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Boris Johnson sitzt Kritik weiter aus

Trotz geschwundenen Rückhalts bei den Wählern setzt der britische Premier auf Kontinuität

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war eine weitere schallende Ohrfeige für Großbritanniens Premierminister Boris Johnson. Bei den Nachwahlen zum Unterhaus in den zwei englischen Wahlkreisen Wakefield und Tiverton am vergangenen Donnerstag haben seine Tories spektakulär verloren – den ersten an Labour, den zweiten an die Liberaldemokraten. Der neue Schlag ins Kontor erfolgte nur wenige Wochen, nachdem Johnson die Vertrauensfrage in der Fraktion seiner Konservativen Partei nur mit Mühe überstanden hat. Erneut ist er darauf zurückzuführen, dass sich bisher konservative Wähler abwenden. Die Misserfolge und Charakterschwächen des Premiers haben auch in traditionellen Tory-Hochburgen viele Enttäuschte dazu gebracht, zum chancenreichsten Kontrahenten überzulaufen. Der frühere Tory-Chef Michael Howard forderte angesichts der Wahlpleiten, dass Johnson den Hut nehmen solle.

Gefährlich könnte für den Premier der als Reaktion auf die Wahlpleiten erfolgte Abgang seines Generalsekretärs Oliver Dowden werden. In seinem Abschiedsbrief schrieb der spitz, einer müsse für die Niederlagen ja die Verantwortung übernehmen. Das ist eine kaum verhüllte Kritik am Parteichef, der sich jedoch ungerührt fürs Weitermachen entschieden hat. Nach dem kümmerlichen Fraktionssieg darf er nach den Regeln der konservativen Parlamentariervereinigung »1922 Committee« ein weiteres Jahr unangefochten im Amt bleiben. Doch Regeln können auch geändert werden. In diesem Sinne wollen innerparteiliche Gegner wie Andrew Bridgen und Steve Bakere um Sitze in dem Gremium kämpfen. Johnson selbst hatte seine Vorgängerin Theresa May mit der Androhung einer Regeländerung aus dem Amt gedrängt.

Johnsons innerparteilichen Kritikern geht es nicht um hehre politische Grundsätze oder ideologischen Richtungsstreit. Sie treibt die nackte Angst an, die spätestens 2024 anstehende nächste Parlamentswahl und damit ihre lukrativen Jobs zu verlieren. In Johnsons Motto »Schafft endlich den Brexit« sahen sie 2019 eine tüchtige Wahllokomotive, doch mittlerweile sehen sie ihn nicht mehr als ihren Retter, sondern als denjenigen, der seine Parteikollegen an die Wand fährt.

Boris Johnson wehrt sich mit Händen und Füßen gegen sein drohendes Schicksal, klebt an seinem Sitz und spricht gar von einer zweiten und dritten Amtszeit. Zwar hat ihm das Regieren nie richtig gelegen, das Dasein als Premierminister hingegen schon. Wie Johnson am Samstag in einem BBC-Interview die Welt wissen ließ, sieht er keinen Grund dafür, sich grundlegend zu ändern. Die Wahlergebnisse seien nicht berauschend, aber er sei bereit, zuzuhören und dazuzulernen. Da sind Zweifel angebracht: Johnson ist bisher nicht nur als gewohnheitsmäßiger Lügner, sondern vor allem als ein rasender Egoist auffällig geworden.

Profiliert hat sich der Premier vor allem auf Nebenkriegsschauplätzen. Nach dem Brexit darf die Krone wieder auf britischen Biergläsern erscheinen, Yards und Meilen ersetzen metrische Maße. Für die echten Probleme – zuletzt Preissteigerungen von fast zehn Prozent, rapide sinkende Exporte zu den früheren EU-Partnern und nicht zuletzt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine – hat Johnson keine konstruktiven Lösungen anzubieten. Im Ausland gilt er als nicht vertrauenswürdiger politischer Clown. Wo sich der Premierminister an Entscheidungen heranwagt, bedient er den äußersten rechten Flügel seiner Partei. Das erklärt seine Wendung gegen das von ihm selbst unterschriebene Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens, obwohl dies zu Handelssanktionen der EU führen könnte und einen Verstoß gegen internationales Recht darstellt.

Die Gefahr, als Rechtsbrecher entlarvt zu werden, droht Johnsons Regierung auch in der Flüchtlingsfrage. Seine so rabiate wie erfolglose Innenministerin Priti Patel – selbst Tochter indischstämmiger Migranten aus Ostafrika – hat ein fragwürdiges Abkommen mit Ruanda geschlossen, nach dem »illegale« Einwanderer kein Asylrecht in England bekommen, sondern nach Kigali abgeschoben werden sollen. Wie Johnsons Partygate-Affäre ein Fall für die Justiz.

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