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  • Wirtschaft und Arbeit

Wachstumsschmerzen ohne Gegenmittel in Brandenburg

Das Arbeitskräfteproblem Brandenburgs scheint mittlerweile unlösbar

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Mal fehlt der Wein, mal fehlt der Becher. Brandenburg hat sich in den vergangenen Jahren im Wirtschaftsbereich vom Aschenputtel zur umworbenen Braut entwickelt. Was vordem undenkbar schien: Konzerne und Mittelständler klopfen reihenweise an die Tür, wollen hier Filialen aufbauen. 135 Interessenten haben sich gemeldet. Doch vor dem brandenburgischen Wirtschaftsforum musste Staatssekretär Hendrik Fischer bekennen, dass diese äußerlich attraktive Situation auch in eine schwierige Lage geführt hat.

Das sprunghaft gestiegene Interesse an Brandenburg wurde von der Tesla-Ansiedlung ausgelöst, denn dadurch wurden andere erst einmal auf Brandenburg aufmerksam, ist der Staatssekretär überzeugt. Die hätten das Bundesland »vorher nicht auf dem Schirm gehabt«. Fischer sagte, dass keineswegs Fördermittel in jenem Umfang angeboten werden können, wie das noch vor einigen Jahren Investoren anlocken sollte. Weil aber Investoren Interesse zeigen und die Förderung allenfalls ein Punkt von mehreren bei der Investitionsentscheidung ist, bleibt etwas anderes wichtiger: Dem Land gehen inzwischen die Gewerbeflächen aus. Nicht überall, aber doch dort, wo das Ansiedlungsinteresse der Wirtschaft besonders groß ist. Im Speckgürtel um Berlin »werden Gewerbeflächen langsam knapp«, sagte Fischer. Nicht allein, dass die Investoren Flächen benötigen, »sie brauchen schnell Flächen«.

Das war kein Problem, solange die brandenburgischen Gewerbegebiete noch als »beleuchtete Wiesen« verspottet werden konnten. Das Problem seien weniger die Interessenten an kleineren Flächen, die lassen sich noch versorgen, erläuterte Fischer. Aber derzeit gebe es potenziell 28 große Industrieansiedlungen, mit denen die Wirtschaftsförderung Brandenburg im Gespräch sei. Er wolle Realist bleiben, sagte Fischer. Es würde schon »ein immenser Erfolg« sein, wenn sich fünf bis sieben davon tatsächlich hier niederlassen würden.

Dass es im Schnitt immer noch genügend Ansiedlungsflächen gebe, »hilft nur bedingt«. Denn im anvisierten Berliner Speckgürtel seien die gesuchten Flächen zwischen 50 und 250 Hektar »gar nicht mehr verfügbar«. So müsse das Gebot der Stunde sein, Neuinvestitionen in die Prignitz, die Uckermark oder die Lausitz zu lenken.

Fischer sieht eine Situation kommen, in der »wir Anfragen nicht mehr werden bedienen können«. Vorbei die Zeit, da man mit Kusshand »jeden« genommen hätte. »Künftig werden wir nicht mehr alles nehmen, was wir kriegen können.« Geklärt werden müssten ferner die Wassernutzung und Eisenbahnanschlüsse. Zunehmend werde zur Bedingung gemacht, dass der von
den Neuankömmlingen genutzte Strom durch Windräder oder Solaranlagen entsteht.

Was die benötigten Fachkräfte betrifft, müssen sich die Investoren die wohl mitbringen. Fischer konnte nicht allzu viele Hoffnungen machen. Die in Aussicht stehenden neuen Investitionen würden für das Land 26 500 neue Industriearbeitsplätze versprechen, fuhr der Staatssekretär fort. Dabei fehlen jetzt schon Arbeitskräfte. Nicht nur Spezialisten werden gesucht. Auch für einfache Tätigkeiten mangelt es an Bewerbern. Ein weiteres Problem: Junge Leute denken immer weniger daran, Vollzeit zu arbeiten. Auch im öffentlichen Dienst wird bei Einstellungsgesprächen immer öfter die Teilzeit zur bevorzugten Variante erklärt. Die Zahl offener Stellen hat sich im Land Brandenburg von 7200 im Jahr 2013 auf fast 20 000 im vergangenen Jahr erhöht. Der Anteil von Beschäftigten, die aus dem Ausland stammen, ist in diesem Zeitraum von 3,4 auf 9,8 Prozent gestiegen. Es dauert immer länger, freie Stellen zu besetzen.

Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sprach kürzlich von einer Trendumkehr. Inzwischen würden mehr Menschen auf der Suche nach Arbeit von Westdeutschland nach Brandenburg ziehen. Früher sind die Ostdeutschen wegen der damals hohen Arbeitslosigkeit in den Westen abgewandert. Die Politik hofft darauf, dass mehr Zuwanderer »in die Speichen greifen«. Für Staatssekretär Fischer sind das alles Teillösungen. Er äußerte: Auch wenn in der Fachkräftegewinnung alle Mittel intensiviert würden, müsse man sich darauf vorbereiten, dass »wir diese Lücke nicht werden schließen können«. Es bleibe nur, die Unternehmen davon zu überzeugen, Produktions- und Dienstleistungsprofile zu entwickeln, bei denen sie weniger Mitarbeiter benötigen als heute. In den kommenden zehn Jahren werde die Zahl der Brandenburger im arbeitsfähigen Alter noch einmal um mehr als zehn Prozent abnehmen. An die vor ihm sitzenden Unternehmer gewandt, sagte Staatssekretär Fischer. »Wie gehen wir damit um? Es fehlen die
Lösungsansätze. Ich frage die Anwesenden.«

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