Ein Deckel für die Aushilfshonorare

Vertretungskräfte profitieren vom Ärztemangel in Frankreichs Krankenhäusern

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit vergangenem Montag gilt in Frankreich eine Höchstgrenze für die Bezahlung von Medizinern, die kurzzeitig an öffentlichen Krankenhäusern beschäftigt werden, wenn dort dringend eine vakante Stelle besetzt werden muss, um den Klinikbetrieb zu sichern.

Der allgemeine Ärztemangel hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass immer mehr Mediziner diese lukrative Nische entdeckt und sich ganz darauf eingestellt haben. Beispielsweise erklärte ein junger Arzt anonym Journalisten gegenüber, dass er vor zwei Jahren sein Studium abgeschlossen und bereits nach einem Jahr seine Festanstellung gekündigt hat. Seitdem gehe er als Aushilfsarzt jeweils dorthin, wo der Bedarf gerade am größten und die angebotenen Honorare am höchsten sind. »Jetzt arbeite ich weniger und verdiene trotzdem im Schnitt das Dreifache von meinem früheren Gehalt«, berichtet er stolz.

Auch die Anästhesistin Asmaa K. steht dazu, nicht mehr als fest angestellte Ärztin zu arbeiten, sondern sich die jeweils interessantesten Angebote auszusuchen. »Meine Mail-Box quillt damit förmlich über«, sagt sie. Da werden ihr beispielsweise für eine 24-Stunden-Schicht in einem Operationsbereich 1300 Euro brutto geboten, während sie früher als fest angestellte Ärztin nur 2235 Euro netto verdient hat – im Monat. Vor allem viele junge Ärzte haben diese flexible Art der Arbeit für sich entdeckt, die es ihnen ermöglicht, in kürzerer Zeit mindestens ebenso viel zu verdienen wie früher in einem festen Job und jetzt viel mehr Zeit für die Familie oder persönliche Interessen zu haben.

Nicht nur die Direktoren der öffentlichen Krankenhäuser verfolgen diesen Trend seit Jahren mit wachsender Sorge, denn diese Praxis geht auf Kosten anderer wichtiger Ausgaben. Auch der Senat, die zweite Kammer des Parlaments, hat sich damit befasst, weil es sich dabei um die Verschleuderung von Steuergeldern handeln könnte.

In einem Untersuchungsbericht vom Februar 2021 stellten die Senatoren fest, dass sich die Mehrkosten für Aushilfsärzte 2013 auf 500 Millionen Euro summiert und 2018 bereits die Summe von 1,4 Milliarden Euro erreicht hatten. Die Gesamtzahl der Interims-Mediziner, die niemand konkret nennen kann und die man meist auf 6000 bis 12 000 schätzt, wurde von den Senatoren sogar bei 15 000 vermutet.

Eigentlich gab es bereits seit 2018 Richtwerte für die Bezahlung von Aushilfs-ärzten, doch die wurden selten angewendet. Stattdessen haben sich viele Krankenhäuser auf der Suche nach ärztlichem Personal mit ihren Angeboten gegenseitig überboten. Jetzt will die Regierung dieser Fehlentwicklung ein Ende machen, erklärte der Regierungssprecher und ehemalige Gesundheitsminister Olivier Véran, der selbst einmal Allgemeinmediziner war.

Der maximale Satz für einen 24-Stunden-Dienst wurde von den bisher »empfohlenen« 1170 Euro auf 1390 Euro brutto angehoben, dafür aber verbindlich gemacht. Krankenhäuser, die weiterhin mehr zahlen, müssen mit empfindlichen Geldstrafen rechnen. Aude Valance, Oberärztin am Krankenhaus von Pont-à-Mousson hat die Auswirkungen sofort verspürt. »Für den Zeitraum vom 17. bis 21. April hatten wir einen Vertretungsarzt unter Vertrag genommen, doch der hat inzwischen wieder gekündigt. Zur Begründung sagte er, die Bezahlung nach der neuen Vorschrift sei ihm zu gering.«

Eric Reboli, der seit Jahren als Interimsarzt auf Notaufnahmestationen arbeitet, ist Sprecher der Nationalen Vereinigung der Vertretungsärzte. Ihn empört vor allem das »Kesseltreiben« gegen diese Mediziner, die der Regierungssprecher sogar als »Söldner« bezeichnet habe. Die hohen Tagessätze rechtfertigt er mit ihren höheren Allgemeinkosten, vor allem für die Fahrt von einem Einsatzort zum anderen sowie für Unterbringung und Verpflegung vor Ort, fern von der eigenen Familie.

Reboli sieht voraus, dass die neue Regelung zu einem Chaos in den öffentlichen Krankenhäusern führen wird. »Landesweit werden mindestens 200 Notaufnahmestationen, Geburtenkliniken, Kinderstationen und psychiatrische Abteilungen aufgrund des Ärztemangels schließen müssen«, ist er überzeugt. »In den restlichen Bereichen verlagert sich die Mehrarbeit auf die dort beschäftigten Ärzte und Schwestern, die schon jetzt meist bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gehen. Die haben die Folgen zu tragen und natürlich die Kranken, die keine optimale Behandlung erhalten können.«

Der Verbandssprecher erwartet, dass die Regierung die neue, verschärfte Regelung früher oder später zurückziehen muss. Um dabei nachzuhelfen, hat der Verband seine Mitglieder jetzt aufgefordert, »für die nächsten Wochen doch erst einmal Urlaub zu machen«.

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