Die Lehre der Herrschenden

Uwe Soukup stellte in Berlin sein Buch »Mythos Reichstagsbrand« vor – eine Kritik an der Alleintäterschaft des Marinus van der Lubbe

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer hat sich an diesem Thema über Jahrzehnte schon alles abgearbeitet! Was sind da für erbitterte Fehden zwischen verschiedenen Gruppen geführt worden, wie sind da ganze Historikerschulen gegeneinander vorgegangen, um ihre jeweils hermetischen Geschichtsgebäude zu verteidigen. Nicht Wahrheitsfindung war vorrangiges Ziel, sondern Rechthaberei und Ideologie.

Der Reichstagsbrand vom 27./28. Februar 1933 ist tatsächlich bis heute eines der ungelösten Rätsel. Die Alleintäterschaft Marinus van der Lubbes, eines linksradikalen holländischen Anarchisten, erscheint ausreichend unglaubwürdig, ein Lügengespinst der Nationalsozialisten offenbar. Dennoch gilt diese Theorie bis heute als vorherrschend, konstruiert in den 60er Jahren in der Bundesrepublik, zu Zeiten des Kalten Krieges also. Die von Kommunisten verbreitete Version der Brandstiftung durch die Nazis musste im Westen abgelehnt werden. Das konnte und durfte nicht sein, das erforderten die Regularien in einer bipolaren Welt.

Warum aber wird heute noch an einer Alleintäterschaft festgehalten, obwohl zwei Brandgutachten eindeutig das Gegenteil belegen? Das bereits zum Reichstagsbrandprozess 1933 vorliegende Brandgutachten wurde 1970 durch ein zweites bestätigt. Schlussfolgerung: Ohne Helfer oder vorab installierte Brandbeschleuniger konnte ein Einzelner das riesige Gebäude unmöglich in ein Flammenmeer verwandeln.

Der Reichstagsbrand war das Fanal. Hitler eilte noch in der Brandnacht zum Reichstag und gab die Parole aus: »Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht.« Grundrechte werden außer Kraft gesetzt. Die Lager füllen sich, das große Morden setzt ein. Die Opposition ist ausgeschaltet, Institutionen werden gleichgeschaltet, die Diktatur ist eingerichtet. Ein großer Exodus beginnt. Das Exil wird zum Zufluchtsort für hellsichtige und realistische Demokraten, die um ihr Leben fürchten mussten.

Und? Führt dieses neue Buch nun weiter? Nein. Aber es soll die Debatte wachhalten – das ist eines der erklärten Ziele von Uwe Soukup. Der Berliner Historiker klappert die bekannten Stationen in der Geschichtsschreibung ab: Im Herbst 1959 legte das Nachrichtenmagazin »Spiegel« mit einer elfteiligen Serie den Grundstein für die These von der Alleintäterschaft van der Lubbes. Der Autor: Fritz Tobias (1912–2011), einstiges SPD-Mitglied und eine dubiose Gestalt mit Verbindungen zu Geheimdiensten. Im Hauptberuf: Verfassungsschutzbeamter beim niedersächsischen Landesamt.

1962 legt Tobias mit einem Buch nach: »Der Reichstagsbrand. Legende und Wirklichkeit«. Seltsamerweise wenig beachtet, aber mit höheren, nämlich wissenschaftlichen Weihen vom Münchner Institut für Zeitgeschichte versehen. Intrigen, Erpressung, Irreführung in Wissenschaftskreisen liegen all dem zugrunde – eine unglaubliche Geschichte, die freilich das alte Lied belegt: Geschichtsschreibung ist die Lehre der Herrschenden.

Zu denen zählt der unabhängige Autor Uwe Soukup nicht. Er gilt als redlich, bemüht und undogmatisch. Er hat vorrangig zu Wendepunkten in der Geschichte geforscht und publiziert, etwa zur Novemberrevolution 1918/19 oder zur Studentenrevolte von 1967/68. Und hat sich nun auf Spurensuche zum Reichstagsbrand begeben. Er erhebt nicht den Anspruch, spektakulär Neues, Umwälzendes zu offerieren. Soukup gibt einen Überblick über die Debatten der Vergangenheit, listet Ungereimtheiten, Zweifel, Absurditäten in der vorherrschenden Theorie und offene Fragen aneinander, verweist auf Seilschaften, die vorgeformte Geschichtsbilder im wechselseitigen Interesse protegierten und müht sich, weitere Indizien und Spuren zu sichten.

»Nie hatte ich vor, ein Buch über den Reichstagsbrand zu schreiben«, bekennt Soukup bei der Buchvorstellung dieser Tage in Berlin, »ist doch die Menge der Bücher über dieses so eminent folgenreiche politische Verbrechen schon jetzt kaum noch überschaubar.« Doch die Lügen und das Beharren auf der Alleintätertheorie ließen ihm keine Ruhe. Soukups logische, plausible Schlussfolgerung: »Wenn aber klar ist, dass es aus brandtechnischen Gründen keine Möglichkeit gibt, dass ein Einzelner den Reichstag, insbesondere den Plenarsaal in wenigen Minuten ohne jedes Hilfsmittel in ein flammendes Inferno verwandeln konnte – braucht es dann eigentlich noch einen positiven Beweis, um die Frage als wenigstens ungeklärt anzusehen? Da es aber andere Täter als die Nazis nicht geben kann, unter Zuhilfenahme van der Lubbes aus propagandistischen Gründen, dürfte die Täterschaft der Nazis damit im Grunde feststehen.«

Warum dann immer noch der Streit? Weil Geschichtsschreibung weltanschaulichen und ideologischen Urteilen und Schlussfolgerungen unterworfen ist. Und dieses Thema noch heute in den politischen K(r)ämpfen des Ost-West-Konflikts und den Auswüchsen von verbohrtem Antikommunismus feststeckt.

Der Titel des Buches klingt wie die Überschrift zu einer spannenden Reportage. Das leistet dieses Buch auch, nebst logischer Beweisführung und umfassendem Überblick zur Rezeption. Die von Soukup kritisierten Seilschaften, die die Einzeltätertheorie wider alle Logik emsig weiterbetreiben, werden wohl die Gelegenheit beim Schopfe packen, um auf dieses Buch einzudreschen. So wird sich das Karussell weiter im Kreis drehen. Zu hoffen bleibt, dass bis zum 100. Jahrestag des Ereignisses 2033 dieses seltsam verschlossene Geschichtsereignis endlich aufgelöst und ohne weltanschauliche Verengungen allein anhand von Logik und Fakten aufgeschlüsselt sein wird.

Uwe Soukup: Die Brandstiftung. Mythos Reichstagsbrand. Was in der Nacht geschah, in der die Demokratie unterging. Heyne, 208 S., geb., 22 €.

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