Umkämpftes »Gerechtes Russland«

Einstige Oppositionspartei wird zu einer Partei von Frontkämpfern und Hardlinern

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.
Vorschlaghammer des Anstoßes: Das »Geschenk« von Söldner-Chef Jewgenij Prigoschin für Gerechtes-Russland-Chef Sergej Mironow sorgte in Russland für Aufregung.
Vorschlaghammer des Anstoßes: Das »Geschenk« von Söldner-Chef Jewgenij Prigoschin für Gerechtes-Russland-Chef Sergej Mironow sorgte in Russland für Aufregung.

Marina Schischkina hat ihre Entscheidung getroffen. Gemeinsam mit drei weiteren Abgeordneten verlässt die Vizesprecherin der Gesetzgebenden Versammlung von St. Petersburg ihre Fraktion Gerechtes Russland. Die Begründung verrät viel über die Konfliktlinien. »Wir sind in eine andere Partei eingetreten«, sagte Schischkina der Tageszeitung »Kommersant«. »In eine Partei, deren Leitideen soziale Gerechtigkeit sowie die großen Probleme der kleinen Leute waren. Außerdem traten wir in eine Partei der intellektuellen und professionellen Politiker aus einem offenen, toleranten und aufgeklärten Petersburg ein.«

Den Seitenhieb dürfte in Russland jeder verstehen. Schließlich sollte die 2006 mit dem Segen von Wladimir Putins Präsidialverwaltung gegründete Partei zuerst der Kommunistischen Partei der Russländischen Föderation (KPRF) Stimmen abjagen und dann der gemäßigt-linke Gegenpart zur Regierungspartei Einiges Russland werden. Deklariertes Endziel der Kampagne war die Etablierung eines Zweiparteienmodells in Russland. Angeführt von Sergei Mironow, damals Vorsitzender des Föderationsrats und damit Inhaber des formell drittwichtigsten Amts in Russland, fiel die Opposition der neuen Partei zum Kreml entsprechend moderat aus. Trotz der Unterstützung für Dmitri Medwedew im Präsidentschaftswahlkampf 2008 und für Wladimir Putin 2018 präsentierte sich Gerechtes Russland weiterhin als linke Alternative.

Figur Prilepin

Die Nähe zum Kreml und insbesondere die vorbehaltslose Unterstützung für den Krieg gegen die Ukraine führte 2022 zum Ausschluss aus der Sozialistischen Internationale, in der Gerechtes Russland seit 2012 Mitglied gewesen war. Erst ein Jahr zuvor war die Partei mit den kleineren linksnationalistischen Patrioten Russlands und der Bewegung für die Wahrheit des Schriftstellers Sachar Prilepin fusioniert, der bereits 2014 auf Seiten der Separatisten im Donbass gekämpft hatte.

Prilepin erholt sich zurzeit im Krankenhaus von den schweren Verletzungen, die er bei einem Bombenanschlag am 6. Mai erlitten hat. Seit Januar 2023 war der Schriftsteller an der Front in der Ukraine eingesetzt, zuvor hatte er Pläne für seine Kandidatur für die Präsidentenwahlen 2024 durchschimmern lassen. Parteichef Mironow will hingegen zugunsten Putins auf einen eigenen Kandidaten verzichten, wie er am 20. Mai beim Parteitag noch einmal betonte. Für Aufsehen sorgte Mironow vor Kurzem auch, als er sich demonstrativ an den Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, annäherte und von ihm einen gravierten Vorschlaghammer als Geschenk annahm – eine Anspielung auf berüchtigte Videos, in denen Wagner-Deserteure mit einem Hammer hingerichtet werden.

Unterwandert Prigoschin die Partei?

Doch die Verbindungen scheinen tiefer zu sein. Prigoschin wird nachgesagt, aus Gerechtes Russland eine politische Vertretung der Wagner-Gruppe machen zu wollen. Dabei steht St. Petersburg besonders im Fokus, schließlich befindet sich Prigoschin in einem Dauerstreit mit dem dortigen Gouverneur Alexander Beglow.

Diese Entwicklung scheint nicht allen in der Partei zu gefallen. Laut dem Online-Medium Meduza stoßen das Tandem Prigoschin-Mironow wie auch Prilepin und sein Netzwerk auf Widerstand. Zwar wurde Prilepin am Wochenende als Co-Vorsitzender wiedergewählt, dennoch können sich wenige für seine durch den Krieg erzwungene »Linkswende« erwärmen, bei der prowestliche Oligarchen entmachtet, die Wirtschaft für den Krieg mobilisiert und oppositionelle Künstler durch eine Generation junger Kriegsveteranen verdrängt werden sollen. Prigoschin tritt weniger ideologisch auf. Statt Hass zu sähen, spricht er mit Achtung über den Kriegsgegner und schlug bereits dem ukrainischen Präsidenten Wolodymr Selenskyj direkte Verhandlungen vor. Dafür beschimpft er unermüdlich die Armeeführung und die »Drückeberger« im Hinterland.

Gerechtes Russland balanciert auf einem schmalen Grat. Zuvor positionierte sich die Partei »für Putin, aber gegen Liberale in der Staatsführung«. Die soziale Rhetorik, die einst dazu diente, die Unzufriedenen in Putins gelenkter Demokratie einzubinden, kann durchaus destruktiv für das System werden. Denn mittlerweile drängen sich in der Partei Akteure mit eigenen Ressourcen an bewaffneter Gewalt in die erste Reihe und drohen den anderen Fraktionen in der Staatsführung.

Linke an den Rand gedrängt

Einerseits hat Prigoschin den Ruf eines Hardliners, aber es gelangen auch immer wieder Äußerungen an die Öffentlichkeit, die respektlos-kritisch gegenüber Putin sind. Und Prilepin verkauft seine Unterstützung für den Kreml als Drängen für seine Ideen. Die Frontkämpfer, ob Söldner oder Freiwillige, sind zwar in verschiedene »Clans« und Strömungen gespalten, aber ihre Ansprüche auf mehr Repräsentanz in der Politik werden immer lauter artikuliert.

Noch sind die Hardliner sich uneins und dadurch nicht schlagkräftig, auch wenn sie offen die Staatsführung kritisieren. Offen bleibt, was mit einigen linken Aktivisten, die Gerechtes Russland aus früheren Tagen noch in den eigenen Reihen hat, bei einem derartigen Wandel der Partei passiert.

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