Destination New York City

In den USA werden Flüchtlinge von Texas an die Ostküste geschickt, aus politischem Kalkül

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.
Ankunft per Bus: Asylsuchende in New York im August
Ankunft per Bus: Asylsuchende in New York im August

New York City rechnet mit mittlerweile 100 Asylsuchern am Tag. Sie werden feierlich am Busbahnhof bei New Yorks Port Authority empfangen, von einem Begrüßungskomittee unter der Leitung des städtischen Migrationskommissars Manuel Castro: mit Handschlag und Begrüßungsgeschenken am Ende einer langen Reise. Eine offizielle Anlaufstelle neben dem Busdepot wurde in den vergangenen Tagen von Eric Adams errichtet, der auch persönlich am Empfang teilgenommen hatte, inklusive eines breiten Lächelns für die Fotografen.

New York Citys Bürgermeister Eric Adams wird derzeit ebenso wie die Bürgermeisterin von Washington D.C., Muriel Bowser, stark unter Druck gesetzt. Verursacher ist der Gouverneur von Texas, Greg Abbott. In beiden Metropolen trafen seit Anfang des Sommers insgesamt 14 000 Migranten von der Südgrenze ein, nachdem Greg Abbott sie in Busse gesteckt und aus Protest gegen die Politik der Biden-Regierung nach Norden verfrachtet hatte. Und die Anzahl solcher Buspassagiere stieg in den vergangenen Wochen.

Washgingtons Bürgermeisterin Muriel Bowser hat dagegen zwei Mal in den vergangenen Wochen Hilfe in dieser humanitären Notlage von der Nationalgarde erbeten. Daraufhin wurde ihr zweimal direkt vom Pentagon abgesagt: Das US-Militär sei weder zuständig noch ausgebildet für solche Zwecke, hieß es. Der Nachrichtenagentur Reuters war auch im Weißen Haus Missmut zu spüren: Mit ihrer Anfrage spiele Bowser Texas-Gouverneur Abbott in die Hände, da dieser mit seiner Aktion direkt gegen die Biden-Regierung ziele.

Abbott zielt mit seiner Vorgehensweise direkt auf das demokratische Establishment. Der Gouverneur von Texas kommentierte die Abfahrt seiner ersten Busse nach New York süffisant: New York City verstehe sich doch als sicheren Hafen für Asylsucher und verkünde zudem »ein Recht auf Herberge«: Alle in New York City haben ein Recht auf ein Dach überm Kopf. Auch deswegen lächelt der Bürgermeister Eric Adams: Er steht zu den Idealen seiner Stadt. Er brauche aber auch Geld vom Bund und erklärte am 1. August den Notstand.

Adams steht im Brennpunkt von zwei chronischen Krisen, welche die USA aktuell belasten. Erstens der Rekord-Andrang von Flüchtlingen an der Südgrenze der Supermacht zu Mexiko: Die US-Regierung erwartet dort, dass die Anzahl von Verhaftungen an der Südgrenze in diesem Jahr die Zwei-Millionen-Marke übersteigen wird. Aufgrund der Tatsache, dass die Biden-Regierung die Internierung von Migranten eher ablehnt, werden die Menschen aufgenommen und entlassen, um dann ihren Asyl-Prozess im Land abzuwarten. Als Grund für diesen Anstieg gelten nach Analyse des »Wall Street Journal« die Auswirkungen der Pandemie auf die Volkswirtschaften in Zentral- und Südamerika. Gleichzeitig ist ein Faktor die schnelle Erholung in den USA, wo elf Millionen Jobs unbesetzt sind. New York City gilt als das Paradebeispiel einer Stadt, die von Migranten am Laufen gehalten wird. Andererseits gibt es gerade in den reichsten US-Städten ein gravierendes Problem der Obdachlosigkeit. Das »Recht auf Bleibe« hatte Bürgermeister Ed Koch im Jahr 1981 formuliert, was erkennen lässt, wie lange das Problem schon existiert. Trotz der sogenannten »Urban-Renaissance« der vergangenen 30 Jahre verschlimmerte sich die Lage. Das Budget für Obdachlose in New York beträgt heute 1,9 Milliarden Dollar im Jahr; bereits jetzt sind aber alle Zimmer belegt.

Die konservative »New York Post« berechnet, dass allein die Räumlichkeiten der neuen Asylsucher, mittlerweile rund zehn Prozent der obdachlosen Bevölkerung in der Stadt, bald rund 300 Millionen Euro im Jahr kosten werden. Obdachlose in New York City werden oft in Hotels untergebracht oder in Baracken. Analyst Stephen Eide vom Manhattan-Institut schreibt im »City Journal«, dass man damals erweiterte Dienstleistungen wie Jobhilfe und Therapien entwickeln konnte. Es wurde in bezahlbare Wohnungen investiert. Die Zusammenarbeit mit korrupten Hoteliers wurde endlich in Frage gestellt. Eide befürchtet jetzt, dass unter Druck der neuen Ausweitung der Obdachlosigkeit solche Einsätze wieder der Vergangenheit angehören könnten. Josiah Haken, Geschäftsführer der Suppenküche »City Relief« im West Village, stellt in diesem Zusammenhang fest, dass seine Besucherzahlen wieder in die Höhe schießen. Aktuell bedient er 1300 Gäste in der Woche, rund 300 mehr als noch im Frühling dieses Jahres. Bürgermeister Adams erlebt stärkere Kämpfe um sein Budget für 2023. New York City hatte auch vor der Ankunft der Migranten erhebliche Probleme. Das Ende der Pandemie brachte etwas Hoffnung. Aber die neuen Probleme wirken wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

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