Lange Schatten hinter Merz

Friedrich Merz ist CDU-Chef und will Kanzler werden – weit ist er dabei noch nicht gekommen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 7 Min.

Friedrich Merz ist ein Riese. Körperlich gesehen. Mit 1,98 Meter Körperlänge wirft er einen langen Schatten. Doch Friedrich Merz’ Problem ist, dass er wohl auf ewig im Schatten seiner Vorgängerin Angela Merkel steht, einer Frau von allenfalls mittlerer Größe. Aus diesem herauszutreten, gelingt Merz bisher nicht, wie sehr er sich auch anstrengt.

Einerseits ist das nur natürlich. Merkel war 16 Jahre lang Bundeskanzlerin, Merz ist seit einem Jahr Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag. Dass er damit Oppositionschef genannt wird, ist schon einigermaßen hochgestapelt; die übrigen Nichtregierungsfraktionen würden widersprechen. Merkel und Merz spielten bisher einfach in unterschiedlichen Ligen, was zu vergleichen deshalb ein wenig unfair ist.

Andererseits: Dass es nun ausgerechnet ihm zufällt, der CDU den Boden für eine Rückkehr an die Macht zu bereiten, das macht den Schattenvergleich schon sinnvoll. Ob der 67-Jährige tatsächlich einmal Kanzlerkandidat der Union wird, steht in den Sternen, nominell ist er jedenfalls am dichtesten dran. Er müsste also als Kanzler vorstellbar sein, das allein trägt ihm den Merkel-Vergleich ein. Bundeskanzler Friedrich Merz?

Er war schon Fraktionsvorsitzender vor 20 Jahren, hat vor einem Jahr dort weitergemacht, wo er 2002 gescheitert war. Merkel war der Grund, dass Merz eine 20-jährige Politikpause in der Wirtschaft machte, wenn auch eine lukrative beim Finanzdienstleister Blackrock. Die CDU-Vorsitzende Merkel beanspruchte damals den Fraktionsvorsitz für sich, schließlich gab Merz sich geschlagen, schied ein paar Jahre später auch als Abgeordneter aus. Merkel hatte damit erneut einen Machtkampf gewonnen. In einem Merkel-Stil. Ohne viel Tamtam, aber wirkungsvoll.

Bei Merz ist es umgekehrt. Mit seinen Auftritten und Äußerungen ist er ständig um Aufmerksamkeit bemüht. Großer Wirbel ist nicht selten die Folge; zu messbaren oder gar brauchbaren Ergebnissen ist es – außer für ihn – bisher nicht gekommen. Sein Markenzeichen ist der Vorschlag geblieben, die Steuererklärung so zu vereinfachen, dass sie auf einem Bierdeckel Platz hat.

Seit er vor einem Jahr Fraktionsvorsitzender der Union wurde, gefällt er sich in staatstragenden Auftritten, sorgt für Schlagzeilen von eher symbolischer Bedeutung; ein politischer Neuerungswert war bisher nicht zu erkennen. Bundeskanzler Olaf Scholz habe es bisher versäumt, in einer großen Rede den Aufbruch der Nation auszulösen, kritisierte Merz vor einigen Wochen im Bundestag. Zu gern würde er selbst diese große Rede halten, einen Aufbruch anstoßen. Aber wohin? Diese Antwort bleibt er schuldig.

Merz nahm drei Anläufe, CDU-Vorsitzender zu werden, nachdem Merkel 2018 ihren Rückzug eingeleitet hatte. Nach dem zweiten gescheiterten Versuch bot er sich keck als Wirtschaftsminister an – mit sofortiger Wirkung. Was die Kanzlerin nur ablehnen konnte, denn es gab ja schon einen. Minister wäre Merz wahrscheinlich ohnehin viel lieber geworden als Parteichef. Nun muss er sich damit begnügen, den fehlenden wirtschaftlichen Sachverstand des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck von den Grünen zu bemängeln. Wenn Habeck selbst schon keine Ahnung habe, müsse er wenigstens für kompetente Staatssekretäre sorgen, meinte er sinngemäß. Merke: Friedrich Merz hat Ahnung, aber mehr darüber wird vorerst nicht verraten. Eine tragfähige Idee für einen Ausweg aus der Krise hat Merz nicht geboten.

Merz war Verfechter neoliberaler Ansichten in krassester Form, als er 2009 zu Blackrock wechselte, dessen Aufsichtsratschef für Deutschland er am Ende war. Er war gegen Mindestlöhne und für die Privatisierung der Sozialversicherung, stellte Gewerkschaften und Steuern für Gutverdiener infrage. Blackrock – das passte. Für seine vermeintliche und eher geraunte als offengelegte Expertise muss nun gerade Merz’ Vergangenheit bei ebendiesem Finanzunternehmen herhalten. Blackrock, der wohl gewichtigste und zugleich undurchsichtigste Vermögensverwalter weltweit.

Große Teile der CDU und wohl auch ihrer Anhängerschaft hatten Merz immer als den Bewahrer jener konservativen Werte angehimmelt, um die sie sich von Merkel betrogen sahen, die als Chefin der Partei so wenig programmatisch war wie als Kanzlerin parteitypisch. Doch so oft Merz auch die »guten alten« Werte der CDU herauskramt – und das tut er oft –, so wenig verlässlich steht er andererseits dazu.

Als Erstes sorgte der neue CDU-Chef für eine Grundwertecharta, die die CDU auf Regierungskurs bringen soll – zur Selbstbesinnung und Neuorientierung, wie Merz dies zu verkaufen versuchte. Sie soll die Einleitung zu einem neuen Grundsatzprogramm sein; in dem alten wird noch die Wehrpflicht gefeiert, die von einer Merkel-Regierung abgeschafft wurde. Bei einem Blick in diese neuen Grundwerte zeigt sich aber ein Sammelsurium an Bekenntnissen, die in schöner Fortschrittsgeste Chancen-, Generationen- und Geschlechtergleichheit preisen. Knöcherne konservative Weltfantasien sucht man darin vergeblich. Eine Partei der Mitte und der vielen will die CDU demnach sein, und man fragt sich, wo darin ihr Vorsitzender Platz finden soll, wenn er doch eigentlich ein Vertreter des vormodernen Konservatismus sein will.

Er selbst hat offenbar begonnen, sein Bild aufzuhübschen, um für die Zeit einer Kanzlerkandidatur gewappnet zu sein. Dabei hält er sein Bild eines Konservativen von altem Schlag aufrecht, so gut es geht – schließlich hat er den Anhängern ebendieses alten Fritz seinen heutigen Ruf und seine Stellung zu verdanken. Er wettert gegen die Ampel-Koalition, wo sich Gelegenheit bietet, fordert Panzer für die Ukraine, wenn diese noch zögert, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, wenn die Regierung eigentlich nicht will, sowie die Abschiebung von Geflüchteten, wie es die CDU schon immer getan hat.

Dabei kann man schon auf die Idee kommen, dass viele seiner Ansichten glaubensgesteuert sind. Zur Ukraine: »Je mehr Panzer wir liefern, desto eher ist der Krieg zu Ende.« Das klingt eher einfältig als nach einem Einfall. Auch andere kernige Botschaften, mit denen er regelmäßig die Öffentlichkeit beschäftigt und seine Fans erfreut, lassen jene intellektuelle Wachheit vermissen, die er gern anderen abverlangt. Wie sein Urteil über die Letzte Generation: »Das sind keine Klimaaktivisten, das sind kriminelle Straftäter.«

Was also hat Friedrich Merz nach einem Jahr vorzuweisen? Außer hochtrabenden Reden im Bundestag und dem Versuch kanzlertypischer Gesten zum Beweis einer angeblich »konstruktiven Opposition in schweren Zeiten« ist da wenig Greifbares. Registriert wird in jüngster Zeit vielmehr eine für Friedrich Merz eher untypische Zurückhaltung. Wenn es nämlich um die Zusammenarbeit mit der AfD geht, für die es eine zunehmende Zahl von Beispielen gibt, vor allem in jenen Ostregionen, in denen sich Merz bei seinen Auftritten immer so wohlfühlt. »Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben«, hatte der frischgebackene CDU-Vorsitzende Merz vor Jahresfrist noch getönt. Und eine »glasklare Ansage« gemacht: »Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren.«

Solche Abstimmungen von CDU-Abgeordneten gab es in kommunalen Vertretungen wiederholt, Beispiele im sächsischen Bautzen und im thüringischen Hildburghausen sorgten jüngst bundesweit für Furore. Zwar erinnerte CDU-Generalsekretär Mario Czaja namens seines Vorsitzenden an die Parteilinie, dieser aber blieb schweigsam. Und von einem Parteiausschlussverfahren hat man auch nichts gehört.

Gern reist Friedrich Merz immer wieder in den Osten, wo er anscheinend die glühendsten Verfechter des glaubensgesteuerten Konservatismus vermutet, was er am Beifall für seine Auftritte zu bemessen scheint. Zugleich gerät er dabei immer tiefer in die Zwickmühle: Während er klare Bekenntnisse zwar stets und ständig von allen fordert, kann er sich selbst im Verhältnis zur AfD aber nicht dazu durchringen, wenn es ernst wird.

Das ist auf gewisse Weise schon konsequent. Geflüchteten Menschen die Unterkunft zu verweigern, wie es in Bautzen Thema war, oder einen linken Bürgermeister abzuwählen, wie in Hildburghausen beabsichtigt, das findet zweifellos Merz’ Zustimmung. Rigoros wirtschaftsliberale Vorstellungen hinzugerechnet, möchte man Merz fast gratulieren, sich im ersten Jahr wenig rühmlich hervorgetan zu haben auf seinem Weg zu einer eventuellen Kanzlerkandidatur.

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