Pomp im Park

Monumental sieht das Bismarck-Denkmal am Hamburger Hafen nach der Renovierung aus. Das sorgt für Kritik

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 8 Min.

Auch wenn der Hamburger Sommer weitgehend ins Wasser gefallen ist, waren die Ferien nun einmal geplant. Also strömen Touristen bei Wind und Wetter vom Hafen zur Reeperbahn oder umgekehrt. Unterwegs sehen sie den grauen Schädel, der sich über den Baumwipfeln des Alten Elbparks in den Himmel erhebt, und viele biegen dorthin ab. Oder sie haben bereits in ihren Reiseführern und Apps von der Attraktion gelesen. Pünktlich zum 125. Todestag am 30. Juli ist der Bauzaun abgebaut worden, damit das frisch sanierte »weltweit« größte Denkmal Otto von Bismarcks (1815–1898) wieder aus der Nähe betrachtet werden kann. Sofern bei einem 34,3 Meter hohen Monument von Nähe überhaupt die Rede sein kann. Wirklich nah kommt man nur den 100 Granitblöcken, auf denen die 14,8 Meter große Statue steht. Das Attribut »weltweit« hat die offizielle Website der Hansestadt erfunden. Dabei ist wohl das Bedürfnis für eine Verehrung des »Eisernen Kanzlers« jenseits der Grenzen Deutschlands nur sehr begrenzt vorhanden.

Das Standbild wurde 1906 eingeweiht und steht seit 1960 unter Denkmalschutz. Bismarck erscheint als Roland. Der Ritter mit dem Richtschwert symbolisierte im Mittelalter die Rechte der Stadt. Seinen Lebensabend verbrachte Bismarck 30 Kilometer östlich der Statue auf seinem Schloss im Sachsenwald, der ihm von Kaiser Wilhelm II. als Dank für die Reichsgründung 1871 geschenkt worden war. Drei Kriege führte Bismarck als preußischer Ministerpräsident dafür herbei. Unverzüglich machten sich Kolonialkaufleute der Hansestadt nach seinem Tod daran, Geld für das Denkmal zu sammeln. Zwei Jahre nach der Fertigstellung wurden Bismarck zu Füßen im Podest acht unbekleidete Muskelmänner angebracht, die die germanischen Stämme darstellen sollen.

Im Innern des steinernen Sockels richteten die Nazis ab November 1939 einen Luftschutzraum für 950 Personen ein. Der Verein Hamburger Unterwelten, der die Geschichte der Bunker in der Hansestadt dokumentiert, bemerkt zu diesem ungewöhnlichen Schutzraum, dass die Wandbilder »in keinem Zusammenhang mit den sonst üblichen Bunkerausmalungen stehen«. Sie sind symbolträchtig. Hakenkreuze, der Reichsadler und ein Kreis aus Sig-Runen sowie die schwarze Sonne sind dort zu sehen; dazu Bismarck-Zitate wie dieses: »Wir sind nicht auf dieser Welt, um glücklich zu sein und zu genießen, sondern um unsere Schuldigkeit zu tun.« Der Kunsthistoriker Jörg Schilling vermutet, dass möglicherweise eine symbolische Gruft Bismarcks eingerichtet werden sollte, um ihn politisch zu instrumentalisieren.

Von alledem erfahren die Touristen nichts, wenn sie das Denkmal umrunden. Denn bei den knapp zehn Millionen Euro, die seit 2020 für die Instandsetzung des Monuments ausgegeben wurden, war offenbar kein Cent für eine der blauen Tafeln übrig, mit denen denkmalgeschützte Häuser in der Stadt versehen sind und die historische Erklärungen liefern.

Als im Juni 2020 die Black-Lives-Matter-Bewegung gegen die Sanierung demonstrierte, weil Bismarck auch ein Wegbereiter des deutschen Kolonialismus war, erklärte der zuständige Kultursenator Carsten Brosda (SPD) auf »Twitter«: »Die Bismarck-Statue kann nicht einfach unkommentiert im Stadtbild stehen.« Das tut sie jetzt allerdings, ganz so, wie es die Fraktion der Linken in der Bürgerschaft, dem Hamburger Stadtparlament, im Dezember 2020 prophezeit hatte, als sie den Stopp der Sanierung forderte: »Das äußere Erscheinungsbild wird sich jetzt nicht ändern: Der Dreck und die Graffiti sind ab, der Popanz steht geleckt, als sei ihm dort gerade erst ein Denkmal gesetzt worden«, hieß es seinerzeit.

Der Schmutz ist jetzt ab, aber besprüht wurde der Granit schon wieder. Und am Geld liegt es auch nicht, dass Bismarck in Hamburg so erscheint, als sei eine neuerliche Bewunderung für ihn ausgebrochen. Immerhin 32 000 Euro wurden für dafür ausgegeben, die NS-Wandmalereien im Bunker herzurichten, die bislang niemand zu sehen bekommt. Dabei gibt es im Sanierungsplan die Absicht, im Sockel des Denkmals einen Ausstellungsraum für Besucher zugänglich zu machen. Bislang bleibt es aber bei wagen Ankündigungen des Kultursenators.

Dabei hatte die Kulturbehörde schon vor neun Jahren dazu aufgerufen, die Hansestadt zu dekolonisieren. Es dauerte dann aber bis 2019, als sie für das Vorhaben einen Beirat einsetzte, der die wohlmeinende Absicht mit einem »Eckpunktepapier« konkretisieren sollte. »Die Pandemie«, verlautet das Amt, habe dann dazu geführt, dass erst ab Juli 2022 »Projekte aus der Zivilgesellschaft« ausgewählt wurden, um sich mit dem Kolonialismus zu beschäftigen. Diese werden mit 150 000 Euro gefördert. Worum es sich im Einzelnen handelt, verrät die Behörde nicht. Sie nennt nur die Namen der Antragsteller. Für die breite Öffentlichkeit liegt der Fokus des Erinnerns an die unrühmliche Kaiserzeit vor allem beim Reichskanzler Bismarck in Form der Statue im Alten Elbpark.

Als die Sanierung schon fast abgeschlossen war, wurde ein immer wieder hinausgeschobener Wettbewerb ausgelobt, der Ideen zur »Kontextualisierung« des Denkmals unter dem Motto »Bismarck neu denken« hervorbringen sollte. Anfang Juli kam dann eine 13-köpfige Jury zu dem Schluss, dass keiner der 78 eingereichten Entwürfe der »Aufgabe in ihrer Komplexität und mit all ihren Facetten« genügt: Vorschläge, Bismarck als Fischer im gelben Friesennerz auszustatten oder als Darth Vader mit rotem Lichtschwert zu versehen, ihn mit Indianerfeder oder vergoldetem Afrolook auf dem Kopf zu verzieren, fanden keinen Anklang. Auch das Denkmal komplett einzurüsten oder als Kletterfelsen zu benutzen, überzeugte die Jury nicht. 209 342,21 Euro kostete der Wettbewerb, der nach jahrelangen Vorarbeiten krachend gescheitert war. »Unser steinerner Bismarck überm Hamburger Hafen bleibt, wie er ist!«, frohlockte die »Bild«-Zeitung.

Jürgen Zimmerer von der Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe, gehörte selbst der Jury an. Er macht den Denkmalschutz dafür verantwortlich, dass keine Umgestaltung möglich sei. Es sei eine »unmögliche Aufgabe« gestellt worden, resümiert er. »Es waren die Regeln des Wettbewerbs, die ihn zum Scheitern brachten.« Der Kunsthistoriker Jörg Schilling dagegen bemängelt die seit langem fehlende Kontextualisierung des Hamburger Bismarck-Denkmals, das habe der jüngst gescheiterte Wettbewerb noch mal deutlich vor Augen geführt. »Eine künstlerische Intervention alleine kann der Sache nicht gerecht werden. Dazu ist das Thema zu komplex«, meint er. Zu einfach erscheint ihm dabei die Kritik am Denkmalschutzamt, es hätte durch Auflagen weitergehende Interventionen verhindert und damit den Wettbewerb zum Scheitern verurteilt. Auch eine Negierung Bismarcks, wie sie in einigen Entwürfen vorgeschlagen wurde, findet bei Schilling keinen Anklang. Das würde eine differenzierte Kontextualisierung des Reichskanzlers erst recht verhindern, meint er.

Der Entwurf »Zutexten«, den Hannimari Jokinen eingereicht hat, wäre nicht mit dem Denkmalschutz kollidiert. Die Künstlerin und Kuratorin wollte die Statue mit Gedichtfragmenten überziehen, die von Nachkommen der Menschen stammen sollten, die in der Bismarck-Zeit Opfer der Kolonialmacht wurden oder Widerstand leisteten. Seit 20 Jahren befasst sich die Künstlerin bereits mit der Kolonialgeschichte. Die gebürtige Finnin sieht sich als »Stadtraumforscherin« und veranstaltet »postkoloniale Rundgänge«. Es gibt kaum eine Spur der einschlägigen Vergangenheit, die sie nicht gesammelt und kommentiert hat.

Bereits 2004 holte sie eine vergessene Kontroverse ins Licht der Öffentlichkeit. Demonstrierende hatten 1968 auf dem Universitätsgelände eine Bronzestatue gestürzt, die den Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Hermann von Wissmann, gemeinsam mit einem afrikanischen Soldaten zeigt, der ehrfürchtig zu seinem »weißen Herrn« empor schaut. Jokinen stellte die ramponierte Skulptur am Hafentor aus und ließ darüber im Internet debattieren. Ihr Credo ist: »Kunst hat die Macht, komplexe Geschichte anders zugänglich zu machen.« Obwohl damals die meisten Hamburger befanden, das Wissmann-Denkmal nicht wieder im Keller verschwinden zu lassen, geschah genau das.

Unweit von Bismarcks Grabstätte in Friedrichsruh, einem Ortsteil von Aumühle nur wenige Kilometer vor den Toren Hamburgs, wird noch immer dem »heroischen Widerstand der deutschen Schutztruppen in Ostafrika« durch ein Ehrenmal gehuldigt, das einen deutschen Soldaten, einen Askari-Hilfssoldaten und einen afrikanischen Träger zeigt. Bismarck betrieb zwar keine aktive staatliche Kolonialpolitik, aber er unterstützte die Kaufleute, die Afrika ausbeuteten – voran hanseatische Handelshäuser wie Woermann und O’Swald. Nach Letzterem sind eine Straße und ein Hafenkai benannt. Woermannsweg und Woermannsstieg sollen bald Geschichte sein. Aber einen Steinwurf vom Hamburger Rathaus entfernt begrüßt wie zur Einweihung 1901 am »Afrikahaus« ein Schwarzer Krieger die Angestellten und Besucher der Firma Woermann. Im Innenhof verweisen zwei Elefanten auf die Weltgegend, in der die Reederei Profite machte.

Während der Bismarck-Granitkoloss inzwischen wieder hell erstrahlt, hat der Streit um die Erinnerung an den Reichskanzler scheinbar alle anderen Baustellen der Dekolonialisierung in den Hintergrund gedrängt. Alles bleibt, wie es war. Auch beim »kleinen Bismarck«. In seinem Todesjahr 1898 widmete die damals selbständige Stadt Altona dem Fürsten eine lebensgroße Bronze mit Pickelhaube und Säbel. Sie wurde von Unbekannten wiederholt mit roter Farbe begossen. Hier gibt es eine Erläuterungstafel, aus der man vor allem erfährt, dass Bismarck ein »begeisterter Schachspieler« und »in Altona sehr beliebt war«.

2020 wurden vier Historiker und Experten, darunter Hannimari Jokinen, vom Senat beauftragt, Texte für die Tafeln am Altonaer Denkmal zu verfassen. »Wir erfuhren aus der Presse, dass die Vertreterin der CDU im Kulturausschuss die kolonialkritischen Stellen in unseren Texten abschwächen oder ganz streichen ließ, während sie Passagen einbaute, die Kolonialmythen reproduzieren«, erzählt Jokinen. Der geänderte Text wurde abgesegnet. Angebracht ist er bis dato aber nicht. Auch ein Besuch im Alten Elbpark erzeugt noch kein »Störgefühl«, das der Kultursenator sich vom Ideenwettbewerb erhoffte.

Bismarck jedoch ohne jeglichen Kommentar stehenzulassen, bereitet den Boden für das, was sich die AfD erträumt. Die will nämlich »eine 1-Euro-Münze mit dem Bild des großen Kanzlers« versehen.

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