Kathedrale aus Beton und Wasser

Das neue Schiffshebewerk Niederfinow soll nach 14 Jahren Bauzeit am 4. Oktober eröffnet werden

Dreimal kurz hintereinander ertönt im neuen Schiffshebewerk von Niederfinow (Barnim) eine Sirene. Es geht los. Als wäre es ein Klacks, befördern die Motoren den mit 10 000 Tonnen Wasser gefüllten Trog nach oben. Dabei wird erstaunlich wenig Energie verbraucht. An dicken Stahlseilen angehängte Gegengewichte aus Beton sind ebenfalls 10 000 Tonnen schwer und halten den Trog quasi in der Schwebe. Das Prinzip ist abgesehen von dem alten Schiffshebewerk von 1934, das direkt danebensteht. Die denkmalgeschützte Stahlkonstruktion gilt als Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst und zieht jährlich rund 150 000 Besucher an. Zu DDR-Zeiten bestaunten sogar bis zu 500 000 Besucher im Jahr die ausgefeilte Technik.

Doch nun soll das neue Schiffshebewerk übernehmen. Es ist größer und länger, zwar nicht ganz so ansehnlich, hat aber auch seinen Reiz. Die Architektur orientiere sich an der Klosterkirche von Chorin, erläutert Dietrich Rolf, Leiter des verantwortlichen Wasserstraßen-Neubauamts Berlin. Er spricht deshalb immer von einer »Kathedrale des Ingenieurwesens«.

Geschichte und technische Angaben
  • Zur Eröffnung des alten Schiffshebewerks im Jahr 1934 erschienen die hochrangigen Nazifunktionäre Hermann Göring und Rudolf Heß. Sie sonnten sich im Glanze dieses Bauwerks, das 27,5 Millionen Reichsmark gekostet hatte, obwohl die Faschisten rein gar nichts zu seiner Errichtung leisteten. Geplant war es schon lange, bevor sie an die Macht gelangten.
  • Das neue Schiffshebewerk ist 54,55 Meter hoch, 133 Meter lang und 546,40 Meter breit, das alte Hebewerk 52 Meter hoch, 94 Meter lang und 27 Meter breit.
  • Im neuen Schiffshebewerk sind 8900 Tonnen Stahl und 65 000 Kubikmeter Beton und Stahlbeton verbaut. Das alte Schiffshebewerk enthält 18 000 Tonnen Stahl und 72 000 Kubikmeter Beton und Stahlbeton.
  • Das neue Hebewerk ist für 11,45 Meter breite Schiffe zugelassen, das alte für 9,50 Meter breite. af

    Eigentlich sollte das neue Schiffshebewerk bereits 2014 fertig sein. Doch statt der ursprünglich anvisierten sechs Jahre dauerte der Bau 14 Jahre. Am 22. September soll er abgenommen und am 4. Oktober feierlich eröffnet werden. Dann wird auch verkündet, was es gekostet hat. 245 Millionen Euro waren ursprünglich einmal kalkuliert. Aber da es länger gedauert hat und unterdessen die Preise gestiegen sind, ist es klar, dass es wesentlich teurer wurde.

    Das alte Schiffshebewerk noch ewig weiterzubetreiben, wäre aber auch nicht billig. Die Stahlseile müssen alle 30 Jahre ausgetauscht werden und der Anstrich für den Rostschutz ist aufwendig. Wegen der längeren Bauzeit des neuen Schiffshebewerks ist an dem historischen Hebewerk alles Notwendige noch einmal frisch erneuert worden. So ist es noch für die nächsten zehn Jahre betriebsbereit. Dann wird man sehen müssen.

    Eine touristische Attraktion bleibt es auf jeden Fall. Aber auch das neue Hebewerk können Interessierte künftig bei Führungen in Augenschein nehmen. Auf ihre Weise sind die beiden Schiffshebewerke fast einzigartig. Etwas Ähnliches gibt es nur am Fluss Jangtse in China, noch einmal eine Nummer größer. Dort ging 2016 das weltgrößte Schiffshebewerk in Betrieb. Die Kollegen von dort haben sich auch einmal auf der Baustelle in Niederfinow umgesehen. Man pflegt einen Erfahrungsaustausch.

    Die 36 Meter hinauf und hinab, um den Höhenunterschied am Oder-Havel-Kanal zu überwinden, benötigt der Trog des neuen Hebewerks lediglich drei Minuten. Wesentlich mehr Zeit erfordert es, die Schiffe hineinzumanövrieren, was besonders den Freizeitkapitänen nicht immer so schnell gelingt, und die Tore zum Trog zu öffnen und zu schließen. 16,5 Minuten dauert eine Schleusung insgesamt. Das ist dreieinhalb Minuten schneller als bei dem alten Schiffshebewerk nebenan. Dort werden die Tore nach oben hochgezogen, hier werden sie nach unten abgesenkt. Gurgelnd schießt das Wasser zwischen die beiden Stahlplatten, bevor sie nach unten verschwinden und den Weg zum Kanal freigeben. Es kann auch Luft eingeblasen werden, was dazu dient, die neue Anlage im Winter eisfrei zu halten. Erst wenn der Kanal zugefroren ist, müsste das Hebewerk Pause machen. Sonst könnte es ganzjährig betrieben werden, berichtet der Baubevollmächtigte Raphael Probiesch. Das war beim alten Hebewerk nicht möglich. Nach oben offen, setzt das neue Hebewerk den beförderten Schiffen keine Grenzen. Erst das Sicherheitstor Richtung Havel hin setzt ein Limit von 5,25 Metern. Das genügt, um auf den Binnenschiffen zwei Lagen Container übereinanderzustapeln und noch durchfahren zu können. Durch das alte Hebewerk passt nur eine Lage. Drei Lagen sind sowieso nicht drin, denn dafür sind die Brücken auf der Strecke von Szczecin bis Eberswalde nicht ausgelegt.

    Gesteuert wird das Schiffshebewerk per Computer an einem Bedientisch von einer einzigen Person. Im Moment wird im Probebetrieb die Software getestet, während zwei Arbeiter mit einem Einkaufswagen voller Feuerlöscher unterwegs sind, um diese an den dafür vorgesehenen Stellen anzubringen.

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