Baerbocks Kriegsfeststellung

Den diplomatischen Totalausfall der deutschen Außenministerin nahm die Presse bemerkenswert gnädig auf

Bei Annalena Baerbock war man sich bis vergangene Woche immerhin in einer Sache sicher: Nämlich, dass sie ganz hervorragend darin ist, nicht die Wahrheit zu sagen. Erinnert sei hier an ihr rundum zusammengeklautes, aber als eigenes chef d’oeuvre ausgegebenes Buch »Wie wir unser Land erneuern«. Oder an ihren Lebenslauf, in dem außer dem Namen und dem Geburtsdatum ebenfalls nicht allzu viel stimmte. Insofern hätte man ihr eigentlich bedenkenlos zugetraut, auch auf internationalem Parkett das zu schaffen, was sie in Wahlkampfzeiten so meisterhaft beherrschte: im richtigen Moment zu schweigen und im falschen Moment nicht das Falsche zu sagen. Doch genau das hat sie getan – und das fatalerweise auf einem Gebiet, auf dem es um nicht weniger geht als um Krieg und Frieden. Schließlich ist derzeit die höchste Anforderung an die Regierungskunst, Putin gegenüber keine Gründe für eine Sichtweise zu geben, wonach Europa nicht nur logistischer und ideeller Unterstützer, sondern aktive Partei im Krieg mit Russland sei. Wenn die viel kritisierte Zurückhaltung von Olaf Scholz bei der Frage immer neuer Waffenlieferungen einen Sinn hatte, dann den. Umso saurer müsste der Kanzler gewesen sein, als Annalena Baerbock dann den einzigen Satz sagte, den sie genau deshalb nicht hätte sagen dürfen: »Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.« Eine Kriegserklärung war das natürlich nicht, wie einige ihrer Sekundanten schnell erklärten. Es war eine Kriegs-Feststellung.

Man kann sich also vorstellen, wie erleichtert Scholz war, als er merkte, dass dieser größtmögliche diplomatische Totalausfall seiner Außenministerin in den meisten Artikeln und Kommentaren keine Folgen hatte. Statt sich die Haare zu raufen und bitterböse Kommentare zu schreiben, paraphrasierten manche Kolleginnen und Kollegen gar den verzweifelten Rettungsversuch aus dem Auswärtigen Amt: »Die russische Propaganda nimmt immer wieder Äußerungen, Sätze, Haltungen, Positionen der Bundesregierung und unserer Partner und dreht sie so, dass es ihrem Ziel dient.« Dabei brauchen selbst die propagandagestählten Russen keine Propaganda, um die Aussage »Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland« so zu interpretieren, als kämpften Deutschland und Europa einen Krieg gegen Russland.

Christoph Ruf
Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Vielleicht muss man das noch mal in Erinnerung rufen: Wohl noch nie in den letzten 70 Jahren war der Friede in Europa so fragil wie heute. Schuld daran ist zunächst mal Putin. Aber für die Politik hierzulande und generell im Westen resultiert genau daraus die verdammte Pflicht, Worte und Taten von ihrem Ende her zu denken. Und genau deshalb kann man eigentlich auch nur feststellen – und zwar völlig unabhängig davon, welcher Partei man seine Stimme gegeben hat – dass in den vergangenen Jahren einige Dutzend Politikerinnen und Politiker aus weit geringerem Grund zurückgetreten sind. Selbst Christine Lambrecht war »nur« inkompetent und unsensibel. Zurücktreten musste sie letztlich wegen ihres fehlenden Feingefühls, ein deplatziertes Silvestervideo wurde ihr zum Verhängnis. Zu ihrem Rücktritt gab es keine Alternative. Schon allein deshalb nicht, weil er medial in einer Einhelligkeit gefordert wurde, die Scholz keine andere Wahl ließ. Frau Lambrecht ist allerdings Mitglied der SPD, nicht der Grünen.

Sie merken, ich fürchte, es ist tatsächlich so, dass Angehörige der Baerbock-Partei von vielen Journalistinnen und Journalisten gnädiger beurteilt werden als das geboten wäre. Defensiv geschätzt 80 Prozent der hohen dreistelligen Zahl von Journalistinnen und Journalisten, die ich persönlich kenne, wählen die Grünen. Die meisten von ihnen können sehr wohl zwischen privaten Grundüberzeugungen und den Erfordernissen ihres Berufes unterscheiden. Erschreckend viele können das allerdings nicht. Dass überproportional viele Journalisten die gleiche Partei wählen, ist an sich kein Problem. Dass man das bei vielen von ihnen in jedem einzelnen Text merkt, ist es hingegen schon.

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