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Riskante Pillen für ältere Menschen

Viele ältere Menschen nehmen täglich Medikamente ein – doch diese sind nicht selten unpassend oder sogar gefährlich

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Viele Menschen behandeln Sodbrennen oder saures Aufstoßen, indem sie regelmässig Pantoprazol oder Omeprazol-Tabletten einnehmen. Bei älteren Patienten erhöhen diese Medikamente jedoch stark das Risiko für Osteoporose, also Knochenbrüchigkeit. Sie führen so beispielsweise zu Oberschenkelhalsfrakturen, aber auch zu bakteriellen Darm- und Lungenentzündungen. Personen ab 65 Jahren sollten diese Arzneimittel maximal acht Wochen lang nehmen.

Medikamente mit der Endung -prazol stehen denn auch neu auf der Priscus-Liste. Priscus ist lateinisch und heisst auf Deutsch alt. Die Liste warnt vor 187 Medikamenten, welche potenziell ungeeignet sind für Personen ab 65 Jahren und ihre Gesundheit besonders gefährden können.

59 Pharmakologen und Mediziner aus Deutschland haben die Sammlung auf der Basis von wissenschaftlichen Studien erstellt. Die Vorgängerliste aus dem Jahr 2010 umfasste lediglich 82 Medikamente. Die Autoren erklären die Zunahme vor allem damit, dass sie anstatt ganze Wirkstoffklassen wie etwa Neuroleptika nunmehr einzelne Wirkstoffe bewerteten – und einzeln auflisteten.

Einige weitere Beispiele für problematische Medikamente: Manche Schlafmittel enthalten Doxylamin oder Diphenhydramin. Das sind Antihistaminika der ersten Generation, also Medikamente, die die Symptome von Allergien lindern. Diese Mittel haben aber auch beruhigende, schlaffördernde Eigenschaften. Sie können jedoch bei älteren Menschen Denkstörungen, Schwindel und Herzprobleme verursachen. Das Schlafmittel Zolpidem und ähnlich wirkende Benzodiazepine wie Valium machen schläfrig, können aber auch die Denkfähigkeit verschlechtern und das Sturzrisiko erhöhen. Die Priscus-Liste empfiehlt als Alternativen beispielsweise nicht-medikamentöse Melatonin-Präparate, Baldrian und Lavendel.

Die Priscus-Liste rät, das Anti-Durchfallmittel Loperamid nicht länger als drei Tage zu nehmen. Auch von Aspirin als Schmerzmittel für Ältere rät die Liste ab. Ginkgo beurteilen die Experten genauso kritisch wie Codein gegen Husten.

Das Schmerzmittel Ibuprofen sollten über 65-Jährige nicht länger als sieben Tage lang nehmen und nicht mehr als dreimal 400 Milligramm pro Tag. Das Präparat erhöht das Risiko von Magenschäden und einem Herzinfarkt.

Jeder Zweite gesetzlich Krankenversicherte über 65 Jahre erhielt im Jahr 2021 mindestens ein Medikament, das auf der neuen Priscus-Liste steht. Das ergaben Analysen der Daten von 16,4 Millionen älteren Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen Deutschlands durch das wissenschaftliche Institut der AOK. Frauen erhalten demnach stets deutlich mehr potenziell unangemessene Medikamente verordnet als Männer.

Ältere Personen verkraften heikle Arzneimittel aus mehreren Gründen besonders schlecht. Denn die Niere einer 80-Jährigen funktioniert beispielsweise nur noch halb so gut wie in jungen Jahren. Zudem hat ihre Muskel- und Knochenmasse abgenommen und ihr zentrales Nervensystem reagiert empfindlicher als in jungen Jahren. Ältere erleben daher eher mehr Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten als jüngere Patienten. Zudem sind viele Dosierungsempfehlungen nicht auf ältere Patienten abgestimmt. Das liegt vor allem daran, dass Pharma-Hersteller neue Medikamente bevorzugt an jüngeren und gesünderen Personen testen.

Bernd Mühlbauer, Priscus-Mitautor und Pharmakologie-Professor in Bremen, empfiehlt im »Deutschen Ärzteblatt« allerdings, sich nicht »sklavisch« an die Priscus-Empfehlungen zu halten und »reflexartig« potenziell gefährliche Medikamente abzusetzen. Im individuellen Fall könne es »unverzichtbar« für »Gesundheit und Lebensqualität« eines Patienten sein, weiterhin ein solches Medikament zu bekommen.

Thomas Rosemann, Professor für Hausarztmedizin an der Universität Zürich, rät älteren Patienten, einmal im Jahr gemeinsam mit dem Hausarzt die Liste ihrer Medikamente durchzugehen. Moderne Magensäure-Medikamente, sogenannte Protonenpumpen-Hemmer, sollten sie allerdings ausschleichen – statt abrupt absetzen. Sonst drohe der Körper besonders viel Magensäure zu produzieren.

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