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Hochspannung im Pflegeheim

Putzfrau vom Vorwurf rassistisch motivierter Körperverletzung freigesprochen

»Das nicht gut«, sagt Margit S. immer wieder, als sie am Dienstagabend vor dem Amtsgericht Zossen steht. Die aus Ungarn stammende und vor zehn Jahren nach Deutschland übersiedelte Putzfrau kann nicht begreifen, dass ihre frühere Kollegin Rosemarie Z. gerade vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen wurde. Mindestens eine Entschuldigung hätte Margit S. erwartet. »Ich war doch krankgeschrieben.« Zwei Wochen konnte Margit S. nach dem Vorfall am 12. April vergangenen Jahres nicht arbeiten. Sie musste ihren Arm ruhig halten, wie sie mit einem ärztlichen Attest belegen kann.

Nach einem Streit unter den beiden Putzfrauen, wer im Erdgeschoss eines Pflegeheims in Blankenfelde-Mahlow sauber macht und wer nicht, hatte die Angeklagte Rosemarie Z. ihrer Kollegin den Stecker des Staubsaugers gezogen und sie unsanft bei den Armen gepackt. Ob sie die 53-Jährige aber auch heftig geschüttelt hat, wie das Opfer berichtet, ließ sich für die Justiz nicht eindeutig feststellen. Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Angeklagte. Darum plädierte die Staatsanwaltschaft am Dienstag auf Freispruch und die Richterin urteilte genauso.

Zwar bestätigte eine Zeugin des Vorfalls die Version von Margit S., aber auf gezielte Nachfragen des Verteidigers von Rosemarie Z. wurde die 28-Jährige unsicher. Sie schwächte ihre Aussagen ab. Wütend gepackt hielt die Angeklagte ihr Opfer jedenfalls, sagte die Pflegehelferin, so wie man einen Menschen packt, den man schüttelt. Aber die Zeugin saß ein Stück entfernt und hatte zwischendurch auf ihr Smartphone geschaut. Sie konnte also nicht ausschließen, dass Margit S. vorher zugeschlagen und Rosemarie Z. sich nur gewehrt habe. So verteidigte die Angeklagte ihr Tun vor Gericht. Rosemarie Z. soll gebrüllt haben: »Verzieh dich, du scheiß Einwanderin! Verstehst du das nicht?« Aber das hat die Zeugin so auch nicht in Erinnerung. Sie weiß nur noch, dass sich beide Frauen »angekeift haben«. Es war der erste Arbeitstag der Zeugin und sie ist nur zwei Wochen in dem Pflegeheim geblieben. Das Betriebsklima sei einfach zu schlecht gewesen, erzählt sie.

Zwei Jahre hatte Margit S. in dem Pflegeheim geputzt und die Begegnung mit den alten Menschen habe ihr Freude gemacht, sagt sie. Doch nachdem Rosemarie Z. dort anfing, sei es nicht mehr zum Aushalten gewesen. Auch eine polnische Kollegin sei von der Angeklagten schlecht behandelt worden. »Ich bin immer mit Magenschmerzen arbeiten gegangen. Ich wusste nicht, was heute passiert«, sagt Margit S. vor Gericht aus.

Die 53-Jährige spricht ganz passabel, aber gebrochen deutsch und verlässt sich hier lieber auf eine Dolmetscherin. Das führt aber auch zu Verwirrung, weil sich erst nach einer Weile herausstellt, dass ein »Chef«, von dem Margit S. spricht, eine Frau ist. Die Unterscheidung in eine männliche und weibliche Form gebe es im Ungarischen nicht, entschuldigt die Dolmetscherin das Missverständnis.

Die Chefin spielt im Verfahren eine Rolle, weil sie Margit S. schließlich herzlos rausgeworfen haben soll, während Rosemarie Z. weiter in dem Pflegeheim arbeitet und von einem Vorgesetzten bescheinigt bekommt, man sei mit ihr sehr zufrieden und sie sei bei den Senioren beliebt. Es sei so gedreht worden, als habe man sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt, aber eigentlich sei es ein Rausschmiss gewesen, beklagt die Ungarin. Einen Monat sei sie danach arbeitslos gewesen und habe nichts verdient, bevor sie eine neue Stelle fand. Sie habe sogar noch unterschreiben sollen, niemandem etwas über den Vorfall zu erzählen. Doch da habe sie sich geweigert. Gegen ihre Kündigung habe sie nicht geklagt, weil ihr Anwalt ihr bedeutet habe, ohne Zeugen sei in diesem Fall vor einem Arbeitsgericht nichts zu machen.

Dass Rosemarie Z. sagt, sie habe sich durch ihr Zupacken nur gegen Schläge ihrer Kollegin gewehrt, die ihr dergleichen schon öfter angetan habe, erschüttert Margit S. »Ich habe noch nie jemanden geschlagen, Rosemarie«, fleht sie geradezu, dies doch bitte nicht zu behaupten. Es nutzt nichts. Die Richterin sieht zwar Grund zu der Vermutung, dass Rosemarie Z. die Unstimmigkeiten verursachte. Offenbar habe es ja vor ihrer Einstellung keine Probleme gegeben. Aber für eine Verurteilung reiche die Beweislage nicht aus. Es könne durchaus sein, dass Margit S., nachdem sie einmal wegen eines gebrochenen Schlüsselbeins operiert wurde, durch das feste Anpacken der Angeklagten große Schmerzen erlitt. Aber wenn nicht erwiesen sei, dass sie auch heftig geschüttelt wurde, sei eine Verurteilung wegen Körperverletzung nicht drin. Die Dolmetscherin wird nach der Aussage von Margit S. entlassen. Sie bis zum Ende des Verfahrens zum Übersetzen dazubehalten, sei der Staatskasse nicht zuzumuten, winkt die Richterin ab, als Martin Vesely vom Verein Opferperspektive darum bittet.

Vesely überrascht das Urteil. Er hatte nur kurz den Gerichtssaal verlassen und den Moment verpasst, in dem der Verteidiger die belastenden Aussagen der einzigen Zeugin erschütterte. Leider könne man nun nichts mehr ändern, bedauert Vesely. Ihm bleibt bloß übrig, Margit S. noch mit dem Auto nach Berlin zu fahren, wo sie wohnt. »Das ist nicht gut«, sagt die Frau unterwegs und sie sagt es auch beim Abschied. Sie schüttelt den Kopf und glaubt nun: »Wenn Deutsche vor Gericht kommen, dann kommen sie davon. Wenn Ausländer etwas machen, dann nicht.«

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