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DFB-Frauen offenbaren Defizite im WM-Test gegen Vietnam

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sah beim 2:1-Sieg viele Fehler ihrer Fußballerinnen

  • Frank Hellmann, Offenbach
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Vietnamesinnen um Nguyen Thi Thanh Nha (l.) stellten Chantal Hagel und das DFB-Team vor größere Probleme als erwartet.
Die Vietnamesinnen um Nguyen Thi Thanh Nha (l.) stellten Chantal Hagel und das DFB-Team vor größere Probleme als erwartet.

Die Abschlusszeremonie erinnerte an die besseren Zeiten der Offenbacher Kickers. Fans in roten Trikots machten auf der Gegengerade des traditionsreichen Stadions am Bieberer Berg mächtig Stimmung, das Team begab sich auf eine Ehrenrunde, danach jubelten alle gemeinsam auf einem Erinnerungsfoto. Dummerweise verbreitete nach dem Testspiel der deutschen Fußballerinnen gegen Vietnam allein die Abordnung aus Südostasien mit vielen Landsleuten auf der Tribüne eine ausgelassene Fröhlichkeit.

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Als Martina Voss-Tecklenburg nach dem knappen 2:1-Sieg der DFB-Auswahl die kleine Treppe zum Presseraum nahm, wirkte die Bundestrainerin nach dem unrunden Auftritt zwar angesäuert, aber immerhin klangen ihre Erläuterungen weitaus durchdachter als der zusammenhanglose Auftritt eines Teams, das in dieser Besetzung ab 20. Juli natürlich nicht die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland angehen wird.

Dennoch hatte die 55-Jährige nicht erwartet, dass die zugebilligte Fehlertoleranz von ihrer zweiten Reihe derart überstrapaziert würde. Sie habe sogar die Basics vermisst: »Da haben wir alle einen anderen Anspruch.« Ihr fahriges wie fehlerhaftes Ensemble sei »vielleicht maximal bei 40 oder 50 Prozent« gewesen. So wild man zusammengewürfelt worden sei, habe man auch gespielt, merkte Mittelfeldspielerin Lena Lattwein vom VfL Wolfsburg an. Böse Zungen unter 2,39 Millionen Fernsehzuschauern beim ZDF könnten vielleicht behaupten, dass die DFB-Frauen so verstörend agierten wie gerade die Männer. Das wäre allerdings eine Mischung aus Zynismus und Populismus – und deshalb hat auch niemand unter den 13 652 Fans im Offenbacher Stadion gepfiffen.

Zwischen Hansi Flick und Voss-Tecklenburg, die sich in unregelmäßigen Abständen Whatsapp-Nachrichten schreiben, besteht auch ein entscheidender Unterschied: Die Bundestrainerin war im Gegensatz zum Coach der deutschen Männer zu den vielen Experimenten gezwungen. Die vor drei Wochen noch im Champions-League-Finale geforderten Spielerinnen des VfL Wolfsburg sollen behutsam aufgebaut werden, weshalb nur die überragende Torhüterin Merle Frohms durchspielte, die sich nach einer 2:0-Führung durch Paulina Krumbiegel in der dritten Minute und Janina Minge zehn Minuten vor dem Abpfiff erst beim Anschlusstreffer von Thi Thanh Nha Nguyen in der Nachspielzeit überwinden ließ.

Dazu fehlten die fünf Spielerinnen vom FC Bayern, die nach dem Abstellungsstreit mit dem DFB erst am Freitag nach Herzogenaurach hatten reisen dürfen. Ein Umstand, der erheblich zur Entwertung des ersten WM-Testspiels beitrug. Melanie Leupolz vom FC Chelsea oder Sara Däbritz von Olympique Lyon konnten hingegen nach ihrem pünktlichen Eintreffen mitmachen, obwohl auch deren Arbeitgeber der Europäischen Klubvereinigung ECA angehören. Diese hatte zusammen mit dem Weltverband Fifa den 23. Juni als Beginn des Abstellungszeitraums für Nationalspielerinnen empfohlen.

Das WM-Abschneiden wird zeigen, ob der bayerische Egotrip noch mal thematisiert werden muss. Voss-Tecklenburg gewann nach eigenem Bekunden dennoch einige Erkenntnisse gegen den tapferen WM-Neuling. Es gebe im »athletischen und physischen Bereich« noch ein paar Themen, aber die Fitness werde man mühelos »nach oben schieben«. Viel eher verstörte sie, dass manche Nachrückerin offenbar Grundprinzipien nicht verinnerlicht hätte. Und damit habe sie Schwierigkeiten: »Verstehen alle das Spiel? Kennen alle ihre Aufgaben? Wissen alle ihre Position?«

So konnten laut Voss-Tecklenburg »Spielerinnen im Selektionsprozess« nicht für sich werben. Sarai Linder, Chantal Hagel oder Melissa Kössler von der TSG Hoffenheim, aber auch Laura Freigang von Eintracht Frankfurt müssen sich angesprochen fühlen. Die eine oder andere wird das Turnier mit den Gruppenspielen gegen Marokko, Kolumbien und Südkorea nicht erleben, wenn der Kader nach der Generalprobe gegen Sambia in Fürth am 7. Juli auf 23 Spielerinnen reduziert wird.

Defizite in der »grundsätzlichen Basistechnik« bei Ballannahme oder im Passspiel fand die Bundestrainerin ebenfalls beunruhigend, auch wenn sie anmerkte, dass es »erst drei Platzeinheiten« gegeben habe. »Wir haben jetzt noch ganz viel auf dem Trainingsplatz zu tun«, sagte Voss-Tecklenburg. Rund ein Monat bis zum WM-Startschuss kann aber auch verdammt kurz sein. Das erste Vorbereitungscamp geht noch bis Dienstag, das zweite vom 1. bis 8. Juli. Spätestens danach müssen die Blöcke aus Wolfsburg, München und Frankfurt verschweißt sein, wenn die Mission zum dritten Stern – dem nächsten WM-Titel nach 2003 und 2007 – mit Inhalt gefüllt werden will.

Nach der Abreise nach Sydney am 11. Juli soll bei einem Test gegen ein australisches Juniorenteam hinter verschlossenen Türen weiter an Automatismen gefeilt werden, die auch schon beim torlosen Remis gegen die Schwedinnen, beim 1:0-Sieg gegen die Niederlande und der 1:2-Niederlage gegen die Brasilianerinnen selten zu besichtigen waren. Voss-Tecklenburg erhöhte insofern den Druck, als sie Verbesserungen »auf vielen Ebenen« verlangte. Vom »Prozess« sprach sie übrigens in Offenbach kein einziges Mal. Da hat jemand vernommen, dass es ein neues Unwort im deutschen Fußball gibt.

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