»Lackmustest für ganz Deutschland«

Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD) spricht über die Auswirkungen der Energiekrise in Schwedt

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Vorsitzende der Bürgerinitiative Zukunftsbündnis Schwedt, Constanze Fischer, hat neulich gefordert: »Wir erwarten von der Task Force, dass sie dafür sorgt, dass kurzfristig verbindliche Zusagen für die Raffinerie gemacht werden.« Was halten Sie persönlich von dieser Aussage? Haben Sie Verständnis oder empfinden Sie dieses als utopisch?

Für utopisch halte ich diese Forderungen nicht, denn es ist ja genau die Aufgabe der Task Force, diese Fragen zu klären. Eine Zusage von der Task Force erwarten wir alle. Man muss realistisch bleiben, sicherlich, aber die Task Force ist genau dafür da, konkrete Fragen zu beantworten. Insofern stellt Frau Fischer diese Forderungen zu Recht.

Interview

Annekathrin Hoppe, Jahrgang 1962, ist seit 2021 Bürgermeisterin von Schwedt. 2022 trat sie der SPD bei. Frau Hoppe gilt als engagierte Verfechterin der Belange ihrer Stadt und wurde seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine bundesweit bekannt. Mit ihr sprach Ramon Schack.

Verspüren Sie persönlich, als Bürgermeisterin und Bürgerin von Schwedt, so etwas wie Frust angesichts der Tatsache, dass Sie weder viel entscheiden noch politisch gestalten können bezüglich der Task Force?

Sicher, ich kann nicht mitreden, aber ich kann natürlich auch fordern, nämlich das Gleiche wie Frau Fischer und die Bürgerinitiative. Ich fordere schon, dass auch verbindliche Zusagen bezüglich der Sicherheit der Arbeitsplätze gemacht werden. Das ist der Dreh- und Angelpunkt, weshalb wir alle in Schwedt so offensiv in die Öffentlichkeit gehen mit unserem Forderungskatalog. Die Task Force geht von den aktuellen Gegebenheiten aus. Schwedt braucht darüber hinaus aber eine Zukunftsperspektive.

Könnten Sie diese Aussage bitte konkretisieren?

Bis zum Jahresende kann in der Raffinerie niemand die bauliche Ertüchtigung vornehmen, um von woanders Öl zu erhalten, wie beispielsweise aus Danzig. Wenn man aber Öl von woanders herbekommen will, um die Raffinerie am Leben zu erhalten, dann muss doch zuerst die Gesellschafterfrage gelöst werden. Es ist bekannt, dass die Polen nicht an ein russisches Unternehmen verkaufen, so dass dieser Schritt zuerst geklärt werden muss, neben den baulichen Ertüchtigungen, die aber bestimmt zwei Jahre in Anspruch nehmen dürften. Der Druck muss also in die Richtung gehen, dass man sich mit den notwendigen Maßnahmen beschäftigt, ohne diese auf die lange Bank zu schieben.

Haben Sie denn den Eindruck, die Task Force verschiebt Lösungsansätze?

In der Task Force Sitzung ist mir deutlich geworden, dass von PCK-Seite [Anmerkung: PCK Raffinerie GmbH], gerade vom Management-Team, vom zweiten Geschäftsführer, von Harry Gnorski, der ja ein Kind der Raffinerie ist, wenn man so will, der dort jede Schraube kennt, wenn Sie mir diese umgangssprachliche Ausdrucksweise gestatten, sehr gut aufgearbeitet wurde, was technisch machbar ist und was nicht.

Das ist vielleicht auch die energiepolitische Kompetenz, die Sie bei Politikern und Politikerinnen teilweise auch vermissen, wie Sie es kürzlich ausgedrückt haben?

Richtig.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war kürzlich wieder zu Besuch in der Raffinerie von Schwedt. Im Gegensatz zu seinem ersten Besuch, einige Wochen zuvor, wurde er massiv ausgebuht. Stand dieses Stimmungsbild auf dem Gelände der Raffinerie stellvertretend für die aktuelle Stimmung in der Stadt selbst?

Mit Sicherheit, die Stimmung unter den Einwohnern von Schwedt hat sich sehr verschlechtert. Die Menschen haben zum Teil resigniert, junge Menschen bewerben sich woanders hin und sehen keine Zukunft mehr in unserer Stadt. Noch besorgter erscheinen mir allerdings die Menschen, die gar nicht weg möchten aus Schwedt, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben. Es ist auch klar, wenn die Raffinerie ins Wanken gerät, wird das Arbeitsplätze kosten. Nicht nur in der Raffinerie, sondern auch bei der Zulieferindustrie. Manche Unternehmen, die sich hier angesiedelt haben, werden dann wahrscheinlich gar nicht mehr benötigt. Auch mit diesen konkreten Fragen muss sich eine Task Force beschäftigen, welche Alternativen haben wir für diese Menschen, welche Übergangszeiträume stehen zur Verfügung. Aber all diese Fragen sind offengeblieben.

Hatten Sie denn Gelegenheit, mit Robert Habeck über diese Probleme zu reden?

Dafür fehlte leider die Zeit. Aber auch wenn beispielsweise Kathrin Lange, die Finanzministerin Brandenburgs, die Frage nach der Sicherheit der Arbeitsplätze neulich gegenüber den Vertretern der Task Force erwähnte, kam beispielsweise die Antwort: »Darüber reden wir später!«, mit dem Ergebnis, dass dann die Zeit um war und überhaupt nicht mehr über dieses Thema gesprochen wurde.

Kann man hier von einer zunehmenden Entfremdung sprechen zwischen der lokalen Ebene, die Sie vertreten, und der Bundesebene?

Ja, das kann man durchaus.

Die Grüne Agenda kann sich in Schwedt nicht unbedingt entfalten?

Nein, mit Sicherheit nicht. Ich habe den Eindruck, dass Minister Habeck vielleicht zunehmend getriebener wirkt. Die Probleme waren anfangs lokal begrenzt. Aber was jetzt in Schwedt passiert, wird ja inzwischen im gesamten Bundesgebiet spürbar, durch die Inflation beispielsweise.

Wie zufrieden sind Sie denn mit der Zusammenarbeit zwischen dem Rathaus Schwedt und der Landesregierung in Potsdam?

Wir haben eine sehr gute Abstimmung mit der Landesregierung. Es gibt im Vorfeld eine enge Abstimmung, was die Diskussion zur Raffinerie angeht, wie auch im Nachgang. Kurze Dienstwege dominieren und wenn es eng wird, kann ich mich jederzeit mit der Staatskanzlei in Potsdam in Verbindung setzen.

Waren Sie erstaunt darüber, dass Schwedt in den letzten Wochen in den Nachrichten wieder einmal auf die Ebene der Weltpolitik gehoben wurde? Venezuela war im Gespräch, ebenso Kasachstan, in Verbindung mit der Raffinerie.

Nein, das hat mich nicht verwundert. Ich hatte es schon einmal an anderer Stelle geäußert, wir sind in Schwedt der Lackmustest für ganz Deutschland. Schwedt steht auch deshalb im medialen Blickpunkt, weil sich hier zeigen wird, ob die Krise zu meistern ist und ein Standort erhalten werden kann. Dieses Thema ist ja auch relevant für viele andere Standorte in der Republik, die vor großen Arbeitsplatzverlusten stehen könnten. Das Thema Gas wird zunehmend bedeutender, deshalb wundert mich die Aufmerksamkeit nicht, da wir in Schwedt hier mit dem Themenkomplex Öl besonders betroffen sind. Das Thema Gas ist aber auch für Schwedt relevant, durch unsere Papierfabrik mit ihrem großen Gas-Verbrauch. Die Probleme, die auch andernorts sichtbar werden, bündeln sich hier wie unter einem Brennglas. Wenn es uns hier in Schwedt nicht gelingt, diese Probleme zu meistern, dann gelingt das in ganz Deutschland nicht.

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