Volksküche auf dem Spielplatz

Die Linke sorgt in Bernau-Süd für Kartoffelsuppe und Gesprächsstoff

Felix Köhler gibt die Kartoffelsuppe aus.
Felix Köhler gibt die Kartoffelsuppe aus.

Es riecht schon nach Gas, aber der Ofen zündet nicht sofort. Plötzlich schießt eine Stichflamme heraus und versengt Felix Köhler die Hand. Der 29-Jährige springt erschrocken von der Feldküche weg. Er muss erst einmal durchatmen. Aber Janine Gebauer versucht es wieder und wieder. Schließlich setzte die 32-Jährige den Gasherd der Gulaschkanone in Gang. Die vorgekochte Kartoffelsuppe kann eingefüllt, warm gehalten und ausgeteilt werden. Es kommen am Samstagmittag zwar etwas weniger Leute als erwartet zur ersten Volksküche der Bernauer Linkspartei im Wohngebiet Süd. Aber die 60 Portionen Kartoffelsuppe werden trotzdem alle. Für einen Nachschlag muss Felix Köhler schon die Reste auskratzen.

»Vielleicht doch ganz gut, dass ich die Glocke vergessen habe«, denkt der junge Stadtverordnete Matthias Holz, der einem alten Mann eine Schale Suppe auf den Balkon im Erdgeschoss hinaufreicht. Holz wollte mit der Glocke eigentlich durchs Viertel ziehen und die Bewohner mit dem Ruf »Essen ist fertig« zur Feldküche auf den Spielplatz an der Sonnenallee locken. Er hatte die Idee zu dieser Volksküche, wie es sie auch in alternativen Wohnprojekten oder bei linken Protestcamps gibt. Gemeinsam mit Felix Köhler und Janine Gebauer und mit Linksfraktionschef Dominik Rabe hat Matthias Holz nicht erst ewig diskutiert, wie und wo sich die Idee am besten umsetzen ließe und ob am vereinbarten Tag auch gutes Wetter sein werde. Sie haben es einfach versucht – und nun scheint die Sonne und alle sind zufrieden.

Der Stadtteil Bernau-Süd besteht aus DDR-Neubaublöcken, zu denen nach der Wende noch einige weitere Häuser hinzugefügt worden sind. Die Fassaden mehrerer Blöcke sind nachträglich wärmegedämmt, andere sehen von außen noch so aus, wie sie Ende der 1980er Jahre gebaut worden sind. Einige tausend Menschen leben hier. Mit dem Begriff »sozialer Brennpunkt« ist die Linke vorsichtig. Sie will niemandem zu nahe treten. Aber das finden die Essensgäste falsch. Natürlich sei das hier ein sozialer Brennpunkt, bestätigt ein Mann.

Viele Bewohner müssen zusehen, wie sie mit ihren Löhnen oder Renten klarkommen. Auch der kommunalen Wohnungsgesellschaft, der fast das gesamte Quartier gehört, sei das bewusst, heißt es. Einerseits wäre die Nachrüstung von Aufzügen den Senioren willkommen. Doch andererseits wolle es gut überlegt sein, ob diese sich die daraus folgende Mieterhöhung dann überhaupt leisten könnten. Eine Mutter, deren Kind im Sandkasten buddelt, möchte erst von der Kartoffelsuppe nehmen, wenn die Nachbarn satt sind, die es nötiger haben als sie selbst.

Während im Bernauer Bürgermeisterwahlkampf die Freien Wähler die »bürgerliche Mitte« zu mobilisieren versuchen, vergisst die Linke nicht jene Einwohner der Stadt, die jetzt besonders unter steigenden Lebensmittelpreisen leiden. »Wir sind hier die einzige Partei, die an die armen Menschen denkt«, sagt Linksfraktionschef Dominik Rabe. 500 Euro kostet die Volksküche, allein 250 Euro sind für die Miete und den An- und Abransport der Gulaschkanone erforderlich. Bezahlt haben das der Stadtverband der Sozialisten und Bürgermeister André Stahl (Linke).

Stahl ist mit seiner 16-jährigen Tochter zur Volksküche gekommen – und mit der schwarzen Brille und der roten Krawatte, an der ihn die Bürger inzwischen erkennen. Nur die Brille und die Krawatte sind auf seinem Wahlkampflogo abgebildet. Bei einem frühen Entwurf waren auch noch Haare zu sehen. Doch die haben sich für den Wiedererkennungswert als überflüssig erwiesen. Der Bürgermeister ist begeistert von diesem pfiffigen Logo, hinter dem man eine große Werbeagentur vermutet. Tatsächlich hat es der Bernauer Genosse Ivan Schleß entwickelt. Als sich Stahl 2014 für seine Plakate zur damaligen Bürgermeisterwahl fotografieren ließ, riet ihm der Fotograf, Brillenmodell und Krawattenfarbe nun nicht mehr zu ändern wegen des Wiedererkennungswerts. Bei den Krawatten ist ihm das nicht schwer gefallen. Er bevorzuge schon immer rote – aus modischen und politischen Gründen, sagt Stahl. Schmunzelnd fügt er hinzu: »Ich habe die wahrscheinlich weltgrößte Sammlung roter Krawatten.«

Die Volksküche soll es künftig alle drei Monate geben, immer in einem anderen Ortsteil. Vielleicht ersetzt die Volksküche die bisherigen Sprechstunden unter freiem Himmel, überlegt Linksfraktionschef Rabe. Diese Sprechstunden führte Dagmar Enkelmann ein. Zu dieser bekannten Politikerin kamen die Menschen. Aber heute reichen Sprechstunden nicht mehr aus, um die Leute anzulocken und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, beobachtet Rabe.

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