel gelingen kann.« Der Kanzler erwähnt auch die Eröffnung der Tesla-Fabrik für Elektroautos in Grünheide bei Berlin, bei der er am 22. März ebenfalls zugegen war.

    Nach Ansicht von Bahnchef Richard Lutz schlägt das »Herz der Elektromobilität« jedoch nicht in Grünheide, sondern hier in Cottbus. Für Lutz ist der Spatenstich »ein Symbol des Wandels« und ein »starkes Symbol für eine starke Schiene«. Er sagt: »Das Wachstum bei dem grünsten aller Verkehrsmittel ist ungebrochen.« Ostern seien in den Fernzügen erstmals mehr Fahrgäste befördert worden als vor der Corona-Pandemie. 260 Millionen Reisende im Jahr peilt die Deutsche Bahn im Fernverkehr an. »Wir brauchen dieses neue Werk, damit unsere ICE-Flotte weiter wachsen kann und damit mehr Menschen Bahn fahren«, erklärt Lutz. »Nur so sind unsere Klimaziele erreichbar.«

    Das Baufeld draußen vor dem Festzelt, in dem die Reden gehalten werden, ist mit 500 roten Luftballons gekennzeichnet. Jeder Ballon steht für einen Job, den es in der ersten neuen Halle geben wird. Mit der zweiten Halle kommen 700 weitere Arbeitsplätze hinzu – darunter auch Ausbildungsplätze, wie Bahnchef Lutz betont. Die Jugend der Lausitz werde eine Perspektive in der Heimat haben, verspricht er damit.

    »Die Braunkohle geht, die Bahn kommt.« Diesen Satz führen am Dienstag viele im Munde. Spätestens 2038 sollen alle Kohlekraftwerke in der Lausitz abgeschaltet sein, vielleicht auch schon 2030. Die Bahn ist, wie es aussieht, schneller am Ziel.

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