Snowden-Leaks: Geheimdokumente belegen globale Massenüberwachung

Nach den Enthüllungen ist viel mehr als je zuvor über Fähigkeiten der Geheimdienste bekannt

  • Anna Biselli
  • Lesedauer: 7 Min.
Über seine Radome in Bad Aibling hat sich auch der BND an der globalen Überwachung beteiligt und dafür die »Weltraumtheorie« erfunden.
Über seine Radome in Bad Aibling hat sich auch der BND an der globalen Überwachung beteiligt und dafür die »Weltraumtheorie« erfunden.

Als vor zehn Jahren die ersten Berichte zu den Snowden-Enthüllungen erschienen, ahnten wir kaum, was alles folgen würde. Zuerst kam heraus: Die NSA beschaffte sich die Telefonverbindungsdaten von Millionen Kund*innen des großen US-Telekommunikationsanbieters Verizon. Dann: Der US-Geheimdienst griff unter dem Code-Namen »Prism« Daten bei Tech-Konzernen wie Google, Facebook und Apple ab – E-Mails, Videos, gespeicherte Daten. Und das war erst der Anfang.

Kurz nach den ersten Veröffentlichungen gab sich der damals 29-jährige Edward Snowden als Informant zu erkennen. Er wolle nicht verstecken, wer er sei, denn er habe nichts Falsches getan. Lange hatte Snowden für die US-Geheimdienste gearbeitet, zuletzt als Systemadministrator bei Booz Allen Hamilton, einem Sub-Unternehmen für die National Security Agency (NSA). Dort bekam er Zugriff auf Geheimdokumente. In ihm wuchsen über Jahre hinweg Zweifel, da die USA eine riesige Überwachungsmaschinerie aufbauten, die in Privatsphäre, Freiheit und Grundrechte von Menschen weltweit eingriff. Schließlich entschied sich Snowden, eine große Menge geheimer Dokumente an Journalist*innen zu übergeben. »Die Öffentlichkeit muss entscheiden, ob eine solche Vorgehensweise und solche Überwachungsprogramme richtig oder falsch sind«, sagte er.

Es blieb nicht bei den ersten zwei, drei und auch nicht bei zehn Enthüllungen. Die zogen sich über Monate hin, meist im Abstand weniger Tage. Der britische Geheimdienst GCHQ zapfte etwa laut den Berichten wichtige Internetknotenpunkte an und teilte die Daten mit der NSA. Im Visier der NSA standen bei weitem nicht nur Terrorismusverdächtige, sondern auch zahlreiche Regierungsvertreter*innen und Politiker*innen, Unternehmen und sogar die Vereinten Nationen. Um sich in Computernetzwerke zu hacken, entwickelte der Geheimdienst ein Arsenal an Schadsoftware. Zudem wurde bekannt, dass es eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen manchen Ländern unter dem Namen »Five Eyes« gibt. Dort haben sich die USA, Großbritannien, Neuseeland, Kanada und Australien zusammengeschlossen. Die Liste an den weiteren Erkenntnissen aus den Snowden-Leaks ließe sich beinahe endlos fortführen.

Deutschland gehörte nicht zum engsten Kreis der verschworenen Geheimdienst-Gemeinschaft. Doch schon früh wurde klar, dass die Bundesrepublik in der globalen Spionageaffäre eine nicht unwichtige Rolle spielt. Und zwar als Beihelferin, aber auch als Opfer der US-Dienste. Ab 2002 soll das Handy der CDU-Politikerin und langjährigen Kanzlerin Angela Merkel auf einer Liste mit NSA-Zielen gestanden haben, berichtete der »Spiegel« im Oktober 2013. Die öffentliche Empörung war groß, es folgte Merkels berühmter Satz: »Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.«

Spätestens ab diesem Moment war der Skandal in Deutschland angekommen, der Bundestag debattierte das Thema. Einig war man sich, die mutmaßlichen Spionageaktivitäten der NSA in Deutschland zu verurteilen. Uneinig darüber, ob man dem in Russland festsitzenden Snowden Asyl gewähren solle. Die Diskussion über einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss begann, im April 2014 nahm dieser seine Arbeit auf.

Anfangs dachte man vielleicht noch, ein solcher Ausschuss solle vor allem aufklären, was die NSA in Deutschland treibt. Doch schnell veränderte sich der Fokus, denn es wurde immer klarer, wie sehr die deutschen Dienste, vor allem der Bundesnachrichtendienst (BND), im globalen Spionageapparat mitspielen. Sowohl der deutsche Inlands- als auch der Auslandsgeheimdienst durften die mächtige Analysesoftware »XKeyscore« nutzen, mit der auch die NSA riesige Datenmengen durchforstete und nutzbar machte. In der Operation »Eikonal« arbeiteten BND und NSA eng zusammen. Die deutschen Spione zapften von 2004 bis 2008 einen Kommunikationsknotenpunkt der Deutschen Telekom an und gaben Daten an die US-Amerikaner weiter. Ein Filter des BND sollte Kommunikation von Deutschen aus den Datenverkehren aussortieren, doch er funktionierte nicht richtig.

Um der NSA zuzuarbeiten, erhielt der BND von dem US-Partner sogenannte Selektoren, die man sich wie Suchbegriffe vorstellen kann. Ein Selektor kann ein bestimmtes Stichwort sein, aber beispielsweise auch eine IP-Adresse, eine Telefonnummer oder eine Geokoordinate. Immer wieder befanden sich darunter Selektoren, die sich gegen deutsche und europäische Interessen richteten. Insgesamt 40 000 problematische Suchbegriffe sollen dem BND ab 2008 aufgefallen sein. So war die NSA offenbar an Aktivitäten der Firmen Eurocopter und EADS (heute Airbus) interessiert.

Vieles, was der BND tat, bewegte sich rechtlich auf fragwürdigem Fundament, für das er sich mehrere Theorien zurechtlegte. Da er in der Regel nur ausländische Verkehre abhören darf, verlegte der Geheimdienst die Mainmetropole Frankfurt, wo sich der zentrale Internetknoten DE-CIX befindet, ins »virtuelle Ausland«. So konnten die darüber geführten Datenströme aus Sicht des BND legal abgehört werden, da diese Deutschland lediglich durchquerten. Wenn er in seiner Außenstelle Bad Aibling die Satellitenkommunikation erfasste, wurde ähnlich argumentiert: Dabei handele es sich um eine Erfassung im Weltraum – und nicht auf deutschem Boden.

Der NSA-Ausschuss im Bundestag befragte von 2014 bis 2017 in fast 600 Stunden mehr als 100 Zeug*innen und Sachverständige, dazu gehörten rangniedrige Mitarbeitende des BND ebenso wie deutsche Geheimdienstchefs oder Regierungsvertreter*innen. Die Aufklärung war mühsam, viele Zeug*innen gaben an, sich an nichts mehr erinnern zu können. Oder verwiesen darauf, dass ihre Aussagegenehmigung ihnen nicht erlaube, über gewisse Dinge zu sprechen – schon gar nicht öffentlich.

Den wohl naheliegendsten Zeugen Edward Snowden befragten die Abgeordneten nicht. Über Jahre zog sich der Streit, ob man den Whistleblower einladen oder ob er zugeschaltet aus Russland aussagen könne, ob man ihm letztlich Asyl gewähren sollte. Vor allem die Bundesregierung blockierte, die Opposition eskalierte den Streit bis zum Bundesgerichtshof. Am Ende revidierte der aber seine erste Entscheidung, wonach der Ausschuss Snowden einladen müsse.

Es folgte eine Reform des BND-Gesetzes, die zwar eine neue Kontrollinstanz brachte, aber sonst vieles von dem legalisierte, was der BND bis dahin auf wackliger Rechtsgrundlage tat. Teile des Gesetzes wurden danach wieder vom Bundesverfassungssgericht beanstandet. Die darauffolgende Neuregelung wird mittlerweile erneut gerichtlich angegriffen. Auch in den USA gab es nur kleine Einschränkungen der Geheimdienstbefugnisse, die sich primär auf US-Bürger*innen bezogen.

Snowden sagte, seine größte Angst sei, dass sich nach seinen Enthüllungen nichts ändert. Das stimmt teilweise. Viel mehr als je zuvor ist nun über die Fähigkeiten der Geheimdienste bekannt. Immer wieder wehren sich Grundrechtsorganisationen juristisch gegen die entgrenzten Geheimdienstbefugnisse und haben manchmal Erfolg. Die direktesten Änderungen aber spüren wir technisch: Im Vergleich zu 2013 ist der Anteil verschlüsselter Internetverbindungen massiv gestiegen und Werkzeuge zur sicheren Kommunikation sind nicht mehr nur etwas für wenige Nerds. Messenger ermöglichen es, unkompliziert Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten auszutauschen. Das alles wird die globale Überwachung zwar nicht stoppen, aber zumindest macht es das den Geheimdiensten ein wenig schwerer.

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