Das Kopftuch verrät den Lebensort

Die dänische Nordseeinsel Fanø ist traditionsbewusst und facettenreich

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 5 Min.
Strände, Kultur und Tradition – hier kommt jeder auf seine Kosten.
Strände, Kultur und Tradition – hier kommt jeder auf seine Kosten.

Ach du lieber Gott: Die Puppe lebt. Eben noch starr und steif als eine von vielen im Schaufenster des Museums, steigt sie jetzt plötzlich putzmunter aus der Vitrine heraus. Wie alle ihre Schwestern hinterm Glas, gekleidet in der ebenso auffälligen wie aufwändigen Fanø-Tracht – so wie es über Jahrhunderte üblich war und noch heute zu Festtagen als schöne Tradition gepflegt wird. Schon das macht Fanø zu einer besonderen Adresse.

Tipps
  • Internet: www.visitfanoe.dk,
    www.visitdenmark.de
  • Anreise: Mit dem Auto bis Esbjerg, von dort mit der Fähre nach Fanø (Dauer 12 Minuten, Preis ab 249 DKK – 33 Euro);
    www.fanoelinjen.de
  • Übernachtung: Wie überall in Dänemark ist auch auf Urlaub im Ferienhaus ausgesprochen populär. Fast 600 Häuser gibt es allein bei dansk.de (ab 205 Euro/Woche); www.dansk.de  
  • Museen: Nordby: Fanøs Schifffahrts- und Trachtensammlung; Fanø Museum; Sønderho: Fanø Kunstmuseum
  • Festivals: Juni: Drachenfestival: »Fanø International Kite Fliers Meeting«;
    September: Musikfestival »Fanø Vesterland«; Strickfestival »Nordby Wooldays« 
  • Führungen: Robben- und Seeadlersafaris mit Søren Brinch, www.nationalparksafari.dk

    Was Fanøs Frauen wann und warum angezogen haben, ist allerdings eine Wissenschaft für sich. Mit Geduld und Humor navigiert »Aussteigerin« Kis Sharasuvana durchs Universum der Uniformen für Küche und Haus, für Feld und Watt, wo Frauen nach Würmern buddelten und Gesichtsmasken trugen zum Schutz vor Wind und Wetter. Die Expertin präsentiert sogenannte Christtüten für Täuflinge, Trachten für Kinder und Schulmädchen, für Bräute und Brautjungfern, für Konfirmandinnen und Witwen. Trachten für den Alltag und Trachten für Feste – die kostbare Seide dafür brachten Fanøs reiche Seefahrer mit. Kis demonstriert, wie lange allein das Legen und Stecken des Kopftuchs braucht. Und dass Eingeweihte daran auch prompt die Herkunft der Frau erkennen: »Wenn du wie ich aus Nordby kommst, ist zum Beispiel dein Kopftuch am Hinterkopf flach gesteckt wie ein Kiel«, erklärt sie. »Bist du hingegen aus Sønderho im Süden, dann wehen die Zipfel frei wie Segel.«

    Stichwort Segeln: Frische Luft und steife Brisen – das sind zwei weitere dicke Qualitäts-Pluspunkte auf der knapp 60 Quadratkilometer kleinen Nordseeinsel. Bringen sie doch zum einen die Blokart-Strandsegler und Kite-Buggys ordentlich auf Touren, die sich auf dem Mittelstück des 15 Kilometer langen Strandes austoben dürfen. Zweitens gibt es weltweit kaum bessere Plätze, um Drachen aller Größen und Motive steigen zu lassen. Immer im Juni kommen deshalb Tausende Fans aus aller Welt zum Fanø-Drachenfestival, aber auch was an ganz normalen Wochenenden hier über dem Strand im Wind steht und schwebt, ist ein Fest der Fantasie für die Augen.

    »Eigentlich darf man hier gar nichts tun, noch nicht mal eine Bank aufstellen«, erklärt Umweltpädagoge und Landschaftsmaler Marco Brodde, denn als Teil des Nationalparks Wattenmeer steht der Strand unter strengem Naturschutz. »Gleichzeitig ist er aber auch ein großer Spielplatz. Und diesen Konflikt zwischen vielen Menschen und sensibler Natur müssen wir halt vernünftig ausbalancieren. Immer wieder und immer wieder neu.«

    Während Fanøs Nord- und Südspitze so zum Beispiel für jeden Verkehr konsequent gesperrt sind, kann man von Fanø-Bad bis Sønderho sogar mit dem Auto am Strand entlangfahren – »gerade unsere deutschen Gäste begeistert das ungemein, die kennen so was überhaupt nicht«. Auch wenn die Zeiten längst vorbei sind, als im Rausch der Geschwindigkeit der Strand von Fanø mit den Salzseen von Utah konkurrierte – heute geht es mit maximal 30 Sachen ganz gemütlich an der Dünenkante lang. Ein Lebensraum, über dessen Bewohner Naturführer Marco ebenso viel zu erzählen weiß wie über seine Bedeutung für den Küstenschutz – auch und gerade in Zeiten dramatisch steigender Meerwasserpegel.

    In Sønderho wechseln die Profis, die Faszination bleibt. Während Marco loszieht, um Vögel und Robben zu malen, die Stars seiner Zeichnungen und Aquarelle, übernimmt Søren Brinch für die nächsten Stunden. Auf Robbensafari soll es gehen zum Galgenriff, einer Sandbank, die bei Flut aus dem Wasser ragt und der man bei Ebbe sehr nahekommt. Rund 700 Kegelrobben und Seehunde hängen hier im Durchschnitt ab und leben Seite an Seite mit Seeadlern, Wanderfalken und Watvögeln – auch für Ornithologen ist Søren einer der besten Guides in ganz Dänemark.

    Aber leider pustet uns der Wind einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Ab Mittag peitscht er mit voller Wucht auf den Strand ein: schmirgelt am Autolack, piesackt die Haut, lässt die Augen tränen. Ein Spaziergang ins Watt wäre jetzt alles andere als vergnüglich, und auch alle Strandläufer, Austernfischer, Rotschenkel, Ziegenmelker, Seeregenpfeifer und sonstige Flieger bleiben nun gut versteckt in Deckung im Schilf.

    Bestens geschützt in den Dünen liegt auch das malerische Sønderho, das immer wieder als schönstes Dorf Dänemarks ausgezeichnet wird. Eine reetgedeckte Idylle mit verwinkelten Wegen, die komplett unter Denkmalschutz steht. Die Häuser sind im Schnitt 250 Jahre alt, damals war Sønderho die wichtigste Seefahrerstadt an Jütlands Westküste. Auch Sørens Haus stammt aus dieser Zeit, als die Wohnräume nicht höher als 1,80 Meter waren. Dass es heute viel luftiger zugeht, verdankt er seinem Vater, »der den Boden einfach um 30 Zentimeter abgesenkt hat«. Und zum Auftakt schenkt er gleich mal einen Gunpowder ein. Das ist die stärkste Variante des preisgekrönten Fanø-Schiffsrums und genau das, was echte Kerle jetzt seiner Meinung nach brauchen.

    Beim folgenden Spaziergang fühlt man sich in der Tat in eine andere Zeit versetzt. In vielen Türen und Fenstern symbolisieren grün-weiß-schwarze Friese als eine Art Inselwahrzeichen Geburt, Leben und Tod. In der Kirche zeugen 15 (!) Votivschiffe von wundersamen Rettungen aus höchster Not, aber auch schlimme Tragödien suchten das kleine Dorf heim. So verloren im Katastrophenwinter 1825 40 Frauen ihre Männer und mehr als 100 Kinder ihre Väter, was Sønderho den Beinamen »Stadt der Witwen und Waisen« einbrachte. Ein ideales Umfeld jedenfalls auch für eine Vielzahl von Künstlern, die sich seit über 100 Jahren von der intakten Umgebung, den inseltypischen Motiven und dem klaren Licht inspirieren ließen. Manche blieben für immer und bilden eine mittlerweile ziemlich große Künstlerkolonie. Und nicht zuletzt ist Fanø auch eine Top-Adresse, wenn es um gutes Essen geht, wovon wir uns zum Tagesfinale im Sønderho Kro überzeugen. Bei Rotzunge mit Muscheln und Rothirsch mit Trüffelsauce, für die Gäste aus ganz Dänemark dem begnadeten Jacob Sullestad die Bude einrennen. Am allerschönsten Platz im schönen Sønderho.

    Reise und Recherchen wurden freundlichst unterstützt von Visit Fanø und Visit Denmark

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