Bunte Mischung verdirbt Rechten die Lust

Politologe Johannes Kiess über heißen Herbst, Wutwinter und das problematische Etikett »Montagsdemo«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Frühjahr 2005 war die PDS eine prägende Kraft der Montagsdemos gegen Hartz IV. Daran möchte mancher in der Linken gern anknüpfen.
Im Frühjahr 2005 war die PDS eine prägende Kraft der Montagsdemos gegen Hartz IV. Daran möchte mancher in der Linken gern anknüpfen.

In Deutschland schießen Preise für Energie und Lebensmittel in die Höhe. Der Kanzler rechnet dennoch nicht mit sozialen Unruhen. Andere dagegen erwarten massive Proteste. Wie lautet Ihre Prognose?

Interview

Johannes Kiess ist stellvertretender Leiter des 2020 gegründeten Else-Frenkel-Brunswick-Instituts (EFBI) an der Universität Leipzig. Er forscht zu Fragen von politischen Einstellungen und Mobilisierung sowie zur extremen Rechten. Mit ihm sprach Hendrik Lasch.

Wenn von »Wutwinter« oder »heißem Herbst« gesprochen wird, sind das bis jetzt Projektionen und Erwartungen, wohl auch Hoffnungen. Steigende Preise oder andere Sorgen werden erst in der Debatte zu einer Krise, indem sie als solche adressiert und »geframed« werden. Die extreme Rechte hofft, damit ein neues Thema gefunden zu haben, um Menschen gegen das »System« zu mobilisieren. Die Linke will Druck für mehr soziale Gerechtigkeit entfachen. Ob das eine oder das andere gelingt, halte ich für offen.

Derzeit werden viele Menschen von ihren Gasversorgern auf teils horrende Preissteigerungen vorbereitet. Erwarten Sie, dass sie das still murrend hinnehmen?

Ohne hart und herzlos klingen zu wollen: Energiearmut gibt es in diesem Land seit Jahren; regelmäßig wird Menschen Strom oder Gas abgestellt. Das ist eine große Ungerechtigkeit, aber die Betroffenen sind bisher kaum mobilisierbar gewesen. Von denjenigen wiederum, die zuletzt gegen Flüchtlinge oder Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen sind, wissen wir, dass es nicht die »unteren« 20 Prozent sind, sondern ein anderes Klientel. Die Fragen sind: Fasst die Angst vor Verarmung auch in diesem Protestmilieu Fuß? Und ist die Mobilisierungswirkung ähnlich groß wie bei der »Angst vor der Spritze«?

Die Proteste gegen Zuwanderung 2015 wurden teils mit Verlust- und Abstiegsängsten einer unteren Mittelschicht erklärt. Droht so etwas jetzt nicht tatsächlich?

2015 ging es weniger um tatsächliche Verluste als um die Sorge davor. Das war aber auch mit Rassismus verbunden und deshalb mobilisierbar. Jetzt gibt es sicher wieder Ängste. Ob diese in Wut umwandelbar sind, da bin ich mir nicht so sicher. Wichtig wäre es, Härten auszugleichen. Einige Entlastungen hat die Bundesregierung ja beschlossen. Ob das reicht, bleibt abzuwarten.

Wie besetzt die extreme Rechte das Thema?

Sie betreiben Täter-Opfer-Umkehr, was die Schuld am Krieg in der Ukraine angeht. Als Schuldige werden westliche Eliten ausgemacht, die Putin angeblich in die Enge getrieben und sich auch gegen die eigene »normale Bevölkerung« verschworen hätten. Das Muster fand sich schon 2015, als vom »großen Austausch« die Rede war; jetzt sollen die Menschen von »denen da oben« angeblich durch hohe Energiepreise »ausgepresst« werden. Das ergibt keinen Sinn, denn die hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas ist ja gerade durch ein Streben nach niedrigen Energiepreisen bedingt. Leider verfangen solche Verschwörungserzählungen trotzdem bei nennenswerten Teilen der Bevölkerung.

Welche Rolle spielt eine mögliche größere emotionale Nähe zu Russland in Ostdeutschland?

Die würde ich so pauschal nicht konstatieren. Als wichtigeren Faktor sehe ich antiamerikanische, antiwestliche Einstellungen und die Ablehnung von Demokratie, die es in Ost und West gibt – im Osten sicher verbreiteter.

Erwarten Sie, dass Sachsen erneut ein möglicher »Hotspot« von Protesten wird?

Davon ist auszugehen. Der Anteil der Menschen, die sich von der Demokratie verabschiedet haben, ist definitiv höher. Zudem ist die Szene mobilisiert. Die Proteste, die Corona zum Ausgangspunkt hatten und die von den rechtsextremen »Freien Sachsen« in Anspielung auf 1989 in der Form von Montagsdemonstrationen organisiert werden, finden zwar derzeit auf kleiner Flamme, aber immer noch statt.

Einige Linke rufen nun ebenfalls zu Montagsdemonstrationen auf. Ihr Bezugspunkt sind Proteste gegen Hartz IV. Wie glücklich ist die Wahl dieses Etiketts?

Es erleichtert es extremen Rechten sicherlich, an die geplanten Proteste anzuknüpfen und sie zu unterwandern. So wie es jetzt gemacht wurde, sehe ich die Gefahr, dass es nicht gut laufen wird für die Linke. Wenn ihr so viel an dem Label liegt, wäre es sicherlich besser gewesen, Bündnisse zu formen etwa mit Gewerkschaften und Sozialverbänden bis hin zu Initiativen, die eine Enteignung von Energiekonzernen fordern, oder zur Klimabewegung. Es ginge dann darum, für verschiedene Ansätze solidarisch zu mobilisieren und bestimmte Interessen über alle Unterschiede im Detail hinweg gemeinsam auf die Straße zu tragen. Bei einer derart bunten Mischung hätten extreme Rechte sicher keine Lust mitzulaufen.

Die Linke plant konkret eine Veranstaltung am 5. September in Leipzig. David Begrich vom Magdeburger Verein Miteinander sagt allerdings, die politische Deutungshoheit über mögliche Sozialproteste werde nicht in der Großstadt Leipzig entschieden, sondern in kleinen und mittelgroßen Städten. Hat er recht?

Die Montagsdemonstrationen der »Freien Sachsen« finden vorwiegend in solchen Städten statt, und sie schaffen es dort permanent und erfolgreich, Menschen auf die Straße zu bringen. Dort ist ja der Deutungskampf aus linker Perspektive längst verloren gegangen. Selbst wenn es also in Leipzig eine eindrucksvolle linke Veranstaltung gibt, ist die Frage, wie man die Bewegung in die Fläche trägt. Die Gewerkschaften und andere Bündnispartner wären auch deshalb ein wichtiger Partner, weil sie dort noch eher präsent sind.

Sie sagten eingangs, Sie hielten es für offen, ob es im Herbst und Winter tatsächlich zu Protesten kommt. Was müsste von politischer Seite geschehen, um dem vorzubeugen?

Entscheidend wäre, Lasten sozial gerecht zu verteilen. Mögliche Instrumente liegen auf dem Tisch: ein Gaspreisdeckel oder die in etlichen europäischen Ländern eingeführte Übergewinnsteuer. Eine weitergehende Forderung wäre die Verstaatlichung der Grundversorgung, etwa mit Strom und Gas. Damit stünde Geld zur Verfügung, um den anstehenden Wandel zu bewältigen, ohne dass Menschen Angst haben müssten, dass die Bürde allein auf ihren Schultern lastet.

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