Farbbeutel auf »Ort der Demokratie«

Sechs Angriffe in sechs Wochen auf Mitmach-Café eines Demokratievereins in Wurzen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Mitmach-Café in Wurzen nach einer Farbbeutelattacke
Das Mitmach-Café in Wurzen nach einer Farbbeutelattacke

Die Pflänzchen brauchen noch ein wenig Fürsorge. Klein und blassgrün stehen sie in Soßenkännchen im Schaufenster eines Ladens in Wurzen. »Nix los? Dann mach was!«, ist auf eines der Geschirrteile geschrieben, auf ein anderes: »Demokratie braucht dich!«

Das Geschäft unweit des Busbahnhofs und in der Nachbarschaft eines Optikers und eines Blumenladens beherbergt ein Café. Betrieben wird es vom »Netzwerk für Demokratie« (NDK), einem Verein, der sich seit Ende der 1990er Jahre in der sächsischen Kleinstadt für Toleranz, Weltoffenheit und, wie der Name sagt, für demokratisches Engagement einsetzt. Sein Stammsitz ist das D 5, ein historisches Gebäude unmittelbar neben dem Dom, das derzeit aufwendig saniert und um ein Tagungszentrum und Zimmer zum Übernachten ergänzt wird. Obwohl nur wenige Schritte vom Markt entfernt, liegt das ehemalige Domherrenhaus freilich etwas abseits des Kleinstadtlebens. »Zufällige Passanten gibt es hier nicht«, sagt Geschäftsführerin Martina Glass: »Wir wollten mehr in die Stadt hinein.«

Ein Grund dafür ist ein Herzensanliegen des Vereins. Dieser engagiert sich für mehr Beteiligung der Bürger, von der Demokratie schließlich lebt. Das Café ist ein Versuch, dazu einzuladen. Im Schaufenster wird geworben: »Lust auf Basteln, Häkeln, Themen, Unterhaltung? Dann komm rein.« Drinnen gibt es einen bunten Mix gemütlicher Stühle an kleinen Tischen und Katzenbildern an der Wand. Man versuche, durch die Einladung zu Kaffee und Kuchen Bürger zu aktivieren, miteinander in Kontakt zu bringen und Themen zu finden, für die sie sich engagieren würden, sagt Glass. Das Café soll zudem, nicht zuletzt für Familien mit Kindern, einen Treffpunkt bieten, der bisher in der 17 000 Einwohner zählenden ehemaligen Kreisstadt fehlt: »Kino oder Theater gibt es ja hier nicht.« Das Konzept sei zuvor bereits mit temporären Cafés in unterschiedlichen Stadtteilen erprobt und gut angenommen worden, sagt die Vereinschefin. Am 7. Juli eröffnete daraufhin das »Mitmach-Café«. Ermöglicht wurde das nicht zuletzt durch ein Förderprogramm des Landes für »Orte der Demokratie«, aus dem auch das NDK bis Ende 2024 Geld erhält.

In den sechs Wochen, in denen das Café geöffnet ist, zeigte sich allerdings auch, dass es manchem in der Stadt ein Dorn im Auge ist. Es gab sechs Angriffe auf die Einrichtung. Zuletzt wurden binnen zehn Tagen zunächst zweimal Farbbeutel auf Fenster und Fassade geworfen und dann eine ölige Flüssigkeit verkippt, die den steinernen Fenstersims augenscheinlich stark in Mitleidenschaft gezogen hat. Wo die Urheber zu suchen sind, deuteten bereits Aufkleber an, die noch während der Renovierungsarbeiten auf die Fahrräder von Beteiligten geklebt wurden: »Das waren eindeutig Nazi-Sticker«, sagt Glass. Die Polizeidirektion Leipzig erklärte auf Nachfrage, man führe drei Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung. Da »ein politischer Hintergrund für die Taten nicht ausgeschlossen werden kann«, habe der Staatsschutz die Fälle übernommen. Die »mutmaßliche Tatmotivation« sei allerdings »Gegenstand laufender Ermittlungen«, hieß es.

Die extreme Rechte ist in Wurzen seit Jahrzehnten stark verwurzelt. Von einer »Nazihochburg« spricht man bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, die bei der Gründung des NDK engagiert war und einst den Kauf des Hauses ermöglichte, in dem das D 5 entstand. In den 1990er Jahren gab es in Wurzen regelmäßig rechte Demos und Überfälle, Menschen wurden in ihren Wohnungen angegriffen, die NPD richtete ein »Nationales Zentrum« ein. Wurzen galt den Nazis als »national befreite Zone«, erinnert sich Kerstin Köditz, regionale Landtagsabgeordnete der Linken. Derzeit, fügt sie hinzu, »hat man den Eindruck, dass wir uns schleichend zurück in die Neunziger bewegen«. Im Stadtrat sitzt neben der AfD ein Bündnis, das ein rechtsextremer Kampfsportler anführt. Auch eine Gruppierung der NPD-Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) ist sehr aktiv.

Das NDK war regelmäßig Zielscheibe für rechte Übergriffe. Bei Veranstaltungen werde man immer wieder angepöbelt, sagt Glass; auf den Vereinssitz D 5 gebe es jährlich ein bis zwei Übergriffe. Eine Antwort darauf sind zwei Kameras, die gut sichtbar über der Tür angebracht sind. Auch im Mitmach-Café müsse man jetzt über ein Sicherheitskonzept nachdenken, sagt die Vereinschefin. Eine Videoüberwachung ist schwierig, weil sich das Ladenlokal an einer gut besuchten Straße im öffentlichen Raum befindet. In einem Aushang werden Nachbarn zu Aufmerksamkeit ermuntert und um Hinweise gebeten. Es gehe nicht zuletzt darum, die Sicherheit der jeweils zwei bis drei Mitarbeiter zu gewährleisten, die das Café an je zwei Nachmittagen pro Woche betreiben, »gerade in der bevorstehenden dunklen Jahreszeit«, sagt Glass. Sie hofft zudem, dass der Vermieter dem Verein trotz der Angriffe gewogen bleibt. Die finanziellen Schäden hielten sich bisher in Grenzen, aber die Beseitigung der Zerstörung habe viel Zeit und Mühe gekostet.

In der Politik stoßen die Angriffe auf scharfe Kritik. Die Attacken sollten »Menschen einschüchtern, die sich aktiv für unser Gemeinwohl einsetzten«, sagte Justizministerin Katja Meier (Grüne) auf Anfrage des »nd«. Sie seien damit Angriffe »auch auf unsere demokratischen Werte und unsere demokratische Kultur«, fügte sie hinzu. Meiers Haus fördert die »Orte der Demokratie«. Einige von ihnen besucht die Politikerin gerade im Rahmen einer Sommertour, darunter Mitte September auch das NDK in Wurzen.

Derlei unterstützende Botschaften erhält das NDK derzeit viele – zumeist allerdings von außerhalb. Aus dem Rathaus oder Stadtrat erfahre man dagegen auch in diesem Fall »wenig Solidarität«, sagt Glass. Kerstin Köditz kritisiert, ein »Aufschrei« der Zivilgesellschaft oder der politisch Verantwortlichen im Ort bleibe »wieder einmal aus«. In den 1990er Jahren sei auf die massive Präsenz der Rechtsextremen immerhin noch mit einem »Forum gegen Rechtsextremismus« im Muldental reagiert worden, in dem auch die CDU und die Polizeidirektion vertreten waren. »Inzwischen geht die CDU hier zum Problem der extremen Rechten auf Tauchstation und duckt sich weg«, wohl aus Sorge um Stimmverluste, sagt Köditz.

Das Mitmach-Café wird derweil nach urlaubsbedingter Pause nächste Woche wieder öffnen. »Wir machen natürlich weiter«, sagt Martina Glass. Die kleinen Pflänzchen sollen schließlich weiter gedeihen können.

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