Strohbau neu entdeckt

Der Baustoff vom Acker ist energiesparend, dämmt gut und hält sogar Feuer stand

  • Mona Grosche
  • Lesedauer: 6 Min.

Neubau muss nützlich sein, nicht weniger schädlich». Mit diesen deutlichen Worten leitete Professor Michael Baumgart von der gastgebenden Leuphana Universität den Strohbautag 2023 in Lüneburg ein. Für ihn ist klar, dass das große Potenzial von Stroh erkannt und es als «Hightech-Material» weiterentwickelt werden muss: «Strohbau muss die Zukunft des Bauens insgesamt sein».
Mehr als 150 Fachleute tauschten sich beim Strohbautag Anfang Mai über Forschung und Praxis in Deutschland aus. Was noch vor 20 Jahren als exotisches Randgebiet galt, erweist sich dabei mittlerweile als ein zentrales Thema beim klimafreundlichen und nachhaltigen Bauen.

Im Streben nach einem stärkeren Einsatz von Stroh können die Strohbauenden auf dessen lange Tradition als Baustoff verweisen. Um 1900 entstanden in Nebraska (USA) die ersten Häuser ganz aus Strohballen, nachdem die Technik entwickelt worden war, Stroh maschinell zu Ballen zu pressen. In Europa ist das älteste Haus aus Strohballen das Maison Feuillette von 1920, das heute als Sitz des Nationalen Strohballenbauzentrums in Frankreich fungiert. Das mit sieben Geschossen derzeit höchste Strohbaugebäude weltweit steht ebenfalls in Frankreich und ein weiterer Bau mit elf Geschossen ist dort in Planung.

Auch hierzulande steigt die Zahl der Strohballenhäuser stetig. Sie beläuft sich aktuell nach Schätzungen des Fachverbands Strohballenbau Deutschland e.V. (FASBA) auf über 1000 Gebäude. Das höchste ist das fünfstöckige «Norddeutsche Zentrum für nachhaltiges Bauen» in Verden. Die Bauprojekte reichen von Sanierungen über Einfamilienhäuser bis hin zu höheren Gebäuden der Gebäudeklassen 4 und 5, für die auch höhere Anforderungen an den Brandschutz gelten. Beispiele für Strohbauten der hohen Gebäudeklassen sind das Gästehaus «Haus Wunibald» des Klosters Plankstetten sowie das Mehrgenerationenprojekt «querbeet» in Lüneburg, mit 40 Wohneinheiten auf vier Etagen plus Tiefgarage.

Weniger Energieeinsatz als im Massivbau

Zu den Vorzügen von Stroh zählt die hohe Verfügbarkeit des Werkstoffs, der als Abfallprodukt der Nahrungsmittelproduktion auf jedem Acker anfällt. Danach muss er nur noch gepresst werden. Dementsprechend hat das Material eine ausgesprochen positive Ökobilanz: Mit der Energie, die man allein für die Herstellung eines Massivbaus benötigt, kann ein Strohhaus gebaut und 69 Jahre lang betrieben werden. Bei der Ballenproduktion wird nur minimal CO2 ausgestoßen und durch gute Dämmeigenschaften wird Heizenergie reduziert.

So machte auch Architekt Dirk Schramer auf dem Strohbautag deutlich: «Jeder Wohneigentümer des querbeet-Strohbauprojekts könnte mit dem Auto einmal um die Erde fahren, ehe er den gleichen CO2-Verbrauch hat wie sein Nachbar in einem konventionell gebauten Haus.»

Stroh trägt zu einem gesunden Raumklima bei, das sich durch eine ausgeglichene Raumfeuchte, konstante behagliche Temperaturen und schadstofffreie Luft auszeichnet. Zudem können sich die Dämmwerte mit vergleichbaren Materialien problemlos messen. Es hat sehr gute Brandschutzeigenschaften: Eine 36 Zentimeter dicke strohgedämmte Wand mit 30 Millimeter Putzschicht hält einem Brand 30 Minuten lang stand, erreicht also die Brandklasse F30. Bei 60 Millimetern sind es sogar 60 Minuten respektive Brandklasse F60.
Auch in Sachen Schallschutz können Strohbauwände Massivwände ersetzen, wie einzelne Prüfungen zeigten. Dies muss allerdings noch in der Breite und im Labor nachgewiesen werden. Bislang gibt es dazu nur einzelne Messungen nach Fertigstellung.

Weitverbreitet ist die Verwendung im nicht lasttragenden Strohballenbau. Hier werden die Zwischenräume innerhalb eines Holzständerwerks zwischen der tragenden Holzstruktur mit sehr fest gepressten Ballen gefüllt. Im Anschluss wird die Wand verputzt oder auch an der Außenseite verkleidet. Häufig kommen ein Innenputz aus Lehm und außen ein Kalk(zement)putz zum Einsatz. Die Holzständerbauweise kann auf der Baustelle vor Ort realisiert werden oder die Elemente werden in der Zimmerei vorgefertigt und dann auf dem Bau zusammenfügt. Dies geht sogar bis zum schlüsselfertigen Bauen.

Für Stroh gibt es eine Baustoffzulassung als Dämmmaterial. Dazu verwendet man die Ballen oder auch Einblasdämmungen aus Stroh. Mittlerweile werden zudem Wandbau- und Putzträgerplatten aus Stroh, Trägerplatten für Fußbodenheizungen und sogar Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) angeboten.

Vorgefertigte Module aus Holz und Stroh sind auch für Sanierungen besonders praktikabel. Dies zeigt das aktuelle Leuchtturmprojekt der Sanierung mehrerer städtischer Schwimmbäder in Oberhausen, das bereits teilweise abgeschlossen ist. Bei der Sanierung wurden die vorgefertigten Holzbaumodule mit Strohballendämmung vor die Bestandswände gestellt und auf die Flachdächer gelegt. Durch die Dämmung mit den Modulen und weitere Maßnahmen an den Bauten aus den 1960ern werden die Energiekosten drastisch gesenkt. Architekt Dennis Harms von bau|gestalt architekten in Köln, der das Projekt mit dem Modulhersteller Lorenz realisiert, berichtet, dass nach der energetischen Sanierung der sieben Lehrschwimmbäder circa 6600 MWh im Jahr eingespart werden können, was etwa acht Prozent des Gesamtverbrauchs der kommunalen Liegenschaften der Stadt Oberhausen entspreche. Ein weiteres Leuchtturmprojekt ist der neue Hort in Strohbauweise, den die Stadt Lüneburg zurzeit als bundesweit erste Kommune an der dortigen Anne-Frank-Schule realisiert.

Wissenschaftliche Studien fehlen

Dass die Akzeptanz des Baustoffs so weit fortgeschritten ist, liegt zum einen an der nationalen Zulassung als Dämmstoff seit 2006, die dann 2017 mit der Europäischen Technischen Bewertung ETA 17/0247 in ein europäisches Format übertragen wurde. Zum anderen trägt dazu auch das Engagement der im FASBA organisierten Strohbauenden bei. Auf Basis der gemeinsamen Expertise entwickelte man dort 2014 eine Strohbaurichtlinie, die 2019 aktualisiert wurde. Sie gilt inzwischen als anerkannter Stand der Technik, was die bürokratischen Hürden beim Bauen deutlich verringert.

Dennoch wurde beim Strohbautag 2023 deutlich, dass noch nicht alle Steine aus dem Weg geräumt sind. Gerade in Sachen Schall- und Brandschutz existieren zwar Messungen und Nachweise, die belegen, dass Stroh keine Nachteile oder Risiken birgt. Doch breit angelegte wissenschaftliche Studien fehlen. Aktuell gibt es allerdings gleich zwei Forschungsprojekte an der Universität Weimar, die sich mit dem lasttragenden Strohbau befassen.

Auf diese Weise könnten die Hemmnisse gegenüber dieser weiteren Variante des Bauens mit Stroh verringert werden. Für den lasttragenden Strohbau fehlt bislang in Deutschland der Tauglichkeitsnachweis, dennoch wurden bereits einige Projekte über Zustimmungen im Einzelfall (ZiE) genehmigt und umgesetzt.
Bei dieser Bauweise stapelt man die Strohballen wie beim konventionellen Mauerwerk aufeinander. Aktuelle Beispiele für die Machbarkeit zeigen ein zweigeschossiges Wohnhaus des Architekten Florian Hoppe von 2019 in Weimar, aber auch der Sitz eines Gartenbaubetriebs in der Schweiz aus 2016, bei dem sogar das Dach aus Strohballen besteht.

Der Architekt Thomas Gramlich zieht aus dem Strohbautag eine positive Bilanz: «Das Interesse an nachwachsenden Baustoffen ist deutlich gestiegen. Der Baustoff Stroh stößt nicht nur bei privaten, sondern auch bei öffentlichen Bauherren auf Resonanz. Jetzt gilt es, diese Bauweise gerade im Hinblick auf den Klimawandel (wieder) zu etablieren».

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