BVG muss U-Bahn-Wartung umkrempeln

Landesunternehmen braucht rund eine halbe Milliarde Euro für Betriebsgleis und Werkstätten

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Schicht im Schacht: Die Fläche der denkmalgeschützten Hauptwerkstatt an der Seestraße ist nicht erweiterbar.
Schicht im Schacht: Die Fläche der denkmalgeschützten Hauptwerkstatt an der Seestraße ist nicht erweiterbar.

325 Millionen Euro. So viel Geld brauchen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in den kommenden Jahren, um mit einem zeitgemäßen Instandhaltungskonzept die Betriebswerkstätten der U-Bahn für Hunderte neuer Wagen zu ertüchtigen, die demnächst anrollen. »Das ist allerdings der Preisstand von 2019«, sagt Staatssekretär Markus Kamrad (Grüne) während der Baustellenrundfahrt des Hauptausschusses des Abgeordnetenhauses beim Stopp an der Seestraße in Wedding vor einigen Tagen. Legt man den Baupreisindex für Gewerbebauten des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg zugrunde, wären mit Stand August 2022 schon 436 Millionen Euro nötig, um die drei Betriebswerkstätten und die Hauptwerkstatt aus- und umzubauen. Außerdem muss ein maroder Verbindungstunnel zwischen U5 und U8 für viel Geld neu gebaut werden. Doch dazu später mehr.

Laut BVG führt an der Investition in die Werkstätten kein Weg vorbei. »Ansonsten werden wir ab 2032 nicht mehr in der Lage sein, die Instandhaltung des Fahrzeugparks zu gewährleisten«, sagt Stefan Kärgel, Abteilungsleiter U-Bahn-Fahrzeuge bei dem Landesunternehmen. »Wir würden jedes Jahr mehr Fahrzeuge abstellen, bis ein Netzteil der U-Bahn komplett eingestellt werden muss«, so die mögliche Konsequenz.

Um das zu verhindern, will die BVG ihr komplettes Instandhaltungsregime bei der U-Bahn umkrempeln. Bisher läuft es so: Nach spätestens 30.000 Kilometern Laufleistung oder einem halben Jahr durchlaufen die Wagen eine kleine Inspektion. Die erfolgt derzeit in den drei Betriebswerkstätten Grunewald (für das sogenannte Kleinprofil der Linien U1 bis U4), Britz (für die sogenannten Großprofillinien U6 bis U9) sowie Friedrichsfelde (für die U5, ebenfalls eine Großprofillinie).

Nach acht Jahren oder 960.000 Kilometern Laufleistung erfolgt die sogenannte Hauptuntersuchung. Die Züge der Linien U5 bis U9 durchlaufen diese zwei bis drei Monate dauernde Untersuchung, bei der das Fahrzeug komplett auseinandergenommen und nach Aufarbeitung wieder zusammengebaut wird, in der Hauptwerkstatt Seestraße, die anderen Linien bisher meist in Grunewald.

Die Hauptuntersuchung in der jetzigen Form soll künftig abgeschafft werden. Stattdessen sollen die dabei durchgeführten Arbeiten scheibchenweise bei den halbjährlichen Inspektionen mit erledigt werden. Komponenten sollen zunächst getauscht und unabhängig vom Fahrzeug instand gesetzt werden. Bis auf kleine Details sei das mit der zuständigen Technischen Aufsichtsbehörde abgestimmt, erläutert BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt. Inzwischen verfahren auch einige Eisenbahn-Betreiber nach diesem Prinzip.

Mit der anrollenden Auslieferung der Serienzüge der neuen Zugtypen J und JK würde das bisherige Prinzip an seine Grenzen kommen. Bis zu 1500 Wagen könnten geliefert werden, allein bis Ende 2025 sollen 376 Wagen kommen. Die Vertragsbedingungen sehen einen Lieferrhythmus von einem Vier-Wagen-Zug alle fünf Werktage vor – über 200 Fahrzeuge pro Jahr. Derzeit schafft die Hauptwerkstatt aber nur bis zu 106 Wagen jährlich.

Nach dem Jahr 2031 müssten laut Projektion der BVG massiv Fahrzeuge abgestellt werden. Mit 118 Wagen wären 2032 etwa sieben Prozent des Wagenparks betroffen, 2035 stünde wegen des sogenannten Fristablaufs schon jedes fünfte Fahrzeug auf dem Abstellgleis. Denn die Fläche der denkmalgeschützten und komplett von Bebauung umgebenen Anlage an der Seestraße ist nicht erweiterbar. Außerdem bräuchte die BVG viel zusätzliches Personal, das zwar einige Jahre gut zu tun hätte, wenn der Berg abgearbeitet ist, aber Däumchen drehen könnte.

Bis 2030 sollen in Friedrichsfelde und Britz neue Hallen für die zusätzlichen Aufgaben gebaut werden; die Hauptwerkstatt Seestraße wäre nur noch für die großen Untersuchungen an den bis 2006 gelieferten Baureihen zuständig – sowie für die Komponentenfertigung. Künftig sollen auch die älteren Kleinprofilfahrzeuge dort ihre Hauptuntersuchung erhalten. Bisher geschieht das größtenteils noch in der Werkstatt Grunewald am Bahnhof Olympiastadion der U2. Doch die Flächen werden dort für die Abstellung der zusätzlichen Züge gebraucht, die in den nächsten Jahren anrollen.

Entgegen vieler Vermutungen ist die Spurweite der Gleise im Klein- und Großprofil der Berliner U-Bahn gleich. Allerdings sind die Fahrzeuge auf den Linien U1 bis U4 nur 2,30 Meter breit, im Rest des Netzes sind es 35 Zentimeter mehr. Auch bei anderen Maßen und elektrotechnisch unterscheiden sich die beiden Profile.

In Britz sind für die Erweiterung bereits Grundstücke angekauft worden, in Friedrichsfelde reichen die bestehenden Flächen aus. Investitionen in die U-Bahn-Werkstätten der BVG sind seit Jahren überfällig, im größeren Stil erfolgten sie an der Seestraße beispielsweise zuletzt 1985. Das führt dazu, dass die ab 1995 beschafften durchgängigen Sechs-Wagen-Züge vom Typ H nicht am Stück in die Halle passen. Sie müssen aufwendig entkuppelt und rangiert werden. Immerhin ist die Produktivität in der Hauptwerkstatt in den vergangenen vier Jahren bei gleichem Personalstand vervierfacht worden. 2018 durchliefen gerade mal 28 Wagen die Hauptuntersuchung.

Offiziell führt die BVG die geringe Fahrzeugverfügbarkeit – planmäßig steht ein Viertel der Flotte nicht für den Fahrgasteinsatz zur Verfügung – vor allem auf das hohe Alter der Fahrzeuge und die 17 unterschiedlichen Wagentypen zurück, die derzeit im Einsatz sind. Doch Experten kritisierten schon lange, dass überholte Wartungskonzepte eine große Mitschuld haben. Anfang 2019 wurde der Fahrplan auf den Linien U6, U7 und U9 in der Hauptverkehrszeit ausgedünnt, vor 2024 wird es keine Rückkehr zum alten, dichteren Angebot geben. Geschweige denn die angekündigte Verdichtung des Takts zur Hauptverkehrszeit auf einen Zug alle 3,3 Minuten auf den meisten Linien.

Die benötigte halbe Milliarde Euro für eine adäquate Wartungskapazität komplett macht der nötige Neubau der Spreequerung des Waisentunnels in Mitte. Diese einzige Verbindung der U5 und damit auch der Betriebswerkstatt Friedrichsfelde mit dem Rest des Netzes führt zur U8 und ist seit 2017 gesperrt. Seitdem ist deshalb die Betriebswerkstatt Britz überlastet. Planmäßig sollte sie eigentlich nur für die Züge der U6 und U7 zuständig sein, muss aber auch die der U8 und U9 übernehmen. Fahrzeugüberführungen zwischen der U5 und dem Rest des Netzes können nur per Tieflader erfolgen. Das ist teuer und erfordert einen längeren Vorlauf.

Der über 100 Jahre alte Waisentunnel ist irreparabel marode und muss neu gebaut werden. Das Planfeststellungsverfahren dafür läuft. Baubeginn könnte 2024 sein, die BVG rechnet mit einer Bauzeit von vier Jahren. Offiziell wird von Kosten von etwas über 50 Millionen Euro ausgegangen. Angesichts der Preissteigerungen der vergangenen Jahre rechnen Beobachter eher mit rund 100 Millionen Euro, um die nicht einmal 200 Meter lange Spreequerung neu zu bauen.

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