Anspruch durch Bundessozialgericht erleichtert

Nach dem Beschäftigungsende wird der Bezug von Krankengeld einfacher

  • Frank Leth
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat den Anspruch auf Krankengeld erleichtert. Wie die Richter am 7. April 2022 in zwei Grundsatzurteilen klarstellten, steht erkrankten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nach dem Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses weiter Krankengeld zu, wenn die Arbeitsunfähigkeit nahtlos und damit ohne Lücken vom Arzt bescheinigt wird. Selbst wenn eine neue Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit verlängert, gehe der Anspruch auf die Krankenkassenleistung nicht verloren.

Hintergrund zahlreicher Rechtsstreitigkeiten in den letzten Jahren waren früher erheblich unterschiedliche Regelungen bei Krankengeld und Lohnfortzahlung sowie Nachbesserungen des Gesetzgebers. Wurde etwa nach alter Gesetzeslage ein Arbeitnehmer vom Arzt bis zu einem Freitag krankgeschrieben, reichte es für die Lohnfortzahlung vom Arbeitgeber aus, dass am folgenden Werktag, hier also ein Montag, eine ärztliche Folgebescheinigung ausgestellt wurde.

Erhielt dagegen ein Beschäftigter nach dem Ende der sechswöchigen Lohnfortzahlung von der Krankenkasse nun stattdessen Krankengeld, musste nach früherer Rechtslage die Folgebescheinigung bereits am Freitag vom Arzt eingeholt werden. Rückwirkend durfte diese Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit nicht ausgestellt werden.

Für weiterbeschäftigte Versicherte ruhte bei einer verspätet ausgestellten Bescheinigung dann das Krankengeld über das Wochenende. Mit der am Montag ausgestellten neuen Bescheinigung lebte dieser Anspruch wieder auf. Folge war dann eine um das Wochenende gekürzte Krankengeldzahlung. Für erkrankte Versicherte, deren Arbeitsverhältnis wegen einer Befristung endete oder die wegen langanhaltender Erkrankung zwischenzeitlich gekündigt wurden, hatte die Lücke zwischen den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jedoch gravierende Folgen. Sie verloren wegen der zu spät eingeholten Folgebescheinigung ihren Krankengeldanspruch vollständig.

Nach dem Gesetz haben sie trotz späterer Arbeitslosigkeit bis zu 78 Wochen Anspruch auf Krankengeld. Das Bundessozialgericht hatte diese Praxis der Krankenkassen entsprechend den damaligen gesetzlichen Bestimmungen mit Urteil vom 16. Dezember 2014 bestätigt.

Der Gesetzgeber reagierte 2015 mit mehreren Änderungen. So wurde neu geregelt, dass es ausreicht, wenn nach Ablauf der ersten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Folgebescheinigung beim Arzt am nächsten Werktag eingeholt wird. Das Wochenende zählte hierbei nicht mit. Bei einer nahtlosen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit blieb so auch bei gekündigten Versicherten der Krankengeldanspruch erhalten.

Die Bescheinigung musste aber innerhalb von sieben Tagen bei der Krankenkasse eingegangen sein. Nun traten jedoch neue Rechtsstreitigkeiten auf, etwa wenn die Bescheinigung wegen langer Postlaufzeiten erst nach der Wochenfrist bei der Krankenkasse eingegangen war. Das BSG hatte hierzu am 25. Oktober 2018 geurteilt, dass Versicherte für den rechtzeitigen Zugang bei der Krankenkasse auch selbst verantwortlich sind.

Im Mai 2019 besserte der Gesetzgeber die Regelungen erneut nach. Für einen vollen Krankengeldanspruch muss weiterhin nahtlos die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden. Eine Bescheinigungslücke über das Wochenende ist aber unschädlich. Für inzwischen arbeitslose Versicherte bleibt der Krankengeldanspruch sogar dann bestehen, wenn eine Arbeitsunfähigkeit wegen »derselben Krankheit« innerhalb eines Monats bescheinigt wird.

In den nun vom BSG entschiedenen Fällen waren die BMW-Betriebskrankenkasse und die AOK Bayern der Auffassung, dass die gesetzlichen Erleichterungen für den Anspruch auf Krankengeld nur gelten, wenn eine Folgebescheinigung auf »dieselbe Krankheit« zurückgeht. Verlängere sich die Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen, neu aufgetretenen Erkrankung, müssten Versicherte die Folgebescheinigung beim Arzt einholen, bevor die zuvor ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgelaufen ist.

Dem widersprach nun jedoch das BSG: Es reiche aus, dass die Arbeitsunfähigkeit nahtlos bescheinigt werde, und zwar unabhängig davon, ob zwischenzeitlich eine neue Krankheit aufgetreten ist. Die gesetzliche Formulierung »dieselbe Krankheit« beziehe sich auf solche Fälle nicht. Zudem habe der Gesetzgeber mit den neuen Regelungen das eindeutige Ziel verfolgt, Versicherte vor Krankengeldausfällen zu schützen.

Weiter stellte das BSG klar, dass alle einen Krankengeldanspruch begründenden Sachverhalte und Bescheinigungen tageweise gelten. Bei einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis einschließlich Mittwoch und einer Klinikaufnahme um zehn Uhr am Donnerstag können die Krankenkassen daher keine »Lücke« für die Zeit am Donnerstag von null bis zehn Uhr konstruieren.

Mit einem dritten Urteil bekräftigte das BSG, dass es auch Ausnahmen von nahtlosen Bescheinigungen geben kann. Das sei der Fall, wenn der Versicherte alles Zumutbare getan hat, um eine Lücke zu vermeiden. Im konkreten Fall hatte die Hausarztpraxis wegen eines Trauerfalls kurzfristig geschlossen. epd/nd

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