Ecuador: Wahl unter Turbulenzen

Die progressive Luisa González könnte erste Präsidentin des Andenlandes werden

  • Steffen Heinzelmann, La Paz
  • Lesedauer: 5 Min.

18 Millionen Ecuadorianer*innen sind am Sonntag an die Wahlurnen gerufen. Nach sechs Jahren neoliberaler Regierungspolitik liegt mit der progressiven Luisa González die einzige Kandidatin unter acht Kandidat*innen bei den Umfragen weit vorne. Die Stichwahl ist für die 45-jährige Anwältin, die für die Partei Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution) des Ex-Präsidenten Rafael Correa (2007-2017) antritt, so gut wie sicher. Für einen Sieg in der ersten Runde bräuchte sie entweder eine absolute Mehrheit oder mindestens 40 Prozent plus zehn Prozentpunkte Vorsprung. Das gaben die Umfragen nicht her.

Den Wahlkampf überschattete zuletzt die Ermordung von Fernando Villavicencio Valencia, Journalist und Präsidentschaftskandidat der rechtsliberalen Partei Construye (»Baue!«), der elf Tage vor der Wahl nach einer Wahlkampfveranstaltung in der Hauptstadt Quito erschossen wurde. Neun Menschen wurden verletzt, ein Verdächtiger starb nach einem Schusswechsel. Verhaftet wurden sechs Verdächtige aus Kolumbien, der amtierende Staatschef Guillermo Lasso verhängte für 60 Tage den Ausnahmezustand und mobilisierte die Armee.

Mordserie kurz vor der Wahl

Nur wenige Tage später wurde erneut ein Politiker getötet: Unbekannte erschossen Pedro Briones, Parteifreund von Luisa González- »Ecuador durchlebt seine blutigste Zeit«, beklagte die Präsidentschaftskandidatin und gab einer »unfähigen Regierung und eines von der Mafia übernommenen Staates« die Schuld an den Gewalttaten der vergangenen Wochen und Monate in Ecuador.

Gewählt wird am 20. August in Ecuador, weil sich Lasso im Mai 2023 gegen ein Amtsenthebungsverfahren wegen Vorwürfen der Unterschlagung mit dem verfassungsgemäßen Instrument der »muerte cruzada«, übersetzt etwa: gegenseitige Zerstörung, wehrte: Der Paragraf ermöglicht ihm unter bestimmten Voraussetzungen die Auflösung des Parlaments bei gleichzeitigem Rücktritt. Neben der Präsidentschaft werden auch 137 Abgeordnete in der Nationalversammlung gewählt und in einem Referendum wird abgestimmt, ob die Förderung von Erdöl im Nationalpark Yasuní verboten wird.

Guillermo Lasso, ehemaliger Banker und seit Mai 2021 Präsident Ecuadors, tritt bei der Neuwahl selbst nicht an. Das Mandat seines Nachfolgers oder seiner Nachfolgerin und der Abgeordneten läuft nur bis zum Ende der ursprünglichen Wahlperiode im Mai 2025.

Erstmals könnte Ecuador eine Präsidentin bekommen

Die Favoritin Luisa González war Arbeitsministerin während der Präsidentschaft von Lenín Moreno Garcés (2017-2021), einst Weggefährte und Vizepräsident von Rafael Correa, inzwischen Intimfeinde. Luisa González wäre bei einem Erfolg die erste Präsidentin Ecuadors. Im Wahlkampf setzte sie auf die Unterstützung durch die indigene und ländliche Bevölkerung, außerdem bezog sie sich unter dem Slogan »El Resurgir de la Patria« (»Das Wiederaufleben des Heimatlandes«) auf die Erfolge und den Regierungsstil von Rafael Correa. Beobachtet wurde deshalb auch ihr politisches Verhältnis zum früheren Präsidenten und Parteigründer Correa. Dieser hatte dem Land während seiner Amtszeit von 2007 bis 2017 politische Stabilität und soziale Erfolge gebracht, war im April 2020 aber in Abwesenheit durch ein Gericht in Ecuador wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit zu acht Jahren Haft verurteilt worden und lebt in Belgien. González hatte angekündigt, dass Correa einer ihrer Hauptberater sein werde, betonte aber auch, dass sie ihm keine Begnadigung anbieten würde.

Hinter González liegen in den Wahlumfragen mit deutlichem Abstand drei mehr oder weniger rechte Kandidaten mit neoliberalem Wirtschaftsprogramm: Für den getöteten Fernando Villavicencio soll dessen ehemaliger Kollege und Journalist Christian Zurita ins Rennen gehen; mit Chancen auf Einzug in die Stichwahl rechnet auch Jan Topić, ein Wirtschaftswissenschaftler mit Vergangenheit in der französischen Fremdenlegion; auch Radiomoderator und Ökonom Otto Sonnenholzner, der von 2018 bis 2020 Vizepräsident der Regierung von Lenín Moreno war, hofft auf eine zweite Runde.

Indigene unterstützen linkes Bündnis

Als aussichtsreicher Kandidat der indigenen und ländlichen Bevölkerung gilt Yaku Pérez. Der Anwalt und promovierte Jurist Pérez kommt anders als die anderen Kandidaten*innen nicht aus der Hauptstadt Quito oder dem Wirtschaftszentrum Guayaquil, sondern aus der im Andenhochland gelegenen Provinz Azuay.

Bei der Präsidentschaftswahl 2021 landete Pérez als Kandidat der Partei Pachakutik in der ersten Runde knapp hinter dem späteren Wahlsieger Lasso auf Platz drei. Pachakutik, deren Name sich vom Begriff für »Zeitwende« in der originären Sprache Kichwa ableitet, setzt sich für die Interessen der indigenen Bevölkerung ein und erreichte bei der Parlamentswahl 2021 das zweitbeste Ergebnis aller Parteien. Diesmal tritt Pachakutik ohne eigene*n Präsidentschaftskandidat*in an, beschloss aber, die Kandidatur von Yaku Pérez für das linke Bündnis Claro Que Se Puede (klar, dass man es (Wandel) schaffen kann) zu unterstützen.

»Wir müssen Yasuní verteidigen«, kündigte Pérez im Juni an und forderte einen Politikwechsel nach den Regierungen Correa, Moreno und Lasso, die eine Ausbeutung des Erdöls im Amazonasgebiet zugelassen hatten. Ob das Thema Umweltschutz die Wahlen beeinflusst, bleibt abzuwarten. Galt Ecuador unter Rafael Correa trotz seiner autoritären Regierung wegen der Stabilität fast als eine Art Musterland Südamerikas, waren die vergangenen Jahre von politischen Umbrüchen, wirtschaftlichen Turbulenzen und der zunehmenden Gewalt geprägt. Wichtige Themen im Wahlkampf waren deshalb die ökonomische Lage und die Sicherheit.

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