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Żaklin Nastić: Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben

Żaklin Nastić, eine Linkspolitikerin, die von ganz unten kam und nun auf die da oben blickt

  • Jutta Grieser
  • Lesedauer: 5 Min.
Żaklin Nastić 2022 bei einer Demonstration gegen den Einmarsch von russischen Truppen in die Ukraine
Żaklin Nastić 2022 bei einer Demonstration gegen den Einmarsch von russischen Truppen in die Ukraine

Aus die Maus: Der Titel hat etwas Endgültiges. Wiewohl nicht ganz klar ist, an wessen Adresse die final klingende Absage der Autorin gerichtet ist – an das kapitalistische System, an die Bundesregierung, an die Partei, für die Żaklin Nastić seit sechs Jahren im Bundestag sitzt? Kritisch steht sie zu allen, womit sie mindestens zwischen die Fronten in ihrer Partei gerät. Der Klassenkampf, wir sehen es am selbstmörderischen Gemetzel in der Linken, findet nicht draußen, sondern drinnen statt. Augenscheinlich wurde Liebknechts zutreffende Feststellung, der Hauptfeind stehe im eigenen Land, von einigen Führungskräften der Linken auf den eigenen Laden bezogen. Nastić richtet den »Blick von unten auf die da oben« – so der Untertitel ihres Buches – und signalisiert damit, wo sie zu finden ist. Auch in ihrer Partei.

Nein, linker Hochmut ist ihre Sache nicht. Sie hat nicht vergessen, woher sie kommt. Prägend für sie die Zeit nach 1990, als sie zehnjährig mit der Mutter in Hamburg Quartier nahm: erst auf verschiedenen Flüchtlingsschiffen, dann in einer Hochhaussiedlung, die, um das belastete Wort Ghetto zu meiden, heutzutage »Problemviertel« oder »sozialer Brennpunkt« genannt wird. Sie stammt aus einem Dorf bei Gdynia, hat polnische, deutsche, kaschubische und jüdische Wurzeln und besuchte mit Kindern die Schule, deren Herkunft und Schicksal sie teilte. Im Unterschied zu ihren Schicksalsgefährten jedoch verließ sie die Bildungseinrichtung nicht vor der Zeit. Als einziges Mädchen aus ihrer Klasse boxte sie sich im Wortsinne bis zum Abitur durch. Und nebenbei arbeitete sie zur Existenzsicherung im Baumarkt, im Altenheim, bei H&M, im Supermarkt; ihre Mutter verdiente als Reinigungskraft einen Hungerlohn.

1998 gab Nastić der vermeintlichen Partei der kleinen Leute, denen sie sich zugehörig fühlte, ihre Stimme. »Man galt als ein vollwertiger, gleichberechtigter Staatsbürger, wenn man eine Wahlbenachrichtigung bekam, sich im Wahllokal ausweisen und einen Zettel in die Urne werfen durfte. Der Akt machte die Anerkennung, die man sich sonst an jedem Tag erkämpfen musste«, schreibt sie. Und weist damit auf ein unverändert bestehendes Problem hin.

Die Bürger- und Sezessionskriege in Jugoslawien politisierten Żaklin, viele ihrer Mitschülerinnen kamen von dort oder hatten in jener Region ihre Verwandten. Als auf dem Balkan Nato-Bomben fielen, fielen auch bei Żaklin Jadwiga Sarah Grinholc die Würfel. Zehn Jahre später und um ernüchternde Erfahrungen reicher – sie hatte inzwischen Slawistik studiert, war verheiratet und Mutter eines pflegebedürftigen Kindes – schloss sie sich der Partei Die Linke an. Sie kannte keinen einzigen Genossen in Hamburg, darum erfolgte der Eintritt per Mausklick. Schließlich hatte sie sich auch elektronisch kundig gemacht, was diese Partei bewegte, was sie antrieb, was sie wollte. Antikriegspartei: wunderbar. Soziale Gerechtigkeit: her damit! Das entsprach auch ihren politischen Intentionen. Der bedauernswerte Zustand ihrer Tochter ließ sie überdies das Gesundheits- und Sozialsystem im Detail kennenlernen.

Mit 28 Jahren nahm sie erstmals an einer Versammlung der Linken teil. Nun ja, auch sie konnte sich ein autofreies Hamburg vorstellen, aber so lange die immer wieder versprochene Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs nicht erfolgte, war beispielsweise ihre Tante aufs Auto angewiesen: Sie musste morgens um 5 Uhr in der Bäckerei sein. Die aber lag drei Stadtteile entfernt. Mit dem Lastenfahrrad oder dem Tretroller würde sie nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen. Außerdem war die Tante bereits in einem Alter, wo man sich allenfalls in der Freizeit in den Sattel schwingt. War das Problem der Tante nicht auch das von Millionen und Abermillionen Menschen, die nicht in den Städten lebten?

So viele bodenständige und pragmatische Kader hatte die Partei nicht, weshalb Żaklin in Hamburg-Eimsbüttel 2011 für die Bezirksversammlung kandidieren und ihr bis 2017 auch angehören sollte. Wie eben auch der Hamburger Bürgerschaft. 2017 legte Die Linke tatsächlich 2,1 Prozent in Hamburg zu und erhielt 8,5 Prozent. Im Bund kamen gar über 9Prozent zusammen – eines der 69 Mandate der Linken gewann Żaklin Nastić.

Ihre Jungfernrede in Berlin hielt sie am 27. November 2017. »Die SPD hatte den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes vorgelegt, das in erster Lesung behandelt wurde. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki kündigte lächelnd meinen Redebeitrag mit der Bemerkung an: ›Hoffentlich spreche ich jetzt den Namen richtig aus. Ich habe mir sagen lassen: Zaklin Nastic.‹ – ›Sie sehen‹, wandte ich mich ans Auditorium, ›so kann Integration funktionieren.‹ Damit hatte ich die Lacher auf meiner Seite und bekam von allen Seiten Applaus. Nicht nur von meiner Fraktion.« (Żaklin wird wie Jacquelin ausgesprochen.)

Eine Bundestagswahl weiter und einen Krieg später ist diese Art von Heiterkeit und Zustimmung aus dem Parlament gewichen. Die Linke ist dort nur noch mit 21 Frauen und 18 Männern vertreten, und sie tut alles, dass es nach der nächsten Wahl überhaupt keine linken Abgeordneten mehr geben könnte. Żaklin Nastić kann auf ihr Mandat verzichten, nicht aber auf »eine konsequente linke politische Kraft mit Rückgrat und Kopf (…), eine, die für Frieden, soziale Sicherheit und eine streitbare Demokratie kämpft«.

Das vorliegende Buch – von einem Rezensenten als »lehrreich« apostrophiert – bietet nicht nur exklusive und erhellende Einblicke in das zehrende Leben der lahmenden, zerstrittenen Fraktion. Es ist auch als Appell zu lesen, diese Partei nicht vor die Hunde gehen zu lassen. Sie wird mehr denn je gebraucht, ein »Aus die Maus« darf es nicht geben.

Żaklin Nastić: Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben. Das Neue Berlin, 192 S., br., 16 €.

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