Brasilien: Mordfall Franco wird zur Chefsache

Brasiliens Justizminister Flávio Dino treibt Ermittlungen voran

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Montag trat Flávio Dino vor die Presse. Brasiliens Justizminister präsentierte lang erwartete Neuigkeiten über den Mordfall an der linken Stadträtin Marielle Franco. Der mutmaßliche Fahrer des Tatwagens, Élcio de Queiroz, habe sich nach langem Schweigen zu einer Aussage im Rahmen einer Kronzeugenregelung bereit erklärt, verkündete Dino. Der Verdächtige habe ein Geständnis abgelegt und gesagt, ein Mann namens Edimilson Oliveira da Silva, besser bekannt als Macalé, soll den Auftrag an den mutmaßlichen Schützen Ronnie Lessa herangetragen haben. Schon lange vermuten Verwandte und Aktivist*innen, dass die beiden Verdächtigen nicht alleine gehandelt hatten.

Die Hoffnungen sind groß, dass der Mord nun endlich aufgeklärt wird. Am 14. März 2018 waren Franco und ihr Fahrer Anderson Gomes in Rio de Janeiro auf dem Rückweg von einer Veranstaltung erschossen, förmlich hingerichtet worden. Die schwarze, bisexuelle Feministin Franco wurde 2016 für die Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) in den Stadtrat von Rio de Janeiro gewählt. Sie galt als Stimme einer neuen Generation schwarzer Frauen in der Politik.

Posthum wurde Franco von einer regional bekannten Lokalpolitikerin zu einer im ganzen Land verehrten Märtyrerin. Bei Konzerten, Veranstaltungen und Karnevalsfeiern erinnern viele Menschen bis heute an sie – auch weil immer noch nicht klar ist, warum sie sterben musste. Zwar sitzen die mutmaßlichen Täter in Untersuchungshaft, aber zu den möglichen Auftraggebern gibt es bisher keine Informationen.

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Die Ermittler*innen gehen von einem Zusammenhang zu den Milizen aus. Diese paramilitärischen Banden setzen sich aus ehemaligen und aktiven Polizisten zusammen und kontrollieren viele arme Stadtteile Rio de Janeiros mit Waffengewalt. Drei Tatverdächtige waren Polizisten und sollen ebenfalls Teil einer Miliz gewesen sein. Franco war eine scharfe Kritikerin dieser Gruppen, ebenso von Polizeigewalt. Ihr politischer Ziehvater Marcelo Freixo steht schon seit Langem auf der Todesliste der Banden; mehrere Anschläge auf ihn konnten verhindert werden.

Am Montag hatte die Polizei die Häuser von weiteren Verdächtigen durchsucht und einen Mann, den ehemaligen Feuerwehrmann Maxwell Simões Corrêa, verhaftet. Er soll Waffen versteckt und die Ermittlungen behindert haben sowie an einem früheren Anschlagversuch auf Franco beteiligt gewesen sein. In seiner Aussage erklärte Queiroz, die Tatwaffe, eine Maschinenpistole des deutschen Herstellers Heckler & Koch, soll aus den Beständen der Spezialpolizei Bope stammen. Der berüchtigten Truppe werden enge Verbindungen zu den Milizen nachgesagt.

Große Teile der Aussagen Queiroz’ sind zwar unter Verschluss, allerdings kündigte Justizminister Flávio Dino weitere Fortschritte in den nächsten Wochen an. Im Januar, kurz nach seinem Amtsantritt, hatte Dino versprochen, den Fall aufzuklären, und neue Ermittlungen durch die Bundespolizei angeordnet.

Dass sich die oberste Polizeibehörde des Falles angenommen hat, zeigt die politische Brisanz. Denn mehr als fünf Jahre nach dem Anschlag sind die Ermittlungsergebnisse dürftig. Die Polizei folgte erst einer falschen Fährte, die wohl absichtlich gelegt worden war. Beweisstücke verschwanden, Beziehungen zwischen Ermittler*innen und Verdächtigen kamen ans Licht, fünf leitende Kommissare wurden ausgetauscht.

Von politischer Seite war lange kaum Unterstützung für die Aufklärung des Falls zu erwarten. Denn mit dem Rechtsextremen Jair Bolsonaro war bis zum 31. Dezember 2022 ein Mann Präsident, der das exakte Gegenteil dessen vertrat, wofür Franco sich einsetzte. Besonders pikant: Der mutmaßliche Mörder Ronnie Lessa lebte in der gleichen Luxuswohnanlage wie Bolsonaro. Vielleicht ein Zufall, doch die Familie des Ex-Präsidenten pflegte seit Langem Verbindungen zu den Milizen.

Der Fall Marielle Franco legt auch offen, wie eng institutionelle Akteurinnen und das organisierte Verbrechen in Rio de Janeiro verknüpft sind. Die neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Luiz Inácio »Lula« da Silva scheint sich anders als die Vorgängerregierung der Verantwortung bewusst zu sein, den Mord aufzuklären. Lula berief Anielle Franco, die Schwester der ermordeten Stadträtin, zur Ministerin für Igualdade Racial (Antirassismus). Franco äußerte sich noch am Montag zu den neuen Ermittlungsergebnissen: Diese stellten einen »wichtigen Schritt« dar, für die Familie sei der Fall aber noch weit entfernt von der Aufklärung.

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