Narbenfrei und schmerzarm

Die Schlüssellochchirurgie bringt für Patienten auch positive psychische Effekte

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.
Durch die natürliche Narbe des Bauchnabels kann zum Beispiel die Gallenblase entfernt werden.
Durch die natürliche Narbe des Bauchnabels kann zum Beispiel die Gallenblase entfernt werden.

Im Jahr 1980 gab es am Uniklinikum Kiel eine Weltsensation: Erstmals wurde dort ein Patient per »Schlüssellochchirurgie« am Blinddarm operiert – und das ausgerechnet von einem Frauenarzt, dem Münchner Kurt Semm. Für seine aus damaliger Sicht gewagte Operation hagelte es heftige Kritik, und zwar, wie Semm später berichtete, sowohl von Chirurgen wie auch von Gynäkologen. Von beiden Seiten sei er regelrecht gesteinigt worden, und es dauerte Jahre, bis er rehabilitiert wurde.

Heute gilt Semm als einer der »Väter der laparoskopischen Chirurgie«, einem wesentlichen Bereich der minimalinvasiven Chirurgie: Dabei wird ein Endoskop – ein dünnes Metallrohr mit Kamera – in den Körper eingeführt. Unter Sicht der Bilder, die die Kamera an einen Monitor sendet, wird dann durch Metall- oder Plastikhülsen mit Spezialinstrumenten operiert.

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Inzwischen haben sich minimalinvasive Techniken rasant weiterentwickelt und wegen ihrer offenkundigen Vorteile in vielen Bereichen durchgesetzt. Heute wird ein Blinddarm (genauer gesagt: der Wurmfortsatz) längst in aller Regel minimalinvasiv entfernt, und auch viele andere Operationen – etwa Nierenstein- oder Gallenblasenentfernungen – werden nur noch selten offen durchgeführt. »In den vergangenen 15 bis 20 Jahren hat es eine gewaltige Entwicklung in der Chirurgie gegeben. Man kann heute fast alles minimalinvasiv operieren«, sagt der Viszeralchirurg Matthias Anthuber vom Universitätsklinikum Augsburg.

Selbst bei Organtransplantationen lassen sich zum Teil minimalinvasive Methoden einsetzen, etwa bei einer Lebend-Nierenspende: Um den Spender möglichst wenig zu belasten, werden bloß winzige Schnitte gesetzt, um die Niere zu präparieren. »Das lässt sich komplett minimalinvasiv machen, nur für die Entnahme der Niere brauchen wir einen etwas größeren Schnitt«, sagt Anthuber. Um das Organ anschließend dem Empfänger einzusetzen, ist allerdings nach wie vor eine offene Operation nötig.

Die diversen Vorzüge minimalinvasiver Techniken sind inzwischen gut belegt: »Es sind nur kleine Schnitte nötig. Die Bauchdecke bleibt geschlossen, in der Folge kommt es daher seltener zu Wundheilungsstörungen und anderen Komplikationen«, sagt die Viszeralchirurgin Marty Zdichavsky von der Filderklinik in Filderstadt. »Besonders wichtig ist aber der psychologische Effekt. Da man von der Operation weniger sieht, haben die Patientinnen und Patienten ein besseres Körpergefühl. Sie haben den Eindruck, dass alles nicht so schlimm ist. Es wird oft unterschätzt, wie wichtig das ist.« Auch dieser Faktor trägt dazu bei, dass man nach dem Eingriff rascher wieder aufsteht und sich insgesamt schneller erholt. Diese Vorteile haben sich längst herumgesprochen: »Heute fragen viele Patienten gezielt nach minimalinvasiven Möglichkeiten und sind eher enttäuscht, wenn das in ihrem Fall nicht möglich ist«, berichtet die Chirurgin.

Tatsächlich haben die Verfahren nämlich auch ihre Grenzen. Eine Kontraindikation ist ein »massiv verwachsener Bauchraum«, wie Anthuber erklärt. Das kann der Fall sein, wenn Patienten ein- oder mehrfach voroperiert sind. Um minimalinvasiv vorgehen zu können, braucht man aber »freien Raum« in der Bauchhöhle.

Auch sonst kann es Situationen geben, in denen man offen operieren muss – etwa nach einem schweren Verkehrsunfall mit akuten Blutungen aus Leber oder Milz. »Da braucht man schnell einen guten Überblick, um lebensbedrohliche Blutungen zu stoppen«, erklärt der Chirurg. Abgesehen davon können ausgeprägte Herz-und Lungenprobleme ein Hindernis sein. Damit der Blick auf die Organe frei wird, wird bei einem minimalinvasiven Eingriff der Bauchraum mit Kohlendioxid aufgebläht. »Es kann bei derart vorerkrankten Patienten sein, dass der erhöhte Druck im Bauchraum von Seiten der Herz-Lungen-Funktion nicht toleriert wird«, sagt Anthuber.

Normalerweise können die Operateure gut abschätzen, ob die Voraussetzungen passen. Es kann aber dennoch passieren, dass sich während eines minimalinvasiven Eingriffs Probleme ergeben. »Zum Beispiel kann es zu einer Blutung kommen, die die Sicht erschwert. Wenn der anatomische Überblick fehlt, muss man umsteigen.« Mit »Umsteigen« meint Anthuber, dass offen weiteroperiert wird – auch für diesen Fall müssen die OP-Teams also gerüstet sein. Kann es passieren, dass sie konventionelle Eingriffe verlernen, weil diese nur selten gebraucht werden? »Das ist in der Tat ein Einwand, den konventionell-operierende Kollegen öfters vorbringen«, sagt er. »Es ist sicher wichtig, den chirurgischen Nachwuchs entsprechend weiterzubilden.«

Inzwischen bewegt sich die Chirurgie aber in eine ganz andere Richtung: In vielen Kliniken haben sich Roboter-assistierte Systeme durchgesetzt. Das bekannteste ist das Da-Vinci-System, das sich bei diversen minimalinvasiven Eingriffen einsetzen lässt. Das Stichwort »OP-Roboter« weckt dabei rasch falsche Befürchtungen: »Der Roboter macht nichts Eigenständiges, sondern wird von Chirurgen geführt«, betont Zdichavsky. Die Operationsweise hat sich dadurch extrem verändert: Die Ärztin beziehungsweise der Arzt sitzt ein paar Meter vom Patienten entfernt und steuert von einer Konsole aus die Roboterarme. »Man sitzt dabei bequem. Das bietet ergonomisch große Vorteile«, sagt sie.

Außerdem kommen dabei Instrumente zum Einsatz, die speziell für die Maschine entwickelt wurden. »Sie können besser rotieren, erlauben mehr Freiheiten.« Gerade bei »kleinen, dunklen Räumen«, etwa Operationen an Speiseröhre oder Enddarm, hätten die Verfahren ihre Berechtigung. Grundsätzlich »besser« als die üblichen minimalinvasiven Techniken seien sie aber nicht, meint die Expertin.

Auch eine Metastudie von Medizinerinnen aus Texas, die 2021 im »Annals of Internal Medicine« veröffentlicht wurde, bescheinigt der Roboterchirurgie bei Eingriffen im Bauch- und Beckenbereich keine großen Vorteile. Bei einer Auswertung von 50 Studien mit knapp 5000 Patientinnen und Patienten schnitt sie insgesamt nicht deutlich besser ab als minimalinvasive oder offene Verfahren.

Anthuber sieht allerdings große Chancen in der neuen Technik. Unter anderem vermittle das Gerät einen vergrößerten 3D-Blick auf das Operationsfeld und dadurch einen besseren Einblick, auch die flexibel zu nutzenden Instrumente seien ein großes Plus. Einzig die hohen Kosten und die aufwendige Ausbildung, die das Operieren mit Roboter voraussetzt, seien nachteilig. »Robotik wird die Chirurgie in den nächsten 20, 25 Jahren massiv verändern«, prognostiziert Anthuber. Schon jetzt gebe es kaum einen Eingriff in der Viszeralchirurgie, der nicht schon robotisch ausgeführt worden sei.

Und was rät er Patientinnen und Patienten, die auf der Suche nach einem guten Krankenhaus für einen minimalinvasiven Eingriff sind? »Das Entscheidende ist der Operateur. Man sollte sich erkundigen: Wie viele Eingriffe dieser Art hat er schon gemacht?« Auch schon bei geringsten Zweifeln solle man sich nicht scheuen, eine Zweitmeinung einzuholen. »Dazu rate ich ausdrücklich, wenn ich merke, dass ein Patient nach einem vertrauensvollen Gespräch immer noch verunsichert ist.« Auch für Zdichavsky sind intensive Beratungsgespräche essenziell. »Die Frage ist: Fühle ich mich in einem Krankenhaus gut aufgehoben? Konnte ich im Gespräch alle Fragen stellen? Habe ich alles verstanden? Statistiken haben sicher ihre Wertigkeit, das Entscheidende ist aber ein gutes Vertrauensverhältnis.«

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