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Mecklenburg-Vorpommern: Rufbus fahren mit dem Deutschlandticket

Initiative sammelte in Vorpommern-Greifswald 1700 Unterschriften

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Mitstreiter der Bürgerinitiative an einer Bushaltestelle, ganz rechts mit dabei Johannes Hecht.
Mitstreiter der Bürgerinitiative an einer Bushaltestelle, ganz rechts mit dabei Johannes Hecht.

Elf junge Leute und ein Baby wartend an einer Bushaltestelle – so haben sich Mitglieder einer Bürgerinitiative aus dem Tollensetal ablichten lassen. Zusammengefunden haben sie nach dem Schock darüber, wie stark die AfD bei Wahlen im Landkreis Vorpommern-Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern abschneidet. Mehr als 40 Prozent hat die rechte Partei dort schon erhalten. Die Initiative möchte mit politischer Bildungsarbeit dagegen angehen, aber auch, indem sie für Lösungen der Probleme kämpft, mit denen sich die Bevölkerung in ländlichen Gegenden herumschlägt.

Gleich bei ihrer ersten Aktion haben die jungen Leute bereits ein Etappenziel erreicht. Sie sammelten 1700 Unterschriften für eine Petition, dass in den Rufbussen im Landkreis künftig das günstige Deutschlandticket gilt, wie es im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte bereits der Fall ist.

Der Kreistag hat auf Antrag der Linksfraktion nun immerhin schon beschlossen, dass Landrat Michael Sack (CDU) das Anliegen prüfen und bis 1. September einen Vorschlag unterbreiten soll, wie das gehen könnte. Teil des Prüfauftrags ist auch, wie bisher nicht angeschlossene Ortschaften ins Rufbusnetz eingebunden werden können, und außerdem, wie und ab wann die Betriebszeiten des Rufbusses bis 20.30 Uhr ausgedehnt werden könnten.

Bis jetzt gehe offiziell nach 18 Uhr und real bereits ab 17.30 Uhr nichts mehr, erläutert Johannes Hecht von der Bürgerinitiative. Der 40-Jährige arbeitet auch als sachkundiger Einwohner im Infrastrukturausschuss des Kreistags mit. Die Linksfraktion hat ihn dorthin entsandt.

Hecht ist von Beruf Lehrer und in Wietzow aufgewachsen, einem Dorf mit nur 65 Einwohnern im Tollensetal. Inzwischen wohnt er dort auch wieder. Will er nach Berlin, fährt er sommers wie winters 13 Kilometer mit dem Fahrrad zum nächstgelegenen Bahnhof. Ein Linienbus, in dem das Deutschlandticket jetzt schon gilt, kommt nur ein einziges Mal in der Woche dienstags. Ansonsten bringt früh um 6.30 Uhr ein Schulbus Kinder und Jugendliche zum Unterricht und um 14.30 Uhr zurück nach Hause. In den Schulbus dürfen auch Erwachsene einsteigen, die zum Arzt oder zum Einkaufen in die Stadt wollen. Aber sie müssen dann entsprechend früh aufstehen und auch beizeiten zurückkehren.

»Viele Menschen auf dem Land und in den kleinen Städten in Vorpommern-Greifswald sind nur sehr ungenügend an den Linienbus angebunden.«

Johannes Hecht Bürgerinitiative

Am Wochenende und in den Schulferien kommt auch kein Schulbus. Dann bleibt nur der in Vorpommern-Greifswald Ilsebus genannte Rufbus, für den sich Fahrgäste spätestens eine Stunde vorher per Mobilfunk-App oder per Telefon anmelden müssen – sonst wird ihre Haltestelle nicht angesteuert. Mit dem Deutschlandticket gibt es allerdings nur einen Rabatt von zehn Prozent auf den Fahrpreis im Rufbus. Johannes Hecht schildert das Beispiel einer Mutter aus der Bürgerinitiative. Sie habe drei Kinder, von denen zwei noch den Kindergarten besuchen. Werden auch diese eingeschult und wollen alle drei in den Ferienhort, so müsste die Mutter dafür einen Fahrpreis von insgesamt täglich um die 40 Euro berappen.

»Viele Menschen auf dem Land und in den kleinen Städten in Vorpommern-Greifswald sind nur sehr ungenügend an den Linienbus angebunden«, heißt es in der Petition und sagt auch Johannes Hecht. Städte wie Greifswald und Wolgast seien mit dem Rufbussystem nicht zu erreichen und Anklam mit Umsteigen nur mit großen Schwierigkeiten, beklagt der 40-Jährige.

Dorfbewohner ohne Pkw seien abgeschnitten, hieß es nicht von ungefähr in der Sachdarstellung des vom Kreistag angenommenen Antrags. »Das betrifft vor allem ältere und jüngere Menschen, die sich die Kosten eines Autos und Führerscheins nicht leisten können. Damit werden auch die soziale und kulturelle Teilhabe sowie der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung eingeschränkt.«

Noch ist die Bürgerinitiative aus dem Tollensetal, die sich keinen speziellen Namen gegeben hat, beim Rufbus nicht am Ziel. Ihre Petition läuft vorerst weiter und kann noch mehr Unterschriften gebrauchen. Die engagierten jungen Leute haben derweil schon ein neues Thema im Auge: Kommunen sollen finanziell deutlich mehr von den auf ihrem Territorium aufgestellten Windrädern profitieren.

Übrigens habe, so berichtet Johannes Hecht, von den AfD-Kreistagsabgeordeten einer für den Ilsebus-Antrag gestimmt. Zwei haben sich enthalten und die übrigen stimmten dagegen.

https://www.openpetition.de/petition/online/besseres-rufbussystem-volle-anrechnung-des-d-tickets-im-ilsebus

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