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Gönnen können, rechnen müssen

Wie eine Kommune in Thüringen mit dem hohen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst umgeht

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 5 Min.
So manche Kommune wird Investitionen zurückstellen müssen, um für die Gehaltserhöhungen ihrer Beschäftigten aufkommen zu können.
So manche Kommune wird Investitionen zurückstellen müssen, um für die Gehaltserhöhungen ihrer Beschäftigten aufkommen zu können.

Es ist egal, wen man fragt. Es gibt eigentlich niemanden, der es insbesondere den Beschäftigten der Kommunen nicht gönnt, dass sie deutlich mehr Geld bekommen als bislang. Ihre Arbeit ist wichtig. Der Alltag in Deutschland würde ohne sie, die den Müll beseitigen, Straßen ausbessern, Reisepässe und Führerscheine ausstellen oder sich um Kindergartenkinder kümmern, nicht reibungslos funktionieren.

Noch in diesem Jahr erhalten die Beschäftigten in den Kommunen und beim Bund eine Einmalzahlung von 3000 Euro ohne Abschläge. Und ab März 2024 winkt ihnen dann ein Plus von monatlich 200 Euro sowie eine Erhöhung von 5,5 Prozent ihres Gehalts – mindestens aber 340 Euro brutto mehr. Insgesamt dürfte das eine Gehaltserhöhung von rund 11 Prozent sein.

Selbst Menschen, die qua Amt verpflichtet sind, bei zusätzlichen Ausgaben kritisch zu sein, haben Verständnis für die Höhe des vor wenigen Wochen erzielten Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst. Es sei schon berechtigt, was da herausgekommen ist, sagt zum Beispiel Thüringens Finanzstaatssekretär Hartmut Schubert (SPD). Alles sei ja teurer geworden, auch die Beschäftigten würden von den gestiegenen Kosten etwa für Energie und Lebensmittel belastet. Stichwort Inflation. »Da hat man schon Verständnis für das Ergebnis.«

Leicht fallen solche Sätze Schubert trotzdem nicht. Weil er nämlich damit rechnet, dass in den nächsten Monaten auch die Tarifverhandlungen für die Angestellten der Länder anstehen. Alles andere wäre eine große Überraschung. Und für den Thüringer Landeshaushalt, den Schubert mitzuverantworten hat, wird ein künftiger Abschluss eine Herausforderung.

Während Schubert sich aber erst in Zukunft damit auseinandersetzen muss, wie viel mehr Geld das Land für sein Personal ausgeben muss, stehen die Kommunen bereits jetzt vor dieser Aufgabe. »Persönlich gönne ich das Geld jedem«, sagt etwa die Vorsitzende der Verwaltungsgemeinschaft Feldstein, Dagmar Dummer: »Man wird ja auch nicht reich im öffentlichen Dienst, ganz sicher nicht als Angestellter der Kommunen.« Zu dieser Verwaltungsgemeinschaft, die im Landkreis Hildburghausen, im Süden Thüringens liegt, gehören insgesamt 17 Gemeinden, darunter die Stadt Themar und kleine Orte wie Grimmelshausen oder Marisfeld. Dummer erklärt aber auch: »Der Abschluss ist schon eine Hausnummer.«

Am Beispiel dieser Verwaltungsgemeinschaft wird aber deutlich, welche Herausforderung der hohe Tarifabschluss für viele Kommunen ist – wenngleich Dummer sich davon nicht überrascht zeigt. Sie habe mit einer Gehaltssteigerung zwischen fünf und acht Prozent gerechnet, erzählt sie. Als das Ergebnis verkündet worden sei, hätten sie und ihre Kämmerin zwar »ein bisschen geschluckt«, aber alles in allem hätten sie die Tarifeinigung in ihrer Verwaltung auch wegen ihrer vorherigen Erwartung »geräuschlos« zur Kenntnis genommen.

Und doch steht Dummer vor dem Dilemma, dass ihre Kommune keine großen finanzpolitischen Stellschrauben hat, an denen sie drehen könnte, um das zusätzlich benötigte Geld aufzutreiben.

Allein für die zwanzig Beschäftigten der Verwaltungsgemeinschaft lagen die Personalkosten im Jahr 2022 bei etwa einer Million Euro, rechnet Dummer vor. Weil sie aber bereits einen hohen Tarifabschluss erwartet hatte, hat sie für dieses Jahr mit Kosten von 1,2 Millionen Euro kalkuliert. Das sei zwar ausreichend, um die für 2023 verhandelten Erhöhungen zu finanzieren, sagt Dummer. Doch die für 2024 vereinbarten weiteren Tarifsteigerungen ließen sich mit dem bisherigen Budget nicht finanzieren.

In der Verwaltungsgemeinschaft sei es jetzt nicht möglich, die Hundesteuer, Hebesätze bei der Gewerbesteuer oder die Gebühren für Verwaltungsdienstleistungen so weit zu erhöhen, dass damit die Personalmehrkosten zu finanzieren wären. Wenn die Kommunen es auf diesem Wege versuchen wollten, erklärt Dummer, müssten sie mehrere tausend Euro pro Hund und Jahr von Hundebesitzern verlangen, was natürlich absurd wäre. »Wir können unsere Einnahmen nicht in dem Maße erhöhen, wie wir das eigentlich müssten.« Also bleibe der Gemeinde nichts anderes übrig, als an anderer Stelle zu sparen.

Also bleiben vor allem Investitionen aus – in die Sanierung von Straßen oder Kindergärten etwa oder von Lichtmasten an Gehwegen. Das sei, sagt Dummer, alles sehr bedauerlich, werde sich aber nicht vermeiden lassen. Die Kommunen müssten zuerst ihre Pflichtaufgaben erfüllen, zu denen die Bezahlung des Personals gehöre. »Und dann muss man tatsächlich gucken, was man übrig hat für Investitionen.« Auch aus vielen anderen, oft sogar größeren Kommunen sind solche Aussagen zu hören.

Der finanzielle Druck wird in vielen Kommunen wachsen – nicht zuletzt deshalb, weil sowohl das Land als auch der Bund bislang wenig Neigung zeigen, die durch den Tarifabschluss entstandenen Mehrkosten zu übernehmen. Theoretisch wäre das denkbar. Weshalb der thüringische Finanzstaatssekretär Schubert auch damit rechnet, dass das Land in den nächsten Monaten mit solchen Forderungen konfrontiert werde. »Aber ich bin da zurückhaltend«, so der Mann, der nach Thüringens Finanzministerin Heike Taubert (SPD) im Finanzministerium das Sagen hat. Das hat freilich damit zu tun, dass der Freistaat nach ersten Schätzungen aus dem Finanzministerium selbst mit Personalkostensteigerungen in einer Größenordnung von etwa 300 Millionen Euro pro Jahr rechnen muss, wenn der aktuelle Tarifabschluss für die Beschäftigten des Landes übernommen wird.

Immerhin erwartet Dummer in der Verwaltungsgemeinschaft Feldstein keine Neiddiskussionen, wenn mehr Geld für Personal ausgegeben werden muss und damit manche Schlaglöcher nicht ausgebessert werden. »Ich habe noch nicht die Erfahrung gemacht, dass uns die Bürger vorwerfen, wir würden zu viel Geld verdienen«, meint sie, was auch daran liege, dass in den Kommunen regelmäßig in Gehaltsstufen von E5 bis E9 bezahlt werde und es zudem viel Teilzeitarbeit gebe.

Das E5-Einstiegsgehalt liegt bislang bei etwa 2600 Euro brutto pro Monat, bei einer E9-Gehaltsstufe bei etwa 3100 bis etwa 3400 Euro brutto. Das sei so wenig Geld, dass etwa die Hälfte der Bewerber für Stellen im öffentlichen Dienst abspringe, »wenn man denen die Zahlen auf den Tisch legt«.

Bei allen Belastungen für die öffentlichen Haushalte ist der hohe Tarifabschluss deshalb auch eine Chance für den öffentlichen Dienst. Vielleicht wird ein Job bei den Kommunen für manche Fachkräfte doch wieder attraktiv. Attraktiver jedenfalls als bisher.

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