Lausitzer Seenland: Industriekultur als Abenteuerspielplatz

300 Jahre bestimmten Erz und Kohle die Geschicke der Lausitz. Inzwischen ist das Bergbaurevier ein Ferienparadies samt Industriekultur

  • Ekkehart Eichler
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Sedlitzer See
Der Sedlitzer See

Mit Benedicta Margaretha Freifrau von Löwendal fing alles an. Vor genau 300 Jahren. Damals stieß man in der Lausitz auf Raseneisenerz, zu dessen Verhüttung die tatkräftige Visionärin einen Hochofen bauen ließ. Dieser »Hammer im Lauch (Sumpf)« ging im August 1725 in Betrieb. Die Hütte lieferte Töpfe, Kessel, Herdplatten, Achsen und Schmiedeeisen, sorgte für Arbeit und bald auch bescheidenen Wohlstand. Im 19. Jahrhundert wurde die Gießerei durch Bauguss berühmt: Von hier kamen Brunnen und Brücken, Pavillons und Portale, Kandelaber und Balustraden, Treppengeländer und Säulenhallen. Spektakulärstes Objekt: eine 400 Tonnen schwere Palasthalle im maurischen Stil für den Vizekönig von Ägypten.

Seit 1839 schließlich goss man in Lauchhammer Figuren nicht mehr nur in Eisen, sondern auch in der sehr viel feineren Bronze. Vor allem für monumentale Denkmäler, die bis nach China, Ecuador oder die USA geliefert wurden. Eines dieser Meisterstücke – das riesige Lutherdenkmal in Worms. Im Kunstgussmuseum verdeutlicht ein Modell die Dimensionen und Klasse dieser Handwerkskunst. Insgesamt umfasst der historische Modellfundus 2800 Stücke – er steht unter Denkmalschutz und kann im Schaudepot des Museums ausgiebig bewundert werden.

Lauchhammers zweites Industrie-As: die Biotürme mit dem schönen Beinamen »Castel del Monte der Lausitz«. Und in der Tat: Das Ensemble der 24 Backsteintürme ähnelt durchaus der Burg von Staufenkaiser Friedrich II. in Apulien. Sie sind der letzte Rest der riesigen DDR-Kokerei, die 1994 abgerissen wurde. In den Türmen säuberten Bakterienstämme die extrem giftigen und stinkenden Phenol-Abwässer der Koks-Produktion biologisch so gründlich, dass sie sogar als Dünger für die Landwirtschaft taugten. Mit ihrer markanten Ästhetik sind die Türme heute tolle Landmarke, attraktive Event-Kulisse und Super-Symbol für den Wandel im Revier.

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Denn das Lausitzer Seenland ist inzwischen eine Region der Superlative. Hier wächst die größte künstliche Wasserlandschaft Europas zusammen. Geflutete Tagebaue wurden zu weiten Wasserwelten; zehn Seen werden bald verbunden sein über Kanäle und Schleusen. »Vom Bergmann zum Seemann« nennt folglich auch Tour-Veranstalter Sören Hoika seine Ausflüge, auf denen er Wasser, Wandel und Kultur miteinander verknüpft. Wahlweise per Kleinbus oder Rad.

Im Extremfall auf der 191 Kilometer langen Seenland-Route, wo Biker vier volle Tage durchstrampeln können, oder gemütlich auf dreistündiger Seen-Rundfahrt im Van. Mit touristischen Leuchttürmen wie den IBA-Terrassen in Großräschen, dem Geierswalder See mit schwimmenden Ferienhäusern und Leuchtturm, dem Senftenberger Stadthafen oder dem »Rostigen Nagel«, einem hypermodernen Aussichtsturm aus Corten-Stahl, dessen Rost-Patina ebenfalls für den Strukturwandel stehen soll.

Wie man Altes und Neues verbinden und dabei 100 Jahre Industriegeschichte sinnlich erleben kann, zeigt die Energiefabrik Knappenrode auf kongeniale Art und Weise. In der gigantischen ehemaligen Brikettfabrik stecken hinter backsteinroten Fassaden modernste Ausstellungswelten aus Licht, Metall und Glas, die den Besuch zu einer extravaganten Zeitreise machen. Auf dem »Fabrik.Erlebnis.Rundgang« folgt man dann dem Weg der Kohle bis zum fertigen Brikett. Eine überaus rustikale Maschinerie mit monströsen Sieben, Trocknern und Pressen, die – inklusive Geruch von Kohlenstaub und Maschinenöl – auf Knopfdruck immer noch lautstark »lebt«. »Diese Kombination aus original erhaltener Fabrik und hochmodernem Museumskonzept ist schon was Besonderes«, schwärmt Chefin Maria Schöne, »und dazu noch dieses riesenhafte, wunderbare, ruhige und grüne Freigelände zum Flanieren, Genießen und Verweilen – das ist schon genial.«

Der Aussichtsturm »Rostiger Nagel« vor dem Koschener See
Der Aussichtsturm »Rostiger Nagel« vor dem Koschener See

Wie das Personal von Tagebauen und Brikettfabriken einst lebte, kann man sich wiederum anschauen in einem anderen Juwel der Lausitzer Industriekultur. 1917 etwa baute Architekt Ewald Kleffel in Laubusch die Gartenstadt Erika als Wohnsiedlung für die Arbeiter, Beamten und Direktoren der Brikettfabrik, des Kraftwerks und des Tagebaus »Erika«. Mit zweigeschossigen Wohnhäusern samt Gärten, mit erstklassiger Schule inklusive Märchenbrunnen im Foyer, mit Kulturhaus, Gasthaus, Geschäftshäusern und Kirche rund um den zentralen Markt. Eine reizende und friedvolle Kolonie, deren ganzer Charme sich vollends entfaltet, wenn man spazieren geht mit den Insidern des Heimatvereins.

Bei allem Wandel – versäumen sollte man auf keinen Fall das authentische Erlebnis. Das ist möglich im Tagebau Welzow-Süd. Hier wird noch immer rund um die Uhr das schwarze Gold abgebaggert – bis zu 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Wer sich dabei dem Bergbautourismusverein Excursio anvertraut und an Bodo Schmidtchen gerät, kommt nicht nur der Kohle und ihren kolossalen Abbau- und Fördermaschinen ganz nah, er wird auch bestens unterhalten. Mit Fakten zur ausgeklügelten Bergbau-Technologie. Mit Hintergründen zur Braunkohle-Geschichte. Und alles garniert mit ordentlich Mutterwitz und rustikalem Bergmannshumor – da bleibt kein Auge trocken.

Tipps
  • Lage: Das Lausitzer Seenland liegt im Südosten Brandenburgs und Nordosten Sachsens.
  • Übernachtung: Senftenberg: Strandhotel (direkt am See), DZ/F 175 Euro; www.senftenberger-see.de/de/strandhotel.html; Großräschen: Seehotel; DZ/F 118 Euro, https://see-grossraeschen-grossraeschen.allbrandenburghotels.com/de/
  • Gastro-Tipp: Senftenberg: »Die Drogerie« (Klasse-Küche/Klasse-Kaffee/Super-Service) www.drogerie-restaurant.de
  • Spannende Links:
    Lauchhammer: www.kunstgussmuseum-lauchhammer.de; www.biotuerme.de
    Knappenrode: www.energiefabrik-knappenrode.de
    Laubusch: www.heimatverein-laubusch.de
    Welzow: www.bergbautourismus.de
    Lichterfeld: www.F60.de
    Seenland-Touren: www.iba-aktiv-tours.de
  • Weitere Infos: www.lausitzerseenland.de und www.reiseland-brandenburg.de

Ersteigen und Begehen sogar kann man die gewaltigste aller Abraumförderbrücken im Besucherbergwerk F60 in Lichterfeld. 502 Meter lang, 204 Meter breit und über 11 000 Tonnen schwer liegt die größte bewegliche Arbeitsmaschine der Welt wie ein umgekippter Eiffelturm am Bergheider See, der bis 1992 »ihr« Tagebau war. Auf geführten Touren und in bis zu 78 Meter Höhe erklimmen pro Jahr 65 000 Besucher den Giganten, der an Wochenend-Nächten zur Licht- und Klangskulptur wird und regelmäßig auch zur spektakulären Kulisse für Sport- und Musik-Events, Auto-Shows, Pyro-Games sowie Festivals aller Art.

Gebaut wurde der Koloss übrigens im nahen Lauchhammer. Womit sich der Kreis wieder schließt. Dort, wo vor 300 Jahren die Industriegeschichte der Lausitz begann. Und wo dieses Jubiläum dieses Jahr auch angemessen gefeiert wird.

Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Lausitzer Seenland.

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