Kommt der Marshallplan für die Ukraine?

Kiew wirbt bei Geschäftsforum um Aufbauhilfe aus Deutschland

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 3 Min.
Russland hat in den vergangenen Wochen massiv die Infrastruktur der Ukraine angegriffen. Der Wiederaufbau wird lange dauern.
Russland hat in den vergangenen Wochen massiv die Infrastruktur der Ukraine angegriffen. Der Wiederaufbau wird lange dauern.

»Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht erst stattfinden muss«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz zur Eröffnung des deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforums »Rebuild Ukraine« am Montagmittag in Berlin. Angesichts der Zerstörung, die Russlands Armee in acht Monaten Krieg, insbesondere aber in den vergangenen zwei Wochen, im zweitgrößten Land Europas angerichtet hat, ein frommer Wunsch.

Über 130 000 zerstörte Wohngebäude, knapp 1000 Bildungseinrichtungen und Hunderte Infrastrukturobjekte – so umrissen ukrainische Vertreter*innen das Ausmaß der russischen Invasion. Nach internationalen Schätzungen bezifferten sich die Kriegsschäden bereits im Sommer auf 350 Milliarden US-Dollar, Kiew nennt dagegen nach wie vor eine Summe von 750 Milliarden, wobei diese den Wiederaufbau stärker einbezieht. Als Folge des Krieges ist bereits jetzt mehr als ein Viertel der Ukrainer*innen ohne Arbeit, die Wirtschaft ist um 30 Prozent eingebrochen und könne sich noch schlechter entwickeln, erklärte die Vizepremierministerin und Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Handel, Julia Swyryfenko.

Angesichts der Zahlen und des Ausmaßes der Zerstörung hatten der Bundeskanzler und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Vorfeld des Wirtschaftsforums einen Marshallplan für die Ukraine gefordert. In einem Video-Podcast hatte der Sozialdemokrat Scholz zudem von einer jahrzehntelangen Aufgabe der Weltgemeinschaft gesprochen, die Ukraine auf westeuropäisches Niveau zu hieven.

Genau darum ging es bei »Rebuild Ukraine«: die Einbindung des Landes in das europäische Wirtschaftssystem. Dementsprechen warb Denys Schmyhal, Premierminister der Ukraine, für den Wirtschaftsstandort. Die Ukraine, so Schmyhal, könne in Zukunft der Hub für den Verkehr zwischen Europa und Asien sein. Eine Rolle, die bis zu Kriegsbeginn vor allem Russland einnahm. Zudem will das Land saubere Energie in den Westen liefern – Schmyhal meinte damit auch die in Deutschland ungeliebte Atomenergie. Widersprüchlich war seine Aussage, die Ukraine könne nach Norwegen zweitgrößter Gaslieferant des Kontinents werden. Deutschland könne zudem vom gut entwickelten IT-Markt der Ukraine profitieren und auch im Bereich der Militärtechnik. Schließlich, so Schmyhal, habe die Armee in den acht Jahren seit der Krim-Annexion viel Erfahrung aufgebaut. Sein Land könne ein Booster oder ein Trampolin für die europäische Wirtschaft sein. Durch den Wiederaufbau würden sich »unglaubliche Möglichkeiten« für die europäische Wirtschaft eröffnen, zeigte sich Schmyhal überzeugt und versprach, die Risiken für ausländische Unternehmen zu minimieren.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck betonte die Bedeutung von Export- und Investitionsgarantien. Die Ukraine bezeichnete er als Premium-Handelspartner bei Rohstoffen und Wertschöpfungsketten. »Es ist dringend angesagt, dass mal ’ne deutsche Wirtschaftsdelegation da rüber fährt«, sagte Habeck.

Differenzen zwischen den Partnern, sofern sie beim Geschäftsforum offensichtlich wurden, scheint es vor allem in der Frage zu geben, wer beim Wiederaufbau die Fäden in der Hand halten soll. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze betont, dass die Ukraine am Steuer sitze und bestimme, was sie braucht. Aus der Wirtschaft gab es aber auch Kritik, wie von Knut Pielsticker, Geschäftsleiter von Bauer Spezialtiefbau. Er präsentierte eine »Wunschliste« an die ukrainische Seite. Darauf etwa die Forderung: keine eigene Plattform für Investitionen und Ausschreibungen. Kiew soll stattdessen lieber auf das Angebot der EU zurückgreifen, das bei Unternehmern viel bekannter ist. Pielsticker mahnte zudem, Regeln einzuhalten. So müsse am Ende sichergestellt sein, dass Bauunternehmen auch bezahlt werden.

Konkrete Maßnahmen wurden am Montag nicht besprochen. Deutschland will aber »akute Winterhilfe« leisten. Insbesondere geht es um Generatoren, damit die Menschen auch im Falle neuer Angriffe auf Strom- und Wärmeinfrastruktur durch den Winter kommen. 25 000 Generatoren brauche sein Land, auch um die Wasserversorgung aufrechtzuerhalten, sagte Olexij Tschernyschow, Minister für Entwicklung von Gemeinden und Territorien der Ukraine. Bisher stehen allerdings nur 6000 zur Verfügung.

Am Dienstag geht es mit der Aufbaukonferenz weiter, zu der auch Ursula von der Leyen kommen wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird eine Grundsatzrede halten.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal