»Sippenhaft« für Muslime

Neuer Höchststand bei Beleidigungen, Diskriminierung, Gewalt

Frauen, die Kopftuch tragen, werden besonders häufig rassistisch beschimpft und attackiert.
Frauen, die Kopftuch tragen, werden besonders häufig rassistisch beschimpft und attackiert.

Moscheen werden mit Hakenkreuzen beschmiert, eine palästinensische Familie wird angebrüllt: »Dreckige Araber, verschwindet endlich aus Europa!« Mädchen und Frauen mit Kopftuch werden beschimpft, bespuckt, zu Boden gestoßen. Mit solchen Übergriffen sind Muslime in Deutschland immer häufiger konfrontiert.

Das zeigt der Jahresbericht für 2024 zu antimuslimischem Rassismus, den die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim) am Dienstag in Berlin vorstellte. Danach hat sich die Zahl der von 26 Beratungsstellen in 13 Bundesländern registrierten Vorfälle im vergangenen Jahr gegenüber 2023 von 1926 auf 3080 erhöht. Verbale Attacken machten mit 1558 den größten Anteil der registrierten Fälle aus. Für die Dokumentation wurden auch Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der Linken und die Statistik zu politisch motivierter Kriminalität des Bundeskriminalamts ausgewertet. Letztere verzeichnet für das vergangene Jahr 1848 islamfeindliche Straftaten, 26 Prozent mehr als 2023.

Die Bilanz zeige, dass antimuslimischer Rassismus keine Randerscheinung mehr sei, sagte Rima Hanano, Ko-Geschäftsführerin von Claim: »Er reicht von der Straße bis ins Klassenzimmer, vom Wartezimmer bis ins Rathaus. Er wirkt in Behörden, am Wohnungsmarkt, in Kommentarspalten – und er wird brutaler.« Insgesamt seien deutlich mehr schwere Straftaten erfasst worden, nämlich 198 Körperverletzungen und zwei Tötungsdelikte.

»Mediale und politische Debatten um Sicherheit, in denen Muslime unter Generalverdacht gestellt werden, haben konkrete Folgen für die Sicherheit muslimischer Menschen.«

Rima Hanano Ko-Geschäftsführerin Allianz gegen Islamfeindlichkeit (Claim)

71 Prozent der von verbalen und körperlichen Attacken betroffenen Einzelpersonen waren Frauen, oft in Begleitung ihrer Kinder, berichtete Güzin Ceyhan, ebenfalls Claim-Geschäftsführerin. Da von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden müsse, sei dieser Befund zwar nicht repräsentativ. Er decke sich jedoch mit den Ergebnissen von Studien.

Zugleich wendeten sich Betroffene selten an staatliche Stellen. Der Grund: Sie erleben oft, dass sie nicht ernst genommen werden. »Wenn antimuslimischer Rassismus geleugnet wird, überlege ich mir zweimal, ob ich etwas melde, denn das kostet Ressourcen, deren Einsatz sich nicht lohnt«, sagte Hanano. Im schulischen Bereich würden viele Eltern Vorfälle nicht mit dem Direktor oder der Direktorin besprechen, weil sie in der Folge eher weitere Benachteiligungen fürchteten. Dazu passt, dass Kinder laut dem Bericht Diskriminierung und Beleidigungen überwiegend von Lehrkräften und Schulleitungen erleben und nicht von Mitschülern.

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Ceyhan schilderte konkrete Vorfälle, bei denen Erwachsene wie Kinder als »Messerstecher«, Antisemiten oder Terroristen beschimpft und bedroht wurden. Solche Übergriffe hätten nach dem Hamas-Terror in Israel am 7. Oktober 2023, aber auch nach mutmaßlich islamistisch motivierten Anschlägen in Deutschland stark zugenommen. So hat Claim Höchststände im Juni und August 2024 registriert, also kurz nach den Anschlägen in Mannheim (31. Mai) und Solingen (23. August). Auch nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg gab es im Raum Magdeburg zahlreiche antimuslimische Übergriffe und Bedrohungen. »Mediale und politische Debatten um Sicherheit, in denen Muslime unter Generalverdacht gestellt wurden, haben also konkrete Folgen für die Sicherheit von muslimischen und als muslimisch gelesenen Menschen«, sagte Hanano.

Claim formuliert Handlungsempfehlungen. Zentral sind für die Allianz eine bessere Erfassung antimuslimischer Vorfälle, mehr Schutz und Beratungsangebote für Betroffene, »bundesweit, dauerhaft und professionell«, sowie die finanzielle Absicherung zivilgesellschaftlicher Arbeit. Zudem brauche es einen »neuen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus«.

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