London will Assange ausliefern

Britische Innenministerin beugt sich Gesuch der US-Regierung. Der Wikileaks-Gründer kündigt Berufung an

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Freitagmorgen gab das britische Innenministerium bekannt, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA ausgeliefert werden soll. Dem 50-Jährigen drohen im Fall einer Verurteilung 175 Jahre Haft. Im April war der Fall an die britische Regierung gegangen, nachdem ein Londoner Gericht die Überstellung für rechtens erklärt hatte. Theoretisch hätte sich Innenministerin Priti Patel entscheiden können, die Auslieferung zu stoppen – aber das war von vornherein unwahrscheinlich, ist Patel doch eine Hardlinerin mit ausgeprägter autoritärer Ader.

Ihren Auslieferungsbeschluss begründete sie mit Verweis auf die früheren Gerichtsentscheide: »Die britischen Gerichte sind nicht der Meinung, dass es gewaltsam, ungerecht oder ein Prozessmissbrauch wäre, Herrn Assange auszuliefern«, ließ das Innenministerium am Freitag verlauten. Auch vertrage sich eine Auslieferung mit Assanges Menschenrechten, darunter dem Recht auf einen fairen Prozess. Entsprechend gebe es keinen Grund, sich der Weisung des Gerichts entgegenzustellen.

Menschenrechtsgruppen haben den Entscheid unverzüglich verurteilt. »Die Auslieferung von Julian Assange an die USA zuzulassen, setzt ihn einer großen Gefahr aus und kann als abschreckendes Signal für Journalist*innen in aller Welt gesehen werden«, schreibt Amnesty International. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen hatte bereits im April die Freilassung Assanges gefordert.

Aber Assange hat noch immer Möglichkeiten, seine Auslieferung anzufechten. »Heute endet der Kampf nicht«, sagte seine Frau Stella am Freitag. »Es ist nur der Beginn einer neuen juristischen Schlacht.« Zunächst wird Assange innerhalb von 14 Tagen Berufung gegen Patels Entscheid einlegen. Er könnte seine Auslieferung auf einer anderen rechtlichen Grundlage anfechten und etwa argumentieren, dass das Gesuch Washingtons politisch motiviert sei – dazu haben die Gerichte noch kein Urteil gefällt.

Assange sitzt seit April 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Zuvor lebte er sieben Jahre in der Botschaft Ecuadors in London, wo ihm politisches Asyl gewährt wurde. Assange war ins Visier der US-Behörden geraten, nachdem seine Plattform Wikileaks geheime Dokumente veröffentlicht hatte, die unter anderem mutmaßliche Kriegsverbrechen des US-Militärs belegen. In den USA ist er der Spionage angeklagt.

Der Entscheid der britischen Regierung, dem Auslieferungsgesuch Washingtons stattzugeben, hat auch geopolitische Gründe. Boris Johnson ist bemüht, Großbritannien nach dem Brexit wieder stärker an die USA zu binden. Mit dem trilateralen Sicherheitspakt zwischen Australien, den USA und Großbritannien (Aukus) hat Johnson einen ersten Erfolg verzeichnet. Aber seither sind Stolpersteine aufgetaucht. Vor allem das Nordirland-Protokoll: Der Vorstoß Londons, den Brexit-Vertrag einseitig aufzuheben, ist beim atlantischen Partner auf scharfe Kritik gestoßen. Dennoch hat die britische Regierung noch keine Versuche der Deeskalation eingeleitet – aber umso weniger ist ihr daran gelegen, einen weiteren Streit mit Washington zu riskieren, indem sie sich dem Auslieferungsgesuch für Assange widersetzt.

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