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Toll, dass du da bist

Konstantin Udert über das Detect Classic Festival im mecklenburgischen Schloss Bröllin

  • interview: Jan Paersch
  • Lesedauer: 6 Min.
Spielt die junge Dame Beethoven oder die Beatles?
Spielt die junge Dame Beethoven oder die Beatles?

Herr Udert, Sie sind gelernter klassischer Posaunist und Leiter des Detect Classic Festivals, das sich einem Mix aus modernen klassischen Acts, experimenteller Musik und Electronica verschrieben hat. Kennen Sie das – die Furcht vor der ach so ernsten Klassik?

In der Klassik hat jeder etwas im Kopf, wenn er »Konzert« hört. Aber das klassische Konzertformat ist total langweilig! Alle wissen, worum’s geht: Ob Brahms oder Prokofjew, man verlässt sich darauf, dass hervorragend gespielt wird und dass währenddessen keine Getränkeflaschen umfallen. Beim Detect-Festival wollen wir eine Situation schaffen, in der alle angesprochen werden und fasziniert sind. Eine Symphonie ist ein Gesamtwerk; viele möchten nicht, dass zwischen den Sätzen geklatscht wird. Manche wissen das nicht und fühlen sich dann kritisch beäugt. Es ist unsere Aufgabe, diesen Leuten zu zeigen: Toll, dass du da bist.

Wo kam die Idee für ein Festival her, das sowohl Techno als auch anspruchsvoller Klassik Raum gibt?

Ich war im Vorstand des Orchesterkollektivs Junge Norddeutsche Philharmonie. Wir haben uns gefragt: Warum laden unsere Musiker eigentlich nicht ihre Freunde zu unseren Konzerten ein? Wir gehen ja auch gemeinsam feiern und fahren zu Electro-Festivals. Wir beschäftigen uns den ganzen Tag mit klassischer Musik und erwarten, dass viele Leute ins Konzert kommen, aber unsere Freunde eher nicht. Wir haben dann das Orchester auf ein Pop-Festival gebracht, das hat unglaublich gut funktioniert.

Sie haben also selbst ein Festival geplant?

Genau. Schließlich hatten wir einen Ort, wussten aber nicht, wie wir ihn füllen sollten. Dann trafen wir auf eine Gruppe, die im Vorjahr ein Techno-Festival organisiert hatte, aber ihren Ort verlor. So konnten wir auf hohem Niveau eine Live-Elektronik- und Rave-Szene einbinden und voneinander lernen. Das ist eine riesige Kommunikationsaufgabe. Die Techno-Leute sprechen von »Floor-Deko« und ich schreibe »Bühnenbild« in den Förderantrag, beides bedeutet das Gleiche. Ich muss da eine Übersetzungsleistung erbringen.

Wie können diese beiden Welten zusammenkommen?

Wir machen kein Crossover. Es ist kein Klassik-Festival, an dessen Ende ein DJ spielt. Wir wollen eine ernst zu nehmende Veranstaltung machen und ein neues Publikum gewinnen. Wir wollen Begegnungen schaffen und haben dabei zwei musikaffine Milieus im Blick. Beide haben eine große Zuhörintensität, und es geht um das Haptische. Natürlich gibt es bei uns DJs, aber auch Menschen, die live auf modularen Synthesizern spielen. In dieser Kombination gibt es das in Deutschland sonst nicht. Man muss vorbeikommen, um das einmal zu erfassen.

Ist es schwer, einen verkaterten Techno-Fan, der mittags aus seinem Schlafsack kriecht, für klassische Musik zu begeistern?

Anfangs waren wir auf der Suche nach einem massentauglichen Klang. Dann haben wir festgestellt: Wir vergeuden damit das Potenzial, das in der Klassik steckt. Es gibt genug Prokofjew-Sonaten im klassischen Setting. Aber auf unserem Festival überzeugten sie aufgrund ihrer Qualität. Die haben sich nur deshalb bis heute gehalten, weil sie zeitlos gut sind. Diese »reine Lehre« wird sehr gut angenommen von Leuten, die sich sonst nur einmal im Jahr ein Orchester-Konzert anhören. Die wollen gar nicht, dass wir »was mit Electro« machen.

Man könnte es als ein »Fusion-Festival mit Klassik-Elementen« beschreiben, oder?

Das ist schön. Aber es rückt das Original zu sehr ins Zentrum. Wer zur Fusion will, geht zur Fusion. Zu uns kommen viele, die dort nicht mehr hingehen, weil es ihnen zu groß und zu chaotisch geworden ist. Bei uns ist es ruhiger, das ist wohl der aus der Klassik kommende Anteil. Wir liefern keine Begleitmusik für Drogentrips. Es geht um die Musik! Und du kannst dich kleiden, wie du willst. Du brauchst weder Hemd und Krawatte noch einen Leopardeneinteiler. Und es ist ein kinderfreundliches Festival; man merkt sofort, dass dadurch die Achtsamkeit steigt. Wir erschließen hier eine Zielgruppe im Alter von 25 bis 45, die in der klassischen Szene Nachholbedarf hat.

Spielort ist Schloss Bröllin im Landkreis Vorpommern-Greifswald – eine 800 Jahre alte Gutsanlage, die später zur LPG wurde und seit 1992 als Kulturzentrum genutzt wird.

Wir haben die Ruhe gesucht. Das Gelände befindet sich am Dorfrand von Bröllin, mit Blick in die Natur. Es gibt Nachbarn, das sind nicht viele, aber wenn nur einer dabei ist, dem es nicht gefällt, wird es schwer. Wir sind ein Labor und immer in Kontakt mit den Leuten vor Ort. Die arbeiten als Freiwillige am Tresen oder verkaufen Frühstück übern Gartenzaun. Begegnungen sind uns wichtig. Dazu brauchen wir Platz. Deshalb mussten wir auch weg aus Berlin. Künstlerische Innovation kann kaum noch entstehen, wenn die Räume nicht mehr zu bezahlen sind.

Stichwort: Geld. Warum macht man heute noch ein Festival mit 60 internationalen Acts, angesichts von Inflation und explodierenden Strompreisen?

Wir machen es nicht, um Geld zu verdienen. In jeder bezahlten Stunde stecken zwei unbezahlte. Wir müssen akzeptieren, dass die Leute ihre Tickets immer später kaufen. Selbst vier Wochen vor dem Festival hatten wir noch keine Zahlen, mit denen wir planen konnten. Deshalb sind Fördergelder so wichtig, damit wir in der Aufbauphase nicht mit Privatvermögen haften müssen. Unsere Tickets sind mit 110 Euro für drei Tage günstig, aber in dem Umfeld in Vorpommern ist das viel Geld. Da kostet eine Apfelschorle noch 1,80 Euro.

Setzen Sie absichtlich auf unbekannte Namen im Programm?

Wir hatten früher durchaus renommierte Acts wie Pantha du Prince, Brandt Brauer Frick und Christian Löffler. In diesem Jahr stellen wir unbekanntere Sachen in den Vordergrund. Wir haben eine Fan-Basis geschaffen, die uns vertraut, dass man beim Detect-Festival Dinge hört, die man noch nicht kennt. Wir wollen unser Budget nicht auf drei Namen verteilen, und die Diversität im Line-up ist wichtig. Unser Publikum ist zur Hälfte weiblich – da möchte man nicht nur Kerle auf die Bühne stellen. Jedes Jahr werden uns passendere Künstler*innen angeboten, es ist aber auch viel Schrott dabei.

Zum Beispiel?

Es gibt Künstler*innen, die wundervoll in ihrem Fach sind und dann »mal was wagen«. Und nach drei Wochen Erfahrung am Synthesizer auf die Bühne gehen. Was uns total langweilt: Das Spiel mit handwerklich mittelmäßigen Klassik-Klischees.

Auf Streaming-Plattformen sind Neoklassik-Playlists, die Elektronik und sanfte Klassik verbinden, wahnsinnig erfolgreich.

Diese Playlists funktionieren auch, weil man sie nebenbei konsumiert. Aber genau das wollen wir ja nicht! Meist sind es männliche Pianisten, die uns schreiben, sie klängen wie Ludovico Einaudi. Aber da würden wir uns dann doch das Original holen. Auf unserem Festival findet man im Sinne der Vielfalt auch diese Ästhetik wieder. Aber wir geben uns größte Mühe, nicht mit einer Neoklassik-Playlist verwechselt zu werden.

Interview

Konstantin Udert wurde in Hannover geboren. Sein Freiwilliges Soziales Jahr hat der Posaunist für die NGO »Brass for Peace« in Palästina verbracht. Später wurde er Geschäftsführer des Jugend­orchesters Junge Norddeutsche Philharmonie. Er war 2017 Mit­initiator des Detect Classic Festival und leitet das Festival.

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