• Politik
  • Innenministerin Nancy Faeser

Ministerin für Ankündigungen

Initiativen beklagen uneingelöste Versprechen der Ampel im Kampf gegen rechts und Rassismus

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Faeser kündigt viel an, umgesetzt wurde davon aber bisher wenig.
Faeser kündigt viel an, umgesetzt wurde davon aber bisher wenig.

Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung kann sich noch gut an den Tag erinnern, als die Ampelparteien in Berlin vor fast genau einem Jahren ihren Koalitionsvertrag präsentierten. Die Freude sei damals groß gewesen, dass die Bundesregierung »mit notwendiger Klarheit« Rechtsextremismus als »die größte Bedrohung unserer Demokratie« bezeichnete. Eine Klarheit, die die Vorgängerregierung lange Zeit vermissen ließ, insbesondere Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der erst nach den rechtsterroristischen Anschlägen in Halle (Oktober 2019) und Hanau (Februar 2020) ein vorsichtiges Umdenken erkennen ließ, notwendige Reformen aber unterließ.

Die Freude war dann umso größer, als mit Nancy Faeser (SPD) seine Nachfolgerin die Amtsgeschäfte übernahm und sich wortwörtlich in ihre Arbeit stürzte. Die Vorschusslorbeeren auch aus Initiativen der Zivilgesellschaft schienen berechtigt, schob die neue Bundesinnenministerin doch reihenweise Reformprojekte an, sei es ein Demokratiefördergesetz, das Versprechen eines Partizipationsgesetzes und die Umsetzung eines ressortübergreifenden Aktionsplanes gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. »Wir müssen weg von der Ankündigung kleinteiliger Einzelmaßnahmen, die auf Behördenschreibtischen versanden«, meint auch Reinfrank. Doch die Regierung bleibe den versprochenen großen Wurf bisher schuldig.

Besonders ärgerlich: Zu viel passiere in den Ministerien weiterhin hinter verschlossenen Türen. »Uns wurde eine neue Kultur der Zusammenarbeit versprochen«, kritisiert Heiko Klare, Sprecher des Bundesverbands Mobile Beratung. Dabei könne die Bundesregierung nur gewinnen, würde sie Akteur*innen der Zivilgesellschaft stärker einbinden. »Dazu muss die Ampel verbindlich regeln, dass zivilgesellschaftliche Organisationen an der Entwicklung und Umsetzung aller Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit mitwirken können«, so Klare. Am Beispiel Demokratiefördergesetz zeigt sich, worin das Problem besteht. Zwar gab es im Sommer eine Anhörung in einem Unterausschuss des Bundestags, an der auch Klare und Reinfrank teilnahmen, doch ansonsten blieb der Austausch auf Augenhöhe kompliziert und überschaubar. Nur aus Hörsagen wissen sie, dass der seit September vorliegende Referentenentwurf wohl Mitte Dezember im Kabinett auf der Tagesordnung stehen soll, ehe sich der Bundestag im ersten Halbjahr nächsten Jahres damit beschäftigt. Dabei gibt es aus Sicht der Initiativen Gesprächs- und Nachbesserungsbedarf. So müsse es staatlichen geförderten Initiativen erlaubt sein, sich im Rahmen ihrer Satzungszwecke politisch zu engagieren, ohne dadurch fürchten zu müssen, womöglich die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Dies gehöre zur Demokratiearbeit dazu, sagt Klare.

Nicht nur nur für die Mobilen Beratungstellen ist das Demokratiefördergesetz von großer Bedeutung, soll dieses doch endlich eine langfristige Förderung lokaler Initiativen durch den Bund sicherstellen. Wie prekär die Situation ist, spürten viele Projekte gerade jetzt kurz vor Jahresende. In vielen Fällen warteten Vereine noch auf den Förderbescheid für 2023, so Klare. Sichere Planungen seien dadurch unmöglich.

Auch andere in der Zuständigkeit des Innenministeriums liegende wichtige Gesetzesvorhaben würden verschleppt, klagt Marianne Ballé Moudoumbou, Vertreterin der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen. Im Koalitionsvertrag kündigen die Ampelparteien ein Partizipationsgesetz an, das unter anderem die Einführung eines Partizipationsrates für Menschen mit Migrationsgeschichte nach dem Vorbild des Ethikrates verspricht. Auch würde ein solches Gesetz regeln, dass Bundesbehörden »eine ganzheitliche Diversity-Strategie mit konkreten Fördermaßnahmen, Zielvorgaben und Maßnahmen für einen Kulturwandel« einführen müssten. Doch bisher gibt es noch nicht einmal einen Entwurf, kritisiert Moudoumbou. Ebenso gut gemeint, aber nicht konsequent umgesetzt sei die neu geschaffene Position einer Antirassismus-Beauftragten, das Amt übt die SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan aus. »Ein starkes Zeichen« sei dies gewesen, so Moudoumbou. Doch die geringe Ausstattung mit Ressourcen und Befugnissen lässt »die Befürchtung aufkeimen, dass es sich bei vielen Vorhaben wieder nur um leere Versprechen handeln könnte«.

Nicht gerade leichter machen es die seit Monaten durch das politische Berlin geisterende Gerüchte um Faeser. Aus ihrem hessischen SPD-Landesverband, dem sie auch als Vorsitzende vorsteht, gibt es lautstarke Rufe, die 52-Jährige solle Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der 2023 stattfindenden Landtagswahl werden. Eine definitive Absage seitens Faesers gibt es bisher nicht, erst im Frühjahr will die Hessen-SPD eine Entscheidung verkünden. Bis dahin bleibt es wohl eine unangenehme Hängepartie.

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