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  • Serie »The Girl in the Water«

Kampf um die eigene Geschichte

Die Serie »The Girl in the Water« erzählt von einer Frau, die an Amnesie leidet und ihre eigene Geschichte und Identität rekonstruieren will

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Sophie (Gugu Mbatha-Raw) legt Stück für Stück ihre Identität frei.
Sophie (Gugu Mbatha-Raw) legt Stück für Stück ihre Identität frei.

Über Menschen, die ihr Gedächtnis verlieren, gibt es eine Unmenge an Filmen – von Christopher Nolans »Memento« (2000) über den Kassenschlager »Bourne Identity« (2002) bis hin zu Michel Gondrys satirischem Kunstwerk »Eternal Sunshine of the Spotless Mind« (2004). Mit der Thriller-Serie »The Girl in the Water« startet auf Apple TV jetzt ein ungemein dicht erzählter, spannender Achtteiler über eine junge Frau, die nach einem Sturz von einem Fährschiff vor der Küste San Franciscos durch eine Kopfverletzung ihr gesamtes Langzeitgedächtnis verliert.

Sophie (Gugu Mbatha-Raw) lebt mit ihrem Mann James (Oliver Jackson-Cohen), der als Banker jede Menge Geld verdient, in einem schicken Altbau in San Francisco. Die beiden gehören zur Upper Class der kalifornischen Boomtown. Warum Sophie vermeintlich versuchte, Selbstmord zu begehen, ist unklar, da sie sich an nichts erinnern kann. Oder wurde sie von dem Fährschiff gestoßen? Hat ihr Mann, der ihr in den Wochen nach dem Koma auf der Intensivstation wie ein Fremder vorkommt, womöglich etwas damit zu tun? Als dann auch noch der Polizist Baden (Stephan James), mit dem sie anscheinend befreundet war, zu ihr Kontakt aufnimmt und sie vor ihrem Ehemann warnt, weiß Sophie gar nicht mehr, was sie noch glauben soll.

»The Girl in the Water« ist dialogreich und über weite Strecken fast kammerspielartig inszeniert. Das unter Stress stehende Ehepaar diskutiert und streitet immer wieder heftig miteinander. Befand sich die Beziehung der beiden unmittelbar vor Sophies Unfall womöglich sogar kurz vor der Auflösung? Außerdem hat James Probleme in seiner Arbeit, nachdem Gelder verschwunden sind und seiner Investment-Firma eine Buchprüfung ins Haus steht. Plötzlich geht es um sehr viel Kapital, und bald steht die Frage im Raum, ob Sophies Unfall auch etwas damit zu tun hatte.

Auf Therapie-Sitzungen wird sie derweil darauf eingeschworen, sich mit dem Verlust ihrer Vergangenheit abzufinden. Aber das will sie keinesfalls. »The Girl in the Water« erzählt von Sophies Kampf um Unabhängigkeit, denn sie hat auch keinen Zugriff mehr auf ihre Finanzen, da ihr Mann nach dem vermeintlichen Selbstmordversuch als ihr Vormund eingesetzt wurde. Als ihre angeblich beste Freundin Caroline (Ari Graynor), eine erfolgreiche Galeristin, mit ihr ins schicke Wochenendhaus fährt, macht Sophie dort einige überraschende und verstörende Entdeckungen. Der Polizeibeamte Baden wird schließlich ihr Vertrauter, und im Lauf mehrerer Wochen legt Sophie Stück für Stück ihre Identität frei.

Obwohl die Serie mitunter sehr langsam, fast elegisch erzählt wird und sich reichlich verliert in einer ästhetischen Nabelschau der Upper Class von San Francisco mit irrwitzig edlen Altbauwohnungen, prunkvollen Ballsälen und der subkulturell geprägten Stadt als Hintergrund für Sophies tägliches Jogging, ist »The Girl in the Water« in jeder Minute mitreißend spannend. Denn Sophies Recherchen und Erkundungen, der Kampf gegen ihre Entmündigung und um ihre eigene Geschichte, die sie wie ein Puzzle zusammenfügt und die dann zum Teil auch in Rückblenden erzählt wird, lassen eine ungemein faszinierende Story entstehen. Die hat, auch wenn es im ersten Moment gar nicht so scheint, viel mit Klassenzugehörigkeit und sozialen Aufstiegsmöglichkeiten zu tun.

Ein Stück weit ist »The Girl in the Water« aber auch eine Liebesgeschichte, die zwar von den romantischen Augenblicken des ersten Kennenlernens und einer rasanten emotionalen Dynamik erzählt, dann vor allem aber das stückweise und radikale Erodieren dieser Liebesbeziehung in Szene setzt. Es geht viel um Verbindlichkeiten, um die Unfähigkeit, sich auf Wandel einzulassen, und um zerstörerischen Kontrollzwang. Der wirkliche Verlauf des alles verändernden Ereignisses auf der Fähre wird erst ganz am Ende gelüftet.

»The Girl in the Water« auf Apple TV – wöchentlich eine neue Folge.

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