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Nordirland mit Notregierung

Politische Krise in Belfast überschattet die Verhandlungen zum Sonderstatus mit der EU

  • Dieter Reinisch, Dublin
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein wenig Frust klingt durch: »Die Diskussionen werden vor dem Hintergrund eines übergreifenden Themas geführt – dem anhaltenden Mangel an einer stabilen, rechenschaftspflichtigen, dezentralen Regierung in Nordirland.« Diese Worte fand der britische Nordirland-Staatssekretär Chris Heaton-Harris in seinem Gastbeitrag für »The Irish Times« aus Dublin. Ende Oktober verstrich eine Frist für die Bildung einer neuen Regierung, doch Heaton-Harris verlängerte sie, ohne Neuwahlen auszurufen. Die neue Frist verstrich am Donnerstag ohne Einigung bei der 26. britisch-irischen Regierungskonferenz.

Das Fehlen einer stabilen Regierung in Belfast erschwert die Verhandlungen zwischen dem Vereinten Königreich und der Europäischen Union über den Sonderstatus für die Provinz Nordirland. Kurz hatte es ein wenig so ausgesehen, als könnte sich ein bisschen was bewegen: Der britische Außenminister James Cleverly und der EU-Vize-Präsident und Brexit-Verhandler Maroš Šefčovič sprachen mal wieder über die Regelung des Sonderstatus. Mehr als geringe Annäherungen brachten sie aber nicht zustande.

Zumindest wollen sie weiter miteinander sprechen – ein Fortschritt. Denn fast das ganze Jahr 2022 war zwischen London und Brüssel Funkstille. In Nordirland wird so die politische Krise nicht gelöst. Denn seit fast einem Jahr gibt es in Belfast keine funktionierende Regierung. Aus Protest gegen das Nordirland-Protokoll trat im Februar letzten Jahres die pro-britische Democratic Unionist Party (DUP) aus der Regierung mit der republikanischen Sinn Féin (SF) aus. Die Regionalwahlen im Mai gewannen dann erstmals die Republikaner – ihnen steht seither der Sessel der Regierungschefin zu. Um Sinn Féin von der Regierungsspitze fernzuhalten, setzt die DUP den Parlamentsboykott fort.

Paukenschlag aus London

Seit Anfang des Jahres sprachen London und Brüssel wieder über das bei nordirischen Unionisten verhasste Zusatzprotokoll zum Brexit-Vertrag. Am 9. Januar gab es sogar eine kleine Einigung über dieses Nordirland-Protokoll. London und Brüssel hatten sich über die Verwendung einer gemeinsamen Software zur Datenerfassung von Waren, die aus Großbritannien nach Nordirland eingeführt werden, geeinigt.

In Belfast wollten nur zwei Tage später Cleverly und Heaton-Harris mit allen Parteien über die Lösung der Regierungskrise verhandeln. Doch es kam zu einem Paukenschlag: London ließ SF-Chefin Mary Lou McDonald nicht teilnehmen. Die größte Partei Nordirlands boykottierte daraufhin das Treffen ebenso wie die SDLP. Gegenüber BBC NI bezeichnete es SDLP-Delegationsleiter Matthew O‹Toole als »absolut töricht« und »surreal«, McDonald auszuschließen.

Die offizielle Erklärung Londons: McDonald hätte nicht an den Gesprächen teilnehmen dürfen, da sie keine nordirische Politikerin sei. McDonald ist Dublinerin und sitzt im dortigen Parlament. Bei den Unionisten wendet London dagegen andere Maßstäbe an: Der DUP-Delegationsleiter Jeffrey Donaldson ist selbst auch nicht Abgeordneter des Regionalparlaments Stormont, sondern sitzt in Westminster.

In einer Mitteilung schrieb SF: »In einer außergewöhnlichen Wendung der Ereignisse wurden wir darüber informiert, dass die britische Regierung die Parteivorsitzende Mary Lou McDonald von der Sitzung ausschließt.« Der SF-Abgeordnete für Nord-Belfast, John Finucane, schrieb auf Twitter, es sei »bizarr, die größte Partei der Insel von Gesprächen auszuschließen«.

Nun stocken auch wieder die Brexit-Gespräche. Am Montag gab es ein Telefonat zwischen Cleverly und Šefčovič. Statt konkreten Schritten gab es danach nur eine müde Zusicherung, dass »weitergesprochen wird«. Bereits zuvor gab ein Sprecher der britischen Regierung dem »Guardian« zu verstehen, dass »es keine Einigung gibt und eine solche auch nicht absehbar ist«.

DUP-Chef Jeffrey Donaldson war über diesen Stillstand sichtlich erfreut und betonte am Montagabend: »Endlich sehen alle Seiten ein, dass das Protokoll zum Regierungskollaps in Nordirland führte.« Es sei nun nicht die Zeit, »Wunden zu versorgen«, sondern es brauche »grundlegende Änderungen«.

Ohne Einigung zwischen London und Brüssel kann die pro-britische DUP ihr Argument für den Regierungsboykott weiter vorschieben, um SF von der Macht fernzuhalten.

In drei Monaten wird sich das Karfreitagsabkommen, das den Nordirland-Konflikt beendete, zum 25. Mal jähren. Eigentlich wollte der US-Präsident Joe Biden im April kommen und den Jahrestag des Karfreitagsabkommens feiern. Stattdessen wird er nicht mehr als dessen Scherben begutachten können.

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