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  • Fußball-WM in Katar

Bloß keine Kontroverse

In Katar ist Pressefreiheit ein Fremdwort. Die WM-Journalisten werden auch nur temporär geduldet

  • Ronny Blaschke, Doha
  • Lesedauer: 5 Min.
Fotos von den Stadion-Bauarbeitern in Katar gab es zumeist nur aus der Ferne. Ihre Unterkünfte durften Journalisten auch nicht betreten.
Fotos von den Stadion-Bauarbeitern in Katar gab es zumeist nur aus der Ferne. Ihre Unterkünfte durften Journalisten auch nicht betreten.

Stoßstangenobservation. Mit diesem Begriff musste sich Benjamin Best im Dezember 2021 in Katar vertraut machen. Zum wiederholten Mal recherchierte der WDR-Journalist zu menschenunwürdigen Bedingungen der Arbeitsmigranten. Sobald er in Doha das Hotel verließ, wurde er von zwei Fahrzeugen verfolgt. »Wir hatten ständige Begleitung. Man wollte uns das Gefühl vermitteln, dass wir unter Beobachtung stehen«, sagt Best. »Bei einigen Kollegen hat diese Einschüchterung funktioniert.«

Auch jetzt bei der Fußball-Weltmeisterschaft wurden Journalisten in ihrer Arbeit behindert. Dem Dänen Rasmus Tantholdt vom Fernsehsender TV2 wurde von Sicherheitskräften angedroht, dass die eingesetzte Kamera zerstört würde. Er musste eine halbe Stunde warten, bis ein Vorgesetzter der Sicherheitsfirma dem TV-Team Recht gab. Später habe er eine Entschuldigung von den lokalen Organisationen erhalten, so Tantholdt. Der US-Amerikaner Grant Wahl1 wurde zur Löschung eines Fotos aufgefordert, nachdem er einen Slogan an einer Wand fotografiert hatte. Auch der Eintritt in ein WM-Stadion wurde ihm verwehrt, weil er ein Regenbogenshirt trug. Nach einem Protest durfte auch er samt Foto noch ins Stadion.

Diese Vorfälle zeigten: Katars Sicherheitskräfte sind es gewohnt, Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern. Erst der Eingriff der WM-Organisatoren sorgte zumindest temporär für neue Spielregeln. Katars Erbmonarchie will die WM als politische und ökonomische Plattform nutzen. Doha wirbt mit der glitzernden Fußballfassade um Investitionen, Touristen und Fachkräfte. Kaum ein Land investiert dabei so viel Geld in die eigene PR.

Wer hinter diese Fassade blicken möchte, muss mit Konsequenzen rechnen. Zu der überschaubaren Zahl kritischer Journalisten, die das schon früh wagten, gehört Benjamin Best. 2019 recherchierte er verdeckt in Arbeiterunterkünften. Seine Berichte von verweigerten Lohnzahlungen und Bilder von engen, dreckigen Unterkünften griffen etliche Medien auf. Best baute ein Netzwerk von Informanten auf, die ihm neue Videos schickten und von Lohnraub und Übergriffen der Vorgesetzten berichteten.

Katar möchte jedoch keine Kontroversen nach außen dringen lassen. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt das Land von 180 bewerteten Staaten Platz 119. Immer wieder wurden Journalisten verhaftet. Im November 2021 traf es den norwegischen Reporter Halvor Ekeland und seinen Kameramann Lokman Ghorbani. Laut Ekeland wurde ihre Ausrüstung beschlagnahmt und sie mussten sich 30 Stunden lang eine Zelle mit zwölf anderen Personen teilen: »Der Raum war winzig. Wenn man sich hinlegte, stieß man gegen eine Wand oder gegen den Kopf eines anderen.«

Das Pressegesetz von 1979 ermöglicht den Behörden eine Vorzensur von Publikationen in Katar. Das Gesetz gegen Cyberkriminalität von 2014 stellt zudem die Verbreitung von »Fake News« unter Strafe. »Die Gesetze sind oft so vage formuliert, dass die Regierung sie zu ihren Gunsten auslegen kann«, sagt Justin Shilad vom Committee to Protect Journalists (CPJ). Zu spüren bekam das der kenianische Blogger Malcolm Bidali. Er hatte in Katar als Sicherheitskraft gearbeitet. Mehrere Monate berichtete er unter falschem Namen über Ausbeutung und Diskriminierung, bis er im Mai 2021 festgenommen und mehrere Tage lang verhört wurde. Später sagte er, dass er ein vorformuliertes Geständnis auf Arabisch und eine Vereinbarung zur Geheimhaltung unterschreiben musste. Ein Anwalt sei ihm verweigert worden. Nach fast einem Monat in Isolationshaft wurde Bidali freigelassen.

Solche Fälle erschweren die Arbeit der Medienschaffenden in Katar, erläutert Shilad: »In diesem Klima der Angst ist die Selbstzensur unter heimischen Journalisten weitverbreitet. Auch Informanten ziehen sich zurück und wollen kaum noch mit Klarnamen zitiert werden.« Kritik am Herrscherhaus oder am Islam zu äußern, ist ohnehin verboten. Auch nun während der WM sind die Orte für Drehgenehmigungen in Katar stark limitiert.

Der Staat versucht, mit Repression die Deutungshoheit zu behalten. Doch darüber investiert Katar Milliarden in Technik, Kultur, Sport und Medien. Prominente Beispiele: die Fluglinie Qatar Airways, das Museum für Islamische Kunst in Doha oder der Nachrichtensender Al Jazeera. Institutionen, die das Land mit positiver Konnotation international im Gespräch halten sollen. Al Jazeera gilt als journalistisches Vorzeigemodell in der arabischen Welt, doch mit Kritik am lokalen Regime hält sich der Sender zurück.

Doha ist seit Jahrzehnten für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, gründete aber 2002 ein »Nationales Komitee für Menschenrechte«. Katar verzeichnet pro Kopf den höchsten CO2-Ausstoß der Welt, veranstaltete aber 2012 die UN-Klimakonferenz in Doha. Das Regime unterbindet Streiks und verbietet größere Demonstrationen, trat aber 2018 dem »Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte« der Vereinten Nationen bei. Insofern ist auch der mittlerweile mildere Umgang mit WM-Journalisten eher Feigenblatt als ein Zeichen echten Wandels.

1) Update: Der bekannte US-Journalist Grant Wahl (48) ist am Freitag – nach der ursprünglichen Veröffentlichung dieses Beitrags – während des WM-Viertelfinalspiels zwischen Argentinien und den Niederlanden (4:3 i.E.) im Stadion Lusail gestorben. Dies bestätigten seine Ehefrau und der US-Verband. Wahl war auf der Tribüne zusammengebrochen, nach Angaben des »Wall Street Journal« habe er einen Herzinfarkt erlitten. Bereits am Montag sei er im Krankenhaus gewesen. »Drei Wochen mit wenig Schlaf, viel Stress und viel Arbeit können einem das antun«, schrieb er selbst. Covid habe er nicht gehabt. Im Krankenhaus sei eine Bronchitis diagnostiziert worden. »Sie gaben mir ein Antibiotikum und einen starken Hustensaft, und ein paar Stunden später geht es mir schon etwas besser. Aber trotzdem: Nicht gut.« Wahl hatte unter anderem für »Sports Illustrated« und den Sender CBS gearbeitet, aus Katar berichtete er über seine eigene Internetseite.

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