Strafzoll zugunsten des Klimas

Der geplante CO2-Grenzausgleich der EU könnte die Emissionspolitik rund um die Welt beeinflussen

  • Christian Mihatsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Bislang waren die Klima- und die Handelspolitik strikt getrennt, doch das ändert sich gerade, wie die Aufregung um das US-Inflationsreduktionsgesetz zeigt. Aus Sicht der EU verstößt die »Buy-American«-Klausel gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Aber auch die EU plant gerade eine durchaus kontrovers diskutierte Maßnahme, um den Welthandel klimafreundlicher zu machen: den sogenannten CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz: CBAM).

Noch im Dezember könnte in Brüssel darüber entschieden werden, dass die Importeure von besonders CO2-intensiven Gütern einen Grenzausgleich, also eine Art Zoll, bezahlen müssen, wenn im Herstellungsland laxere Klimaregeln gelten als in der EU. Anfangs soll dieser Zoll für fünf Produktgruppen gelten: Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Dünger sowie Strom. Begründung: Wer diese Produkte in der EU herstellt, muss für seinen Treibhausgasausstoß Verschmutzungsrechte im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems erwerben; diese kosten aktuell 85 Euro pro Tonne CO2. Dadurch haben EU-Produzenten einen Kostennachteil gegenüber Unternehmen aus Ländern, in denen es keinen CO2-Preis gibt. Der Grenzausgleich soll daher zweierlei erreichen: Zum einen soll dieser Kostennachteil ausgeglichen werden, damit der Anreiz wegfällt, außerhalb der EU zu produzieren. Zum anderen sollen andere Länder einen Anreiz erhalten, ebenfalls einen CO2-Preis einzuführen, um den Grenzausgleich zu vermeiden. Das würde auch dem Klima nutzen.

Der neue Mechanismus, für den sich vor allem die französische Regierung stark gemacht hat, könnte nach bisherigem Stand bereits im Januar eingeführt werden. In einer Übergangsphase von drei Jahren müssten die Importeure dann melden, wie viel CO2 bei der Produktion ihrer Güter emittiert wurde. Ab 2026 müssten sie für die Emissionen den Grenzausgleich bezahlen. Damit hätten die Exportländer genug Zeit, auch einen CO2-Preis einzuführen. Ob der enge Zeitplan in Brüssel eingehalten werden kann, ist allerdings nicht sicher, da bisher nicht geklärt ist, wie mit EU-Exporten CO2-intensiver Güter umgegangen werden soll. Der Grenzausgleich soll ja lediglich sicherstellen, dass EU-Produzenten auf dem Binnenmarkt keinen Kostennachteil haben. Beim Export konkurrieren sie aber weiterhin mit Herstellern aus Ländern ohne CO2-Preis. Dies ließe sich ausgleichen, indem man EU-Produzenten kostenlose Verschmutzungsrechte für ihre Exporte zuteilt. Doch wie das geschehen soll, ist noch nicht entschieden. Zudem soll der EU-Grenzausgleich nur unbedingt den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) entsprechen. Dazu müsste die EU nachweisen können, dass sie Hersteller aus Drittländern nicht diskriminiert.

Sobald ein CBAM eingeführt wird, wollen Exportländer CO2-intensiver Güter per Klage prüfen, ob sich die EU an die WTO-Regeln hält. Gleichzeitig deutet aber immer mehr darauf hin, dass diese Länder davon ausgehen, dass der Mechanismus WTO-konform ist, und die Einführung eines CO2-Preises prüfen. Damit würde eine EU-interne Regel Wirkung in Drittländern entfalten. Dieser »Brüssel-Effekt« ist bei vielen Produkten bekannt. Viele multinationale Konzerne halten sich global an EU-Regeln, da diese am striktesten sind und es weniger rentabel ist, unterschiedliche Produkte für verschiedene Länder herzustellen. Welche Zusatzstoffe eine Zahnpasta enthalten darf, entscheidet Brüssel also für die ganze Welt. Und CBAM könnte künftig darüber entscheiden, wie hoch der CO2-Preis für Hersteller von Stahl, Aluminium oder Dünger in Ländern wie China, Südafrika oder Brasilien ist. Dies zumindest legt eine Studie des niederländischen Clingendael-Instituts nahe: CBAM werde »die erste EU-Politik sein, die Emissionen der Industrie in Drittländern betrifft und nicht nur die Emissionen der Industrie innerhalb der EU«, so der außenpolitische Thinktank.

Die Clingendael-Autoren führen weitere Beispiele auf: China führt ein Emissionshandelssystem ein, und »führende Vertreter der chinesischen Industrie glauben, dass China einen Wettbewerbsvorteil haben wird, da viele Schwellenländer keinen CO2-Preis haben«. Indische Hersteller wiederum könnten sich durch CBAM einen Wettbewerbsvorteil für den Export in die EU verschaffen, da sie weniger Konkurrenz hätten. Sehr viel weniger Konkurrenz dürfte es aber nicht sein: Marokko, die Türkei, Kanada und die Staaten im Westbalkan überarbeiten derzeit ihre Klimapolitik und planen die Einführung eines Emissionshandelssystems. Ähnliches trifft auf Malaysia, Australien, Südafrika und Brasilien zu.

Der »Brüssel-Effekt« hat aber auch seine Grenzen: Ob die USA jemals einen CO2-Preis einführen werden, bleibt abzuwarten. Die Studie warnt zudem davor, dass einige Länder wie Ägypten, Algerien, Mozambique und Nigeria Hilfe benötigen könnten, um CBAM-konform zu werden. Die Verknüpfung von Handels- und Klimapolitik dürfte ansonsten zulasten des globalen Südens gehen.

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