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Die Schönheit im Brutalismus
Lang lebe das Hochhaus gegenüber!
Die Hochhäuser der 60er und frühen 70er Jahre waren eine Klasse für sich. Konzipiert in Zeiten gigantischer Geburtenüberschüsse bestand ihre Aufgabe darin, so viele Menschen wie möglich auf minimaler Grundfläche zu stapeln. Also zog man die Gebäude höher und höher; nach oben hin war schließlich Platz. Auf die Umgebung nahm man dabei keine Rücksicht. Dieses Hochhaus in Frankfurt (Main) zum Beispiel grenzt an reich verzierte Gründerzeitvillen, die nicht mehr als vier bis fünf Geschosse haben. Ein schärferer Kontrast ist kaum denkbar.
2020 drehte man sowohl im Hochhaus als auch in einem der Gründerzeitbauten einen »Tatort«. Der Film suggeriert, die beiden Gebäude lägen in grundverschiedenen Stadtteilen – hier arm, dort reich. Offenbar wollte man die Zuschauer nicht damit überfordern, dass die Menschen in solch unterschiedlichen Bauten durchaus friedlich koexistieren können. Der »Tatort«-Mord fand aber nicht im Hochhaus statt. Auch real gab es in dem Haus keine Schwerbrechen, ja, nicht einmal harmlose nächtliche Ruhestörungen. Ich muss es wissen. Denn ich habe drei Jahre lang gegenüber von diesem Hochhaus gewohnt. Sein Anblick entspannte mich auf seltsame Weise, vielleicht weil es mich an meine 70er-Jahre-Kindheit in einem Neubaugebiet erinnerte. Ich werde dieses Hochhaus vermissen, so wie ich manchmal die 70er Jahre vermisse, als es völlig normal war, dass untere, mittlere und obere Mittelschicht in der gleichen Straße wohnten und miteinander Fußball spielten. Das Wort »Gentrifizierung« hätte niemand verstanden.
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