Mikroplastik am Meeresgrund

Plastikpartikel gelangen über natürliche Prozesse in die Tiefe des Ozeans und beeinflussen den natürlichen Kohlenstoffkreislauf

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 5 Min.

Unsere Weltmeere sind dabei, sich sukzessive in eine Müllhalde zu verwandeln. 2020 bargen sie nach wissenschaftlichen Schätzungen rund 150 Millionen Tonnen Plastik. Modellrechnungen zeigen, dass nur etwa ein Prozent davon an der Oberfläche schwimmt. Der größte Teil findet sich am und im Meeresboden, wo die Plastikkonzentration 10 000-fach über der an der Oberfläche liegt.

Wind, Sonne und Wellen zerlegen die auf dem Wasser treibenden Kunststoffe in immer kleinere Fragmente. Eine internationale Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift »Environmental Science and Technology« erschien, zeigt, dass die zu Mikroplastik zermahlenen Partikel schließlich Teil des Meeresschnees werden und mit diesem in die Tiefe transportiert werden.

Das Phänomen des Meeresschnees ist schon lange bekannt. Klassischerweise handelt es sich dabei um abgestorbenes Phytoplankton, Algenreste oder Fäkalien kleiner Lebewesen, die, durch sogenannte marine Gele zusammengehalten, Aggregate von bis zu einigen Zentimetern Durchmesser bilden. Von den oberen hundert Metern des Meeres, in die das Sonnenlicht noch dringt, sinken sie je nach Gewicht schneller oder langsamer in die Tiefe. Wie die Analyse von Proben beweist, die die Wissenschaftler*innen 2019 am Nordatlantikwirbel vor den Azoren nahmen, gilt das auch für die integrierten Mikroplastikteilchen von 0,01 bis 0,1 Millimeter.

Der Ort war bewusst gewählt: Wie andere Ozeanwirbel stellt er einen Plastik-Hotspot dar. »Wir wollten eine Prozessstudie an einem Ort durchführen, wo man Plastik in einer Menge findet, die quantifizierbar ist«, erklärt die Projektleiterin Anja Engel vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Ziel der Studie war es zu ermitteln, wie schnell der Müll in die Tiefe gelangt. Dafür setzten die Forscher*innen über einen bestimmten Zeitraum in 50 bis 600 Meter Tiefe treibende Sinkstofffallen ein und führten optische und chemische Analysen durch. »Es sind meines Wissens nach die ersten Messungen in diesem Gebiet in diesem Tiefenbereich«, betont Engel. Die größten Plastikmüllkonzentrationen fanden sie in 100 bis 150 Meter Tiefe.

Bislang ging man davon aus, dass der gesamte organische Kohlenstoff, der in die Tiefe transportiert wird, aus der Primärproduktion – also aus der Fotosynthese von Algen, Cyanobakterien und Seegras – stammt und damit zur Reduktion von CO2 aus der Atmosphäre beiträgt. Dem ist aber offensichtlich nicht so. Nach Ergebnissen von Engel und ihrem Team stammen bis zu 3,8 Prozent des Meeresschnees im Nordatlantischen Wirbel aus zersetztem Plastikmüll.

Dies ist in mehrerlei Hinsicht ein Problem: »Wenn wir uns die große Frage stellen, wie viel CO2 der Ozean aufnimmt, sind wir angewiesen auf bestimmte Analyseverfahren. Und da ist das menschengemachte Plastik eine Störgröße«, stellt die Biogeochemikerin fest. »Als Wissenschaftler müssen wir uns bewusst sein, dass das, was wir messen, nicht nur der natürliche Prozess ist, sondern unsere Messungen kontaminiert werden – durch Müll im Meer.«

Hinzu kommen ökologische Folgen: »Je mehr Plastikpartikel im Meeresschnee enthalten sind, desto größer ist das Risiko für Meerestiere, die sich davon ernähren«, warnt die Erstautorin der Studie, Luisa Galgani. Auch am Meeresgrund laufen Organismen Gefahr, Mikroplastik aufzunehmen. Wie viel des gefressenen Mikroplastiks Krebstierchen einfach wieder ausscheiden oder was geschieht, wenn Nanoplastikpartikel in das Gewebe der Organismen eingebaut werden, wisse man jedoch noch nicht, sagt Engel.

In den letzten Jahren sind allerdings mehrere Studien dazu erschienen, wie sich die Aufnahme von Mikroplastik auf den menschlichen Körper auswirkt. Die Ergebnisse sind alles andere als beruhigend: So zeigte sich, dass die Partikel die menschliche Darmbarriere durchdringen können und eine dauerhafte Exposition mit Mikroplastik in niedriger Konzentration zu lokalen Entzündungsreaktionen und möglicherweise später zu Krebs führen kann.

Die israelischen Forscher*innen Andrey Rubin und Ines Zucker fanden zudem heraus, dass sich Mikroplastik in Kombination mit schwer abbaubaren Verbindungen toxischer auf den menschlichen Körper auswirkt als reines Mikroplastik. Je kleiner die Partikel, desto schädlicher erwiesen sie sich, denn sie böten eine größere Oberfläche, an die sich gefährliche Chemikalien haften könnten.

Mit der Herkunft von rund 550 Kilogramm Hartplastik aus dem weltweit größten Plastikmüllstrudel im Nordpazifik beschäftigten sich niederländische und Schweizer Forscher*innen in einer weiteren Studie, die bereits im September dieses Jahres im Fachjournal »Scientific Reports« erschien. Das untersuchte Plastik hatte die gemeinnützige Organisation »The Ocean Clean Up«, der einige der Autor*innen angehören, dort geborgen.

Von den identifizierbaren Plastikobjekten standen Fischerei- und Aquakulturzubehör mit 26 Prozent an erster Stelle. Schwimmer und Bojen machten zwar nur drei Prozent aus, stellten aber aufgrund ihrer Größe mehr als ein Fünftel der Gesamtmasse. Bei 13 Prozent der Funde handelt es sich um Lebensmittel- und Wasserverpackungen, bei 14 Prozent um Haushaltswaren.

Nur ein kleiner Teil des Mülls enthielt Hinweise darauf, wo er produziert worden war. Dabei dominierten Objekte aus Japan, China, Korea, den USA und Taiwan. Dagegen fehlten auf dem Müll Hinweise auf die Länder, deren Flüsse besonders stark mit Plastik verschmutzt sind, der größte Teil schien direkt auf dem Meer verklappt worden zu sein.

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