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Die teuerste Ernte aller Zeiten

Weniger Ertrag pro Hektar und zu wenig Getreide in Backqualität

»Beim Raps ging es noch einigermaßen mit der Ernte. Danach war es nur noch ein Klauen vom Feld«, beklagt am Donnerstag Christoph Plass, Chef des Kreisbauernverbandes Oberhavel. Dabei sei die Ernte dieses Jahr gut angelaufen. Doch dann kam Ende Juli der Regen. Sonst beklagen sich Landwirte über die Trockenheit. Doch während der Ernte können sie Niederschläge nicht gebrauchen. Dann kann das feuchte Getreide nicht zügig vom Feld geholt werden und später nur noch in einer Qualität, die zum Backen von Brot nicht mehr reicht. Das Korn kann dann nur noch ans Vieh verfüttert werden. »Aus feuchtem Weizen wird kein Mehl«, lautet die Formel.

Doch während für eine Tonne Brotgetreide momentan 40 bis 50 Euro zu erzielen seien, gebe es wenig Bedarf an Futtergetreide, da noch genug vorrätig und jetzt auch viel im Angebot sei. So erläutern es Christoph Plass und sein Pendant eine Ebene höher, Brandenburgs Landesbauernpräsident Henrik Wendorff. Der Bauernpräsident beziffert den Verlust, wenn statt Brot- nur Futtergetreide geerntet wird, mit etwa 25 Prozent.

»Die Phasen des Erntestillstands im Sommer haben uns deutlich unsere Angreifbarkeit vor Augen geführt«, sagt der Bauernpräsident. »In der Landwirtschaft entscheidet die unberechenbare Größe Wetter den betrieblichen Erfolg maßgeblich mit.« Neben Umweltauflagen, politischem und gesellschaftlichem Druck und neben heftigen Schwankungen des Marktes bleibe das Wetter das »Zünglein an der Waage«. Die gute Nachricht: »Auch wenn die Nerven blank liegen, können wir uns auf unsere Mitarbeiter verlassen.« Während für andere Branchen die Vier-Tage-Woche diskutiert werde, gebe es in der Landwirtschaft eine Acht-Tage-Woche – so zumindest will es Henrik Wendorff scheinen.

Schuld an der Misere sind nicht nur die feuchten Wochen im Juli und August, sondern auch die Trockenheit im Mai. Vorher hatte es ausreichend geregnet, dann im Mai nicht mehr. Aber genau da schadet die Trockenheit dem Wachstum und der Qualität besonders. Als wäre das nicht schon genug, gibt es auch Einbußen bei den Mengen. »Bei der Wintergerste ist der Ertrag ganz ordentlich«, nennt Wendorff eine Ausnahme. 13 Prozent Wintergerste mehr je Hektar als im langjährigen Mittel konnten Brandenburgs Bauern von den Feldern holen. »Die Wintergerste hat die Erwartungen erfüllt.«

Doch haben die ersten Regenschauer am 24. und 25. Juli die Landwirte schwer getroffen. Es sei nicht so, dass sie das noch nie erlebt hätten. Aber nach den trockenen Sommern der vergangenen Jahre habe es sie doch »überrascht«, berichtet der Bauernpräsident. Die Regenschauer führten zu Unterbrechungen der Ernte – und sie führten zu Einbußen.

»Insgesamt ist es kein befriedigendes Ergebnis.« Weizen etwa fuhren die Bauern dieses Jahr nur 5,7 Tonnen je Hektar ein. Vergangenes Jahr waren es noch 6,1 Tonnen. Ein ähnliches Bild beim Roggen: Hier waren knapp 5 Tonnen je Hektar vor zehn Jahren noch der Landesdurchschnitt, während die 4 Tonnen seit dem Jahr 2018 nur noch mühsam erreicht werden. Im laufenden Jahr bestätige sich dieser Trend mit etwas über 4 Tonnen je Hektar. Ein Gutes hatte der Regen ab Juli aber doch: Der Raps, der jetzt noch überall auf den Feldern steht, konnte sich dadurch ausgezeichnet entwickeln.

Zu der mäßigen Ernte komme, so heißt es, dass die Lager der Händler wegen der guten Ernte des vergangenen Jahres noch gut gefüllt seien. Daher sinken die Preise für die diesjährige Ernte. Die Bauern müssen ihre Erzeugnisse ja irgendwie schnell loswerden, wenn sie nicht selbst über umfangreiche Lagerkapazitäten verfügen.

Angesichts der hohen Energiepreise, unter denen auch die Landwirte leiden, schätzt Wendorff ein: »Wir fahren die kostenintensivste Ernte aller Zeiten ein.« Wenn aber die schnell steigenden Lebensmittelpreise nach Auskunft der Statistiker wesentlich die Inflation antreiben, so seien die von der Lebensmittelindustrie zu zahlenden Rohstoffpreise nicht die Ursache, beteuert Wendorff. Denn der aktuelle Preis für Getreide bewege sich auf dem Niveau des Jahres 2020 – und da habe es noch keine Inflation gegeben. Will heißen: Die Bauern sind es nicht, die an den höheren Lebensmittelpreisen verdienen.

Agrarminister Axel Vogel (Grüne) sieht die Probleme der Landwirte. Entscheidend seien am Ende ja nicht die Hektarerträge, sondern das Betriebsergebnis, erläutert er. Da konnten die Bauern im vergangenen Jahr bei einer guten Ernte einen erfreulichen Überschuss von 75 Euro je Hektar erzielen. Doch es zeige sich: Nach mehreren Dürrejahren genüge ein einziges gutes Jahr nicht, die Landwirte aus der Krise zu bringen. Wörtlich sagt Vogel: »Seit 2015 haben die Agrarbetriebe meist draufgezahlt. Das sehr gute Wirtschaftsjahr 2021/2022 kann nicht als dauerhafte Trendwende gewertet werden.«

»Der Minister beschreibt die Probleme der Landwirtschaft zutreffend«, findet der Landtagsabgeordnete Thomas Domres (Linke). »Umso unverständlicher sind die Kürzungen der Agrarförderung auf Bundesebene und die mangelnde Unterstützung der Landwirtschaft auf Landesebene. Statt mehr Mittel in die Agrarforschung, für Maßnahmen zur Klimaanpassung, für mehr Tierwohl und Tierschutz, für Agrarumweltmaßnahmen und für Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt zu investieren, wird gekürzt und gestrichen.« Nach Ansicht von Domres braucht die Landwirtschaft dringend verlässliche und planbare Rahmenbedingungen.

Viele Agrarbetriebe haben nicht umsonst ein zweites Standbein. So baut der Spargelhof in Kremmen, auf dem Bauernpräsident Wendorff und Agrarminister Vogel am Donnerstag die Erntebilanz präsentieren, nicht nur Spargel und Heidelbeeren, Weizen und Kartoffeln an, er verfügt auch über einen Hofladen und am Groß-Ziethener Weg 2 über eine gemütliche Gastronomie. »Wir sind saisonal sehr gut besucht«, sagt der Chef Malte-Sören Voigts.

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