Pilzinfektion: Meist schützt die Körperwärme

Pilzinfektionen sind weltweit auf dem Vormarsch, werden aber oft übersehen oder unterschätzt

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Manche Fälle, von denen der Pilzexperte Hans-Jürgen Tietz berichtet, lassen erschauern. Zum Beispiel der eines kleinen Jungen, der unnötigerweise dreimal am Kopf operiert wurde: Um Eiterherde an der Kopfhaut zu entfernen, hatte ein Arzt die Eingriffe veranlasst – auf einem Dokumentationsfoto sieht man eine große, kreisrunde Wunde. Als auch Cortison und Antibiotika nichts brachten und eine vierte OP stattfinden sollte, wurden die Eltern misstrauisch und brachten das Kind in ein Universitätsklinikum. Dort stellte sich heraus, dass sich der Sechsjährige auf dem Hof der Großeltern mit der »Kälberflechte« infiziert hatte und die Operationen überflüssig waren. Immerhin ließ sich die Pilzinfektion gut mit entsprechenden Medikamenten bekämpfen, und die Eltern hoffen, dass an der Narbe eines Tages wieder Haare wachsen.

Ein Fall wie dieser macht aus Sicht des Mykologen klar: An Pilzerreger wird in der Medizin zu selten gedacht. »Mykologie ist immer noch ein Stiefkind der Infektiologie«, sagt Tietz, der das Institut für Pilzkrankheiten in Berlin leitet. Das Fachgebiet bräuchte dringend mehr Aufmerksamkeit, findet er. »Pilzinfektionen sind weltweit auf dem Vormarsch, und das bereitet uns große Sorge.« In den vergangenen Jahren hat sich das Erregerspektrum stark verändert: Während Pilze früher meist an bestimmte Regionen gebunden waren, kommen viele Arten heute weltweit vor. Einer der Gründe dafür ist die Globalisierung. Daher können in Hausarztpraxen Erreger auftauchen, die früher als exotisch galten – etwa Trichophyton soudanense, ein aus Afrika stammender Keim, der die Kopfhaut von Kindern infizieren kann.

Bedenkliche Arten

Vor diesen Pilzerregern warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO:
Cryptococcus neoformans: Der Erreger kommt in Erde vor, die mit Vogelkot verschmutzt ist, und wird eingeatmet. Er befällt zuerst die Lunge, dann oft Gehirn, Haut und Gelenke. Gefährdet sind kranke Menschen, etwa Aids-Patienten. In Deutschland gibt es bislang nur wenige Fälle.
Candida auris: Der Hefepilz wurde erst 2009 entdeckt, danach aber in vielen Ländern beobachtet. Er ist für geschwächte Menschen, zum Beispiel in Krankenhäusern, gefährlich. Dringt er in den Körper ein, kann es zum Beispiel zu einer Blutvergiftung kommen. Übertragen wird der Keim über Gegenstände, etwa Katheter. Größere Ausbrüche gab es in Großbritannien und Spanien.
Candida albicans: Der »Soorpilz« ist weit verbreitet. Bei etwa 70 Prozent aller Menschen kommt der Pilz im Darm vor. Die meisten von ihnen haben keine Probleme. Gerät der Hefepilz aber in die Blutbahn, können etwa Aids- oder Intensivpatienten schwer erkranken.
Aspergillus fumigatus: Der Schimmelpilz kommt auf der ganzen Welt häufig vor. Er kann Allergien auslösen und Lunge oder Nasennebenhöhlen infizieren. Gefährlich ist der Pilz für immungeschwächte Menschen. Bei ihnen kann er sich von der Lunge aus weiter vermehren und den ganzen Körper befallen. ast

Solche Hautpilze sind lästig, mitunter psychisch belastend, aber in der Regel nicht bedrohlich. Allenfalls kann der weit verbreitete Fußpilz bei Diabetikern größere Probleme bereiten: Wenn er die Haut befällt, können Bakterien wie Staphylokokken und Streptokokken in die Wunden einwandern und gefährliche Infektionen auslösen. In den Körper dringt Trichophyton rubrum, der hinter den meisten Fußpilz-Infektionen steckt, dagegen nicht ein. »Er kann sich vom Fuß bis ins Gesicht ausbreiten, geht aber nie nach innen«, erklärt Tietz. Der Pilz fühlt sich an kühleren Extremitäten, gerade an kalten Füßen, sehr viel wohler als bei einer Temperatur von 37 Grad, wie sie im Körper vorherrscht.

Bei so hohen Temperaturen können die meisten Pilze nicht wachsen. Daher bewahrt uns unsere Körpertemperatur vor vielen Pilzinfektionen – aber längst nicht vor allen. Einige Organismen haben sich angepasst: Wenn sie in die Blutbahn gelangen und Organe befallen, wird es lebensgefährlich. »Normalerweise schützt uns aber unser Immunsystem davor«, sagt der Würzburger Mikrobiologe Oliver Kurzai, der das Nationale Referenzzentrum für Invasive Pilzinfektionen leitet. Daher treten solche Infektionen in der Regel nur bei immungeschwächten Menschen auf – etwa Intensivpatienten oder Menschen mit chronischen Krankheiten. Auch unter Pilzen, die in den Körper eindringen können, gibt es neue Arten, die sich ausbreiten. Das ist vor allem deshalb bedenklich, da die Zahl anfälliger Menschen wächst. Zum einen leben heute dank des medizinischen Fortschritts Menschen mit schweren Krankheiten länger, zum anderen kommen neue gefährdete Gruppen hinzu, etwa Patienten mit der Lungenkrankheit COPD. Wie gefährlich manche Keime für geschwächte Menschen sein können, zeigte sich vor zwei Jahren in Indien, als Zehntausende Corona-Patienten am Schwarzen Pilz lebensbedrohlich erkrankten – einer Infektion mit Pilzen aus der Gruppe Mucorales, die in Deutschland nur sehr selten auftritt. Die Situation hat die Weltgesundheitsorganisation WHO vergangenen Herbst zum Anlass genommen, erstmals eine Liste mit gefährlichen Pilzarten herauszugeben.

»Die größte Sorge bereitet uns Candida auris«, sagt Kurzai. Inzwischen tritt der Hefepilz, der erst 2009 in Japan entdeckt wurde, weltweit auf und hat zum Teil andere Pilze verdrängt. In Krankenhäusern, wo er leicht per Schmierinfektion übertragen wird, kommt es immer wieder zu Ausbrüchen. Das große Problem dabei: Der Erreger ist häufig gegen gängige Mittel resistent. Insofern ist die Situation vergleichbar mit den als MRSA bekannten Krankenhauskeimen, gegen die manche Antibiotika nichts ausrichten können. »Das Ausbruchsgeschehen entwickelt sich bei Candida auris aber langsamer und schleichender«, sagt Kurzai.

In Deutschland wurde der Erreger seit 2015 etwa 40-mal festgestellt, berichtet der Experte. »Zum Glück hat es bisher keinen größeren Ausbruch gegeben«, sagt Kurzai. »Aber es ist nur eine Frage der Zeit, dass es dazu kommt.« Diese Zeit müsse man nutzen, um Labore und Kliniken möglichst gut auf den Erreger vorzubereiten. Der Experte fordert auch, eine Labor-Meldepflicht für Candida auris einzuführen.

Noch ist unklar, warum sich der Pilz auf einmal auf der ganzen Welt ausgebreitet hat. Eine These besagt, dass er sich infolge der Klimaerwärmung an höhere Temperaturen angepasst hat und daher nun in der Lage ist, bei menschlicher Körpertemperatur zu wachsen. Beweise gibt es dafür nicht, sagt Kurzai. Bei anderen Pilzen ist der Zusammenhang mit dem Klimawandel klarer: So haben Sandstürme in den USA dafür gesorgt, dass sich der Erreger des Valley Fevers, der in extrem trockenen Böden vorkommt, stark ausbreiten konnte. Anders als Candida auris ist er in Deutschland aber kein Thema.

Eines der größten Probleme im Kampf gegen Pilze wie Candida auris ist, sie rechtzeitig zu erkennen. »Es ist schwierig, solche Infektionen zuverlässig zu diagnostizieren«, sagt Kurzai. Unter anderem müssten Ärzte verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. Zuerst muss aber erst mal ein Klinikarzt überhaupt auf die Idee kommen, dass es sich um einen Pilzbefall handeln könnte. Wahrscheinlich kommt es oft nicht zur Diagnosestellung: Eine Übersichtsarbeit zum Thema kam zu dem Schluss, dass Pilzinfektionen zu den am häufigsten übersehenen Todesursachen bei Intensivpatienten gehören.

Aber auch wenn der Erreger erkannt ist, gestaltet sich die Behandlung häufig schwierig. Zum Beispiel können Anti-Pilz-Mittel aus der Gruppe der Azole, die auch zum Pflanzenschutz verwendet werden, gerade bei Candida auris oft nichts mehr bewirken. Daher kann es schwierig sein, ein effektives Medikament zu finden. In einem Punkt gibt Kurzai aber Entwarnung: Wer völlig gesund ist, dem können Candida und Co nichts anhaben.

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