Neue Zerreißprobe für Linke

Debatten um »Montagsdemo« und Wagenknecht: Konfliktpotenzial vor Klausurtagung in Potsdam

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Sechs Punkte stehen auf der Tagesordnung, die Bekämpfung des Klimawandels ebenso wie die steigenden Energiepreise sowie ein Austausch zu kommenden Arbeitskämpfen. Wenn die Bundestagsfraktion der Linken am Donnerstag und Freitag in Potsdam zur Klausurtagung zusammenkommt, dann will sie aber auch über sich selbst reden. Tagesordnungspunkt vier: »Arbeitsweise der Fraktion, Kooperation von Fraktion und Partei«.

Hierzu als Gast eingeladen ist der neue Bundesgeschäftsführer Tobias Bank, der das Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Lagern verbessern will. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Verstimmungen zwischen Partei und Fraktion, wofür auch die verschiedenen Machtblöcke verantwortlich sind: etwa das »Hufeisen« zwischen Reformer*innen um Dietmar Bartsch und Abgeordneten um Sahra Wagenknecht in der Fraktion sowie der Parteivorstand, in dem die Bewegungslinke stärker vertreten ist. Die Linke schien zuletzt kein wirkliches Machtzentrum mehr zu haben, der Begriff »Vielstimmigkeit« machte die Runde. Auf ihrem Parteitag trafen die demokratischen Sozialist*innen zumindest mehrere wegweisende Entscheidungen, die als Schritte zu mehr Gemeinsinn gedeutet werden können: Sie verurteilten den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und sprachen sich dafür aus, den Import fossiler Energieträger aus Russland einzuschränken, ebenso für ein Zusammenwirken der Kämpfe für soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz.

Allerdings sind die innerparteilichen Konflikte vor allem mit dem Wagenknecht-Lager längst nicht ausgeräumt und haben mit fortschreitender Entwicklung des Ukraine-Krieges eher wieder an Schärfe gewonnen. Gerade jetzt, da der von den Linken ausgerufene »heiße Herbst« der Proteste gegen steigende Energiepreise beginnt, drängen sich Fragen auf, die von den Lagern unterschiedlich beantwortet werden und für Konfliktpotenzial auf der Straße, aber auch der Fraktionsklausur sorgen, gar zur Zerreißprobe werden können.

Wagenknecht und ihr Nahestehende wie Klaus Ernst, der immerhin Vorsitzender des Klimaauschusses im Bundestag ist und sich damit in einer prominenten Stellung befindet, treten – im Gegensatz zum Parteitagsbeschluss – weiterhin für russisches Gas aus Nord Stream 2 ein. Der direkt gewählte Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann, der auch dem Wagenknecht-Lager zugeordnet wird, will unter dem Label »Montagsdemo« gerade auch Menschen ansprechen, die von Politik ingesamt enttäuscht sind. Kritiker*innen warnen, das Label sei abgenutzt und seit den verschwörungsideologischen Montagsmahnwachen von Rechten besetzt. Tatsächlich: Auch Rechtsextreme wie das Magazin »Compact« und die »Freien Sachsen«, aber auch die außerparlamentarische Linke mobilisieren zur ersten Auflage dieser Demo am nächsten Montag auf den Leipziger Augustusplatz. Die »Freien Sachsen« suggerieren mit einem Aufruf, auf denen auch die beiden Linke-Redner Pellmann und Gregor Gysi namentlich erwähnt sind, dass diese gemeinsame Sache mit ihnen machen würden. Was natürlich nicht stimmt, was aber als Versuch der Übernahme von rechts zu werten ist. Ein hochexplosives Gemisch deutet sich an.

Ein anderer Umstand hat ebenfalls Sprengstoffpotenzial, wenn auch nur für die Partei: Medienberichten zufolge soll Wagenknecht, mit deren Konterfei ausgerechnet »Compact« für die Demonstration wirbt, als Rednerin nach Leipzig eingeladen und dann wieder ausgeladen worden sein. Auf »nd«-Nachfrage wollte die Pressestelle der Fraktion als Mitorganisatorin die Vorgänge jedoch nicht bestätigen. Allerdings kursiert den Berichten zufolge eine SMS, in der sich Wagenknecht über ihre Ausladung beklagt. Diese soll »auf Druck des Karl-Liebknecht-Hauses« erfolgt sein. »Natürlich kann man das alles widerspruchslos hinnehmen«, soll Wagenknecht in der Kurznachricht geschrieben haben. Und dann diesen Satz, der sich anfühlt wie eine tickende Zeitbombe: »Man darf sich dann nur nicht beschweren, wenn zumindest ich mit diesem Laden nichts mehr zu tun haben will.«

Spätestens seit dem Parteiaustritt ihres Ehemanns Oskar Lafontaine unmittelbar vor der Landtagswahl im Saarland wird auch verstärkt darüber spekuliert, ob und wann Wagenknecht die Linke verlassen könnte. Dieser Satz der ehemaligen Fraktionschefin, sollte er denn tatsächlich gefallen sein, würde natürlich Prognosen in diese Richtung bestärken. Wagenknecht scheint zunehmend isoliert, und auch wenn ihr manche Abgeordnete wie Ex-Parteichef Klaus Ernst weiterhin die Treue halten, so mussten die ihr nahestehenden Genoss*innen auch beim Parteitag, dem sie aus Krankheitsgründen fern blieb, einige Niederlagen einstecken: Das Wagenknecht-Lager will die Rolle des Westens beim Ukraine-Krieg deutlich kritischer betrachtet sehen, auch ging diese Strömung bei den Wahlen für den Parteivorstand komplett leer aus.

Auch soll sich Wagenknecht in der SMS über Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow aufgeregt haben. Zuvor war sie wegen ihrer Forderung nach Verhandlungen mit Russland über Nord Stream 2 von Ramelow in einem Interview kritisiert und in eine Reihe etwa mit dem AfD-Rechtsextremisten Björn Höcke gestellt worden: »Da findet Kriegspropaganda einen dankbaren Abnehmerkreis, der angeheizt wird von denen, die sagen: ›Macht Nord Stream 2 auf.‹ Das ist Herr Kubicki genauso wie Frau Wagenknecht oder Herr Ernst, aber eben auch Herr Höcke.« Pikant: Auch Ramelow ist zur Fraktionsklausur eingeladen.

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