Ein Schrittchen, nicht mehr

Berlin und Paris einigen sich über den Fortgang des Projektes FCAS-Luftkampfsystem

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Deutschland und Frankreich haben ihren Streit um die weitere Entwicklung des gemeinsamen Kampfflugzeugsystems (FCAS) beigelegt, teilte das deutsche Verteidigungsministerium kürzlich mit und tat so, als sei jetzt der Himmel klar und frei. »Auf dem Weg in Richtung Luftstreitkräfte der Zukunft in Europa zeigt sich erneut, dass wir die gewaltigen Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen können«, erklärte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Das französische Präsidialamt sah ein »wichtiges Signal der außergewöhnlichen Zusammenarbeit«.

In Wirklichkeit geht es nur um die nächste Programmphase für das Luftkampfsystem der sechsten Generation. 2018 unterschrieben Dassault Aviation und Airbus Defence and Space eine entsprechende Übereinkunft. 2019 stieg Spanien ein. Bis die bemannten und unbemannten Jets dann – so geplant – ab 2040 in die Verteidigungssysteme eingepasst werden können, wird es gewiss noch mehr Gelegenheiten für Streit geben.

Seit August 2021 verhandelten Dassault und Airbus, um das vergleichsweise kleine Problem zu überwinden. Auf deutscher Seite wurde immer wieder die »unterschiedliche Kultur« der Rüstungspolitik beider Staaten beklagt. Dassault, so hieß es auch, wolle den beteiligten Partnern nicht das notwendige Know-how offenlegen. In Paris dagegen moniert man, dass das deutsche Parlament – anders als das französische – allzu viele Rechte zur Mitwirkung hat. Zeitweise schien es, als wäre die Beendigung des Projekts nur noch eine Frage von Wochen. Nun setzte sich – so sagen Unterhändler – der politische Wille durch. Ab 2025 sollen zwei unterschiedliche FCAS-Demonstratoren in die Erprobung gehen.

Was Lambrecht als »großartigen Schritt« verkaufen will, täuscht nur schwer über grundsätzliche politische Differenzen zwischen Berlin und Paris hinweg. Wer erinnert sich noch an die Visionen, die Emmanuel Macron 2017 in seiner berühmten Rede vor der Sorbonne verbreitete?! Damals wollte der französische Präsident die EU insgesamt stark machen. Er warb nicht nur für mehr militärische Zusammenarbeit und Rüstungskooperation, sondern sogar für einen gemeinsamen Haushalt in der Eurozone.

Und heute? Die EU zerfasert, sogar das Berlin-Pariser Spitzenteam steckt in einer Beziehungskrise. Und das in einer Zeit, in der im Osten des Kontinents ein in seiner Bedeutung unwägbarer Krieg tobt, in der Energie- und Inflationsprobleme zu neuen Spannungen führen.

Eigentlich stand im Oktober der für das Funktionieren der Gemeinschaft zumindest symbolische deutsch-französische Ministerrat an. Man hat das Treffen kurzfristig und mit fadenscheinigen Begründungen auf Januar 2023 verschoben. Die gemeinsamen Konsultationen gibt es seit 1963, abgesagt oder verschoben wurden sie zuvor noch nie. Auch der jüngste Besuch des Kanzlers Olaf Scholz bei Emmanuel Macron strahlte nicht gerade innige Verbundenheit aus.

Im Moment scheinen beide Seiten auf Alleingang programmiert. Die Bundesregierung beschloss jüngst ein 200-Milliarden-Euro-Hilfspaket gegen steigende Gas- und Strompreise. Ohne vorher Paris zu informieren, was angesichts der erwartbaren Marktverzerrungen nur fair gewesen wäre. Mit Argwohn betrachtete man in Paris, dass Berlin zahlreiche neue Waffensysteme in Washington bestellt. Die deutsche Erklärung, dass solche Systeme in EU-Europa nicht zu haben sind, ignoriert man.

Als Deutschland mit rund einem Dutzend anderer Ländern – zu denen Frankreich nicht gehört – die »European Sky Shield Initiative« unterzeichnete, war das Fass am Überlaufen.

Verschiedene gemeinsame Rüstungsprojekte – wie beispielsweise ein neuer Seeaufklärer – stehen auf der Kippe. Dafür, so beschwichtigt man in Berlin, arbeite man gut zusammen bei der Entwicklung einer »Eurodrohne«. Gleiches kann man bei der weiter nur beschränkt möglichen Nutzung der »Tiger«-Kampfhubschrauber nicht sagen. Auch die Standardisierung und gemeinsame Neuentwicklung anderer Landsysteme kommt nicht voran.

Kaum noch vorzeigbar ist die deutsch-französische Brigade. Als gemeinsame Truppe kam die seit 33 Jahren bestehende und 5000 Soldatinnen und Soldaten starke Brigade ohnehin noch nie zum Einsatz. Das einst in Deutschland stationierte französische Panzerregiment wurde längst wieder in die Heimat beordert.

Was also bleibt, um die angebliche Größe der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu beschreiben? Ein paar deutsche Luftbetankungseinsätze für französische Jets im Rahmen von Anti-IS-Einsätzen. Im kommenden Jahr wird die gemeinsame Lufttransportstaffel mit ihren in den USA gekauften C-130H-Maschinen einsatzbereit sein. Wozu die aufgestellt wurde, weiß ohnehin kaum jemand. Jetzt über ein kosmisches Warnsystem zu reden, an dem Techniker beider Staaten arbeiten, erübrigt sich. Vor 2050 wird es vermutlich nicht einsatzbereit sein.

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