Die Lust am Drill

Das Militär wirbt mit einer Youtube-Serie über das Wachbataillon

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

10 Uhr, Exerzierplatz der Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Das Drillteam des Wachbataillons ist angetreten. Es seien, so sagt ein Oberfeldwebel, die »Besten der Besten der Besten«. Zusätzlich zu den protokollarischen Aufgaben, die die Truppe zu erfüllen hat, treten sie bei Militärshows auf. Dafür üben sie, zu zwölft, zu acht und – das ist die Premium-Klasse – im Vier-Mann-Team. Mal mit und mal ohne Spielmannszug prägen sie sich Choreografien ein, wirbeln dabei ihre alten Wehrmacht-Karabiner durch die Luft, fangen sie auf oder werfen sie dem jeweiligen Hintermann zu. Wenn eine Waffe runterfällt, sei dies das »größte Manko«, sagt ein junger Soldat. Das sollte auf keinen Fall passieren.

Tage später folgt die Abnahme des Programms. »Jetzt gilt es«, motiviert der Kommandeur seine Leute. »Sie müssen nicht so versteinert gucken … Seien Sie doch einfach stolz auf sich!« Und so treten die jungen deutschen Soldaten dann auch in der Öffentlichkeit auf. Bei einem internationalen Drill-Wettbewerb vor der Prager Burg. Nicht die Platzierung, die Kameradschaft zählt.

Damit endet die letzte Folge der neuen Bundeswehr-Werbeserie bei Youtube. Titel: »Semper Talis«. Zu Deutsch: Immer gleich. Das ist der Leitspruch des in Berlin stationierten Wachbataillons. Man kennt die Truppe von allerlei protokollarischen Auftritten, über deren Wert man streiten kann. Manch alter Zopf widersteht dem modernen Leben. Und so stehen die Protokollsoldaten wie die Zinnfiguren aufgereiht, wenn ein Staatsgast auf dem Flughafen BER landet. In seltenen Fällen dürfen sie auch mal Haubitzen abfeuern. Ohne Granaten. Auch vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten haben sie einen Stellplatz. Wenn sie mit Fackeln aufmarschieren, dann meist im Hof des Verteidigungsministeriums.

Das Wachbataillon zählt knapp 1000 Soldaten. Es gilt als Aushängeschild der Truppe. Dennoch fragt man sich, warum jemand gerade diese spröde Truppe zur Nachwuchsgewinnung ausgesucht hat. Sie ist, obwohl natürlich – wie in einem Video gezeigt – auch als »exzellente« Infanterie-Truppe nutzbar, so ziemlich die Antithese zu einem lebendigen modernen Leben, so wie es sich militäraffine junge Leute wünschen.

Im Gegensatz zu Werbeversuchen vergangener Jahrzehnte, in denen verlogene militärische Klischees bedient und Soldaten auf dem Balkan oder in Afghanistan zu Entwicklungshelfern stilisiert wurden, sind die acht regulären und zwei Spezialfolgen von »Semper Talis« realistischer. Befehl und Gehorsam stehen obenan. Die Uniform muss sitzen, die Stiefel glänzen, der Haarschnitt ist kurz, kein Barett rutscht übers Ohr. Zugleich ist die Serie modern gemacht: Kurze Takes, coole Kommentare, Aufnahmen aus Drohnensicht, Action. Die Macher versuchen, noch immer tief in der Truppe verwurzelte Geschlechter- und Rollenbilder aufzuweichen, und lassen das deutsche Militär multiethnisch daherkommen. Wie ehrlich ist das? In den Videos wird nicht über die Skandale geredet, die das Hauptstadt-Bataillon Ende vergangenen Jahres in die Schlagzeilen brachte. Es ging um sexualisierte Gewalt, Rassismus und rechtsextremistische Gesinnung bei Angehörigen der Elitetruppe.

Die Bundeswehr braucht dringend Nachwuchs. Ihre Truppenstärke von rund 180 000 Männern und Frauen reicht nicht, um die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte »Zeitenwende« militärisch glaubhaft zu unterstreichen. Zumal die vom Parlament beschlossenen 100 Milliarden Euro Zuwendungen allerlei zusätzliche Rüstung ermöglichen, die hoch qualifiziertes Personal erfordert. Von Hightech und personellen Aufstiegschancen ist in der jüngsten Werbekampagne jedoch nicht die Rede. Und schon gar nicht wird über die Risiken des Soldatenberufes aufgeklärt. Dabei bedeutet Krieg in Europa auch Tod, Verstümmelung und millionenfaches Leid. Das ist in der Ukraine und damit nur zwei Flugstunden vom Stationierungsort der Drill-Soldaten bitterste Realität.

Hat »Semper Talis« trotzdem oder gerade deshalb so einen Erfolg? Die Klickzahlen – manche bereits länger im Netz stehende Folgen haben annähernd zwei Millionen Zugriffe – belegen gesellschaftliches Interesse an dieser Darstellung des Militärs. In welchem Zustand befindet sich unsere Gesellschaft? Wird sie militaristischer oder nur wehrhafter? Parteipolitische Grenzen zerfließen. Semper talis – alles gleich?

Tatsache ist, dass Pazifismus inzwischen weithin als Skandal bewertet wird. Grünen-Politiker, die keine Ahnung haben, wie man Patronen in einen Lauf steckt, fordern unablässig die Lieferung von immer mehr Waffen ins Kriegsgebiet. Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock lehnt – obgleich nicht gefragt – Gespräche über einen Waffenstillstand ab. Obwohl sich unter anderem die Sozialverbände und Gewerkschaften sowie führende Militärs gegen eine Dienstpflicht für junge Erwachsene aussprechen, will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier de facto die Wiederauflage des 2011 ausgesetzten Pflichtdiensts. Neben dem Militärdienst will er wieder billige Arbeitskräfte in Altenheime und Krankenhäuser pressen. Freilich verpackt er das in schöne Worte. Etwa so: »Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.« Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, ein Mann der Linkspartei, versteht die Aufregung über den angeblichen Zwang nicht, schließlich gebe es ja auch die Schulpflicht, die jungen Menschen gewiss nicht schadet.

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