Verkehrswende in der Warteschleife

Es geschieht in Brandenburg viel zu wenig, um den Trend zu immer mehr Fahrten mit dem privaten Pkw umzukehren

Bis zum Jahr 2030 sollen 60 Prozent der Wege in Brandenburg mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit Bus und Bahn zurückgelegt werden. Dieses ehrgeizige Ziel hat sich die Koalition aus SPD, CDU und Grünen gesetzt. Die drei Parteien wollen damit um zehn Prozentpunkte über die Marke hinausgehen, die in der 2017 unter der rot-roten Vorgängerregierung beschlossenen und nach wie vor gültigen Mobilitätsstrategie des Landes Brandenburg verankert ist. Damals sind die Brandenburger 20 Prozent ihrer Wege zu Fuß gelaufen, für jeweils 11 Prozent der Wege sind sie aufs Fahrrad beziehungsweise in den Bus oder die Bahn gestiegen. Zusammengerechnet waren das 42 Prozent. Seither hat sich die Lage nicht verbessert. Aber was unternimmt die Koalition, um ihr 60-Prozent-Ziel zu erreichen?

Momentan viel zu wenig, heißt es aus Kreisen der Verbände, die einst insgesamt 27 329 Unterschriften für die Volksinitiative »Verkehrswende Brandenburg jetzt!« gesammelt hatten. 24 991 Unterschriften wurden im Februar 2021 vom Landeswahlleiter als gültig anerkannt und damit knapp 5000 mehr als für einen Erfolg erforderlich.

In die Kategorie »Versprochen und gehalten« fällt die Lastenradprämie. Insgesamt rund 600 000 Euro Zuschuss für die Anschaffung solcher Räder spendierte das Infrastrukturministerium im vergangenen Jahr. Damit werden pro Jahr über eine Millionen Kraftfahrzeugkilometer eingespart, rechnete das Ministerium vor. »Das Fahrrad ist längst über seine Nutzung als Fortbewegungsmittel für die Freizeit hinausgewachsen und mittlerweile fester Bestandteil unserer Alltagsmobilität«, würdigte Minister Guido Beermann (CDU) Ende Dezember in einem Jahresrückblick. Er kündigte bei dieser Gelegenheit an, das erfolgreiche Programm 2022 fortzusetzen.

Die Lastenradprämie, auf die besonders die Grünen ungemein stolz sind, kommt bei den Umweltverbänden gut an. Darüber hinaus fällt ihnen aber nicht viel ein, was die Regierung sonst für eine klimafreundliche Mobilität geleistet hätte. Im Gegenteil, gleich drei Regionalbahnlinien droht jetzt zum Jahresende das Aus: der RB73 von Neustadt (Dosse) nach Pritzwalk, der RB74 von Pritzwalk nach Meyenburg und der RB63 von Templin nach Joachimsthal.

Bei der RB63 ist das Signal besonders verheerend. Schließlich war diese Strecke nach zwölf Jahren Pause im Dezember 2018 reaktiviert worden. Es war in Brandenburg die erste Reaktivierung einer Bahnstrecke seit 1990. Sie erreichte aber nicht die Vorgabe von durchschnittlich 300 Fahrgästen täglich. Wenn dieser Maßstab streng angelegt wird, dann allerdings droht in den kommenden Jahren weiteren Bahnverbindungen in ländlichen Regionen das Aus. Denn mit dem prognostizierten Bevölkerungsschwund werden dort auch nicht mehr 300 Fahrgäste täglich zusammenkommen. Für die angestrebte Verkehrswende ist das schlecht. Zum Ersatz fahrende Busse können den Verlust erfahrungsgemäß nicht voll ausgleichen. Sie befördern Fahrgäste in der Regel weniger schnell und komfortabel ans Ziel als Züge.

Was die rot-schwarz-grüne Koalition für die Verkehrswende leiste, sei in großen Teilen reine Ankündigungspolitik, heißt es bedauernd aus Kreisen der Umweltverbände. Dabei wären energische Maßnahmen dringend erforderlich. Denn die Entwicklung lief zuletzt in die falsche Richtung. Von 2008 bis 2017 erhöhte sich die Zahl der mit dem privaten Auto selbst zurückgelegten Wege von 37 auf 46 Prozent. Die Zahl der Beifahrer in den Autos blieb fast unverändert bei 13 bis 14 Prozent.

Man müsste meinen, seit die Grünen in Brandenburg mitregieren, bewegt sich in der Verkehrspolitik alles in die richtige Richtung. Verantwortlich dafür wäre allerdings mit Infrastrukturminister Beermann ein CDU-Politiker. Das muss nicht unbedingt etwas heißen. Der Mann ist nicht nur persönlich durchaus sympathisch, er kommt sogar mit der Bahn zu Terminen, zu denen sich viele andere Minister mit dem Dienstwagen chauffieren lassen würden. Praktisch fließt aber viel zu wenig Geld beispielsweise in den Ausbau von Radwegen. 30 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr in den Radverkehr im Bundesland investiert worden – so viel wie nie zuvor. Jetzt sollen es sogar 38 Millionen Euro werden. Experten haben jedoch errechnet, dass jährlich 110 Millionen Euro für den Radverkehr in die Hand genommen werden müssten (sowie 120 Millionen Euro für den öffentlichen Personennahverkehr und 20 Millionen für Fußwege), damit 2030 zwar nicht 60 Prozent der Wege umweltfreundlich zurückgelegt werden, aber doch 54 Prozent. Regional ist mal mehr, mal weniger möglich. 67 Prozent wären in der Landeshauptstadt Potsdam machbar, in anderen Städten 55 bis 60 Prozent, in ländlichen Regionen stattdessen nur 40 Prozent.

Die Volksinitiative »Verkehrswende Brandenburg jetzt!« hat der Landtag formal abgelehnt, aber einen Dialogprozess zu den Zielen der Initiative angeboten, der noch läuft. Für die Beantragung eines Volksbegehrens als nächste Stufe der direkten Demokratie ist die Frist inzwischen verstrichen.

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