Kosovo: Auf der Suche nach einem Deal

Mit der Eskalation im Kosovo hat Premierminister Albin Kurti die USA und die EU gegen sich aufgebracht

  • Krsto Lazarević
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 29. Mai gingen Bilder aus der kosovarischen Kleinstadt Zvečan um die Welt. Auf ihnen ist zu sehen, wie militante serbische Demonstranten mit Schlagstöcken auf KFOR-Soldaten losgehen, von denen einige zu Boden gehen. Serbische Demonstranten tragen das »Z«-Symbol des russischen Angriffskrieges auf die gesamte Ukraine an ihrer Kleidung. Ein Auto geht in Flammen auf und man hört Sprengkörper explodieren. Die Bilanz: Dutzende Verletzte auf beiden Seiten. Die Soldaten erlitten Knochenbrüche und Verbrennungen. Der Auslöser der Proteste sind die umstrittenen Kommunalwahlen im Norden des Kosovo und der Umgang der Regierung in Pristina damit. In den vier nördlichen Gemeinden Zubin Potok, Zvečan, Nord-Mitrovica und Leposavić leben mehrheitlich Kosovo-Serben, doch die vier Bürgermeister aus den ethnisch-serbischen Parteien hatten im November 2022 ihre Arbeit aus Protest gegen die kosovarische Regierung niedergelegt.

Auch Staatsanwälte, Richter und über 550 kosovo-serbische Polizisten haben den Dienst quittiert, Politiker haben vorläufig das Parlament verlassen. Die Regierung in Pristina will den Norden stärker in den Zentralstaat einbinden, die meisten Kosovo-Serben fordern größtmögliche Unabhängigkeit und eine möglichst autonome Verwaltung mit eigenem Parlament. Obwohl es für diesen Konflikt noch keine Lösung gab, wurden Lokalwahlen im Norden des Kosovo durchgeführt. Die Kosovo-Serben boykottierten die Wahl und vier Kandidaten aus ethnisch-albanischen Parteien wurden zu Bürgermeistern gewählt – mit einer Wahlbeteiligung von gerade einmal 3,47 Prozent.

Als die kosovo-albanischen Wahlsieger dann ihre Arbeit in den Gemeindezentren aufnehmen wollten, versammelten sich davor Demonstrierende, die sie nicht hineinlassen wollen. Die internationale Gemeinschaft im Kosovo hatte Premierminister Albin Kurti zuvor darum gebeten, die Lage nicht zu eskalieren, und an die Bürgermeister appelliert, ihre Arbeit von einer anderen Stelle auszuführen. Kurti hörte nicht auf die Bitte und schickte die kosovarische Polizei aus, die von vielen Serbinnen und Serben im Norden des Kosovo als eine Art fremde Besatzungsmacht gesehen wird – insbesondere, seit die kosovo-serbischen Beamten ihren Dienst quittierten.

Mobilisierung der serbischen Armee

Als die Lage zu eskalieren drohte, griff die KFOR ein und rund 300 Soldaten wurden nach Zvečan geschickt, um die Umgebung zu sichern, während die kosovarische Polizei den neuen Bürgermeister Ilir Peci zu seinem neuen Job eskortieren sollte, den er mit insgesamt 114 Stimmen erhalten hatte. Während Peci in Zvečan das Problem hatte, dass er nicht an seinen Arbeitsplatz gelangen konnte, wollte der Wahlsieger Lulzim Hetemi in Leposavić gar nicht mehr sein Büro verlassen und blieb erst einmal über eine Woche in den Räumlichkeiten.

Währenddessen versetzte Serbien seine Armee in erhöhte Alarmbereitschaft und schickte Truppen an die Grenze zum Kosovo. Solange tausende Nato-Soldaten dort stationiert sind, muss man sich aber keine Sorgen darüber machen, dass Serbien seine Armee in den Kosovo sendet. Der albanische Präsident Edi Rama kommentierte die Lage in Richtung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić: »Was kann er schon tun? Überhaupt nichts! Ihm geht es nur um Innenpolitik.« Rama kritisierte aber nicht nur Vučić, sondern auch Kurti, weil dieser unnötig eskaliert habe, statt auf die wichtigen internationalen Partner zu hören.

Der US-Botschafter im Kosovo, Jeffrey Hovenier, erkannte zwar an, dass die vier kosovo-albanischen Bürgermeister die Wahlen formell gewonnen hatten, drängte aber darauf, dass sie eine technische und keine politische Rolle übernehmen und nur Gebäude betreten sollten, in denen sie auch willkommen seien. Kurtis Entscheidung, stattdessen auf Eskalation zu setzen, hatte direkte Konsequenzen. Kosovarische Truppen wurden aus der Luftverteidigungsübung Defender 23 ausgeschlossen, und die USA erklärten, ihre Unterstützung bei der Anerkennung des Kosovo durch internationale Organisationen einzustellen. Auseinandersetzungen solcher Art zwischen kosovarischer und US-Regierung waren eher ungewöhnlich, aber häufen sich seit dem Wahlsieg von Kurti und seiner linken, jedoch auch albanisch-nationalistischen Partei Vetëvendosje. Eigentlich gelten die USA den meisten Kosovo-Albanern als Schutzmacht, weil es ihren unabhängigen Staat ohne die Nato-Intervention 1999 wahrscheinlich gar nicht in dieser Form gäbe.

Serbiens Präsident Vučić profitiert

Einen Gefallen hat Kurti hingegen dem serbischen Präsidenten Vučić getan. Dieser steht innenpolitisch unter Druck, nachdem es Anfang Mai direkt hintereinander zu zwei Amokläufen mit 17 Toten gekommen ist, worauf er und seine Regierung in einer unwürdigen Art reagiert haben. Dies führte zu Rücktrittsforderungen und den größten Massenprotesten in Serbien seit dem Sturz Slobodan Miloševićs im Oktober 2000. Nun kann Vučić mit dem jüngsten Konflikt im Kosovo von seinen innenpolitischen Problemen ablenken und seine Anhängerschaft mobilisieren. Zudem ist die dominierende Partei im Norden des Kosovo, die Serbische Liste, nicht viel mehr als ein Ableger von Vučićs sogenannter Fortschrittspartei, wodurch er auch in sein Nachbarland hineinregieren kann.

Nach der Eskalation in Zvečan schalteten sich neben den USA auch Deutschland und Frankreich ein. Olaf Scholz und Emmanuel Macron trafen sich Anfang des Monats in Chisinau mit Vučić, der kosovarischen Präsidentin Vjosa Osmani und dem EU-Außenkommissar Josep Borrell. Macron und Scholz drängten auf baldige Neuwahlen im Norden des Kosovo, die nicht von fast allen Kosovo-Serben boykottiert werden. Kurti lenkte auf internationalen Druck ein und will Neuwahlen im Kosovo ermöglichen. Die OSZE hat einen Neun-Punkte-Plan erstellt, der darauf abzielt, die Lage zu stabilisieren. Doch ob Kurti und Vučić das überhaupt wollen, ist eine andere Frage. Als Borrell im März nach Verhandlungen mit den beiden twitterte »We have a Deal«, weigerte sich Vučić, das verhandelte Papier zu unterschreiben, und sagte: »Ich habe unerträgliche Schmerzen in meiner rechten Hand. Dieser Schmerz würde die nächsten vier Jahre anhalten.«

Krsto Lazarević ist Mitarbeiter des grünen Europaabgeordneten Erik Marquardt.

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