Assistenzhunde: Mit feinsten Antennen

Schäferhündin Yuki ist ein Epilepsiewarnhund – sie spürt, wenn ein Anfall droht

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 6 Min.
Das Geben der Pfote ist keine Fertigkeit, die ein Assistenzhund zwingend beherrschen müsste.
Das Geben der Pfote ist keine Fertigkeit, die ein Assistenzhund zwingend beherrschen müsste.

»Meine kleine Lebensretterin« nennt Nora ihre treue Begleiterin liebevoll. Die weiße Schäferhündin liegt unterdessen entspannt vor Noras Füßen und wirkt so, als könnte sie nichts auf der Welt aus der Ruhe bringen. Doch der Eindruck vom faulen Hund täuscht. Sobald bei Nora ein epileptischer Anfall droht, schlägt Yuki innerhalb von Sekunden Alarm. Für die 39-Jährige reicht die Zeit gerade noch, um sich aus der Gefahrenzone zu bringen: »Ich muss mich dann möglichst schnell hinsetzen oder -legen.«

Bei einem Anfall wird sie kurz bewusstlos und verkrampft sich. Das kann gefährlich werden, wenn sie zum Beispiel beim Kochen ist, weil sie sich verbrühen könnte. Aber auch Treppen könnten zum Verhängnis werden: »Man ist bei so einem Anfall stocksteif«, sagt Nora. »Beim Fallen kommt es deshalb sehr leicht zu Verletzungen.« Erst kürzlich ist es ihr passiert, dass sie eine Treppe hinaufgehen wollte, aber Yuki ihr den Weg versperrte. »Das hat mir bestimmt Knochenbrüche erspart. Yuki ist zu hundert Prozent verlässlich.«

Die Zeichen, die der achtjährige Schäferhund gibt, sind für Nora leicht zu deuten. »Sie stellt sich vor mich hin und stupst mich immer an.« Allerdings kommen die Warnungen kurzfristig: Im Schnitt meldet Yuki sich zwei Minuten vor einem Anfall. Es kann dann vorkommen, dass sich Nora gerade mitten in einer überfüllten Fußgängerzone befindet und schnellstens einen halbwegs sicheren Ort zum Hinsetzen suchen muss. Manchmal, erzählt sie, reicht die Zeit, um Passanten noch rasch die Situation zu erklären. Sonst kann es passieren, dass Leute erschrecken, wenn sie Noras Krämpfe sehen.

Bei einem großen generalisierten Anfall, der dann meist folgt, verliert man das Bewusstsein, wird steif und hat Zuckungen am ganzen Körper. Für Außenstehende kann so ein »Grand mal«, wie diese Art von Anfall früher auch genannt wurde, lebensbedrohlich wirken – obwohl er meist nach ein, zwei Minuten folgenlos überstanden ist. Oft alarmieren Passanten deshalb den Notarzt. Nötig wäre das in der Regel nur, wenn der Krampf nach fünf Minuten noch nicht vorbei ist. Dauert ein Anfall nämlich länger oder kommt es zu einer Serie von Anfällen, besteht die Gefahr, dass sich Betroffene nicht mehr erholen – im Extremfall wird es lebensgefährlich.

»Wenn ich aufwache, kann es sein, dass ich von einer starrenden Menschenmenge umringt bin. Das ist nicht gerade prickelnd«, erzählt die 39-jährige Lehrerin. »Viele Leute reagieren aber sehr nett und hilfsbereit. Allerdings ist es mir auch schon passiert, dass ich Junkie genannt wurde und jemand gerufen hat: Was hast du denn genommen?« Auch deshalb, findet sie, sei es so wichtig, über Epilepsie aufzuklären. Dazu trägt die sportlich-dynamisch wirkende Frau aus der Region Rosenheim selbst bei, indem sie offen und sachlich über ihre Krankheit spricht.

Epileptische Anfälle werden gerne mit »Gewittern im Kopf« verglichen, da sich auf einmal vermehrt Nervenzellen entladen. Hat man im Lauf des Lebens mehrere solcher Anfälle, ohne dass ein Auslöser (etwa eine Vergiftung) erkennbar ist, spricht man von Epilepsie. Die Krankheit ist verbreiteter als häufig angenommen: Schätzungen zufolge sind bis zu ein Prozent aller Menschen in Deutschland von Epilepsie betroffen. Dabei sind die Formen der Krankheit enorm vielfältig. Manchmal zeigt sie sich schon bei Babys, manchmal tritt sie erst im hohen Alter auf, manchmal verschwindet sie plötzlich. Auch die Anfälle können völlig unterschiedlich ausfallen. Laien denken meist nur an den »Grand mal«, dabei können sich kleine epileptische Anfälle auch als kaum merkliche Zuckungen oder kurze Abwesenheiten äußern.

Nora glaubt heute, dass sie als Teenager erste Anfälle hatte, die aber als Kreislaufschwächen fehlgedeutet wurden. Die Diagnose bekam sie erst mit Ende 20, als sich die Anfälle stark häuften. »Das war schlimm damals.« Ihr Referendariat an einer Schule musste sie abbrechen, da sie die Aufsichtspflicht nicht gewährleisten konnte. Die Behandlung erwies sich als extrem schwierig: »Ich habe ein Dutzend Medikamente durch mit all ihren Nebenwirkungen. Bis auf eines hat keines wirklich etwas gebracht.«

Die junge Frau musste daher mit vielen Anfällen leben, die sie immer wieder in gefährliche Situationen brachten und zudem viel Kraft kosteten. Aus englischsprachigen Ländern wusste sie, dass dort öfter Epilepsiewarnhunde zum Einsatz kommen. Sie fing an zu recherchieren und nahm Kontakt zu Züchtern auf. Tatsächlich wurde ihr über eine norddeutsche Züchterin ein vielversprechender Welpe vermittelt, dessen Eltern bereits die Fähigkeit hatten, Anfälle zu erkennen.

Dazu muss man wissen: Es handelt sich um eine Gabe, die manche Hunde von Geburt an haben. Sie lässt sich nicht erlernen – man kann nur trainieren, sie anzuwenden. Als Nora das schneeweiße Bündel zu sich nahm, wusste sie noch nicht, ob es sich tatsächlich als Epilepsiewarnhund bewähren würde. Doch schon bald stellte sich heraus, dass sie Glück hatte und Yuki – benannt nach dem japanischen Wort für Schnee – auf drohende Anfälle reagierte. Mit Hilfe eines Hundetrainers bildete Nora ihre Gefährtin aus. Dabei kam ihr zugute, dass sie seit ihrer Kindheit mit Hunden vertraut war.

Es gibt verschiedene Theorien, worauf die Tiere reagieren. Wahrscheinlich wittern sie eine Geruchsveränderung, die einem Anfall vorausgeht – genau weiß man es aber nicht. Klar ist, dass die Tiere äußerst feine Antennen haben: »Epilepsiewarnhunde sind sehr sensible Tiere. Sie bekommen alles um sich herum mit«, sagt die Assistenzhundetrainerin Dominique von Wantoch aus dem oberbayerischen Schwindegg. »Ohne Ausbildung geht aber nichts.« Überhaupt können Hunde mit ihren feinen Nasen viele Krankheiten erkennen, etwa bestimmte Krebsarten, Infektionen, Unterzuckerungen oder drohende Schlaganfälle. In einigen Fällen lassen sich solche Fähigkeiten durch entsprechendes Training gezielt nutzen.

Mittlerweile sind Epilepsiewarnhunde in Deutschland keine Exoten mehr, wie die Neurologin Susanne Knake von der Universität Marburg berichtet. »Es gibt immer wieder Einzelfälle, in denen Patienten von guten Erfahrungen berichten«, sagt sie. »Von wissenschaftlicher Seite gibt es dazu aber wenig Fundiertes. Es handelt sich um einen noch recht unerforschten Bereich.« Die Krankenkassen kommen in der Regel auch nicht für die Kosten auf.

Dass es Nora, die heute in der Erwachsenenbildung arbeitet, besser geht als vor zehn Jahren, liegt nicht nur an Yuki. Vor einem Jahr hat sie sich einen sogenannten Hirnschrittmacher (Vagusnervstimulator) einsetzen lassen, der durch regelmäßige Stromimpulse die Überaktivität der Nervenzellen hemmen soll. Seitdem hat sie deutlich weniger und schwächere Anfälle. Außerdem ernährt sie sich ketogen, das heißt, dass sie sehr wenige Kohlenhydrate, dafür aber viel Fett zu sich nimmt. Diese Diät hat sich vor allem bei Kindern mit Epilepsie bewährt; aber auch Nora, die sich ihren Ernährungsplan in einer Spezialklinik zusammenstellen ließ, hat an sich positive Effekte beobachtet. Beides miteinander kombiniert hat dazu geführt, dass ihre Anfälle seltener auftreten.

Nach zwei Stunden Gespräch macht sich Yuki erstmals bemerkbar, wird etwas unruhig und jault leise. Ein langer Arbeitstag liegt hinter ihr, und sie bekommt als Leckerli eine Karotte, die sie sofort verputzt. Wie meist geht es auch heute zum Feierabend-Vergnügen an den Inn: »Da darf sie ganz Hund sein, mit anderen toben und sich auspowern«, sagt Nora. Aber eigentlich ist Yuki rund um die Uhr im Dienst.

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