Genderdebatte im Schlager: Diskurslos durch die Nacht

Musikwissenschaftlerin Marina Forell über die Gemeinsamkeiten von Beyoncé und Helene Fischer – und warum es im Schlager nur das Kollektiv und keine Individuen gibt

  • Interview: Luca Glenzer und Claudia Helmert
  • Lesedauer: 6 Min.
Kann sich noch jemand an Wolfgang Petry erinnern? Hölle, Hölle, Hölle. Aber wenigstens kam er nicht von irgendwoher auf die Bühne geschwebt.
Kann sich noch jemand an Wolfgang Petry erinnern? Hölle, Hölle, Hölle. Aber wenigstens kam er nicht von irgendwoher auf die Bühne geschwebt.

Sie haben Ihre Promotion über Geschlechterverhältnisse im deutschen Schlager geschrieben. Was hat Sie anfangs gereizt, sich diesem Forschungsgegenstand zu nähern?

Ich fand den Themenkomplex interessant, da Geschlechterverhältnisse politisch ja immer sehr aufgeladen sind, aber im Bereich der Musik zumeist nur am Beispiel der Popmusik und in Bezug auf den angloamerikanischen Raum beleuchtet werden. Deshalb dachte ich mir irgendwann: Warum sollte ich nicht mal probieren, ähnliche Fragestellungen auf den deutschen Schlager zu übertragen und zu fragen: Was machen diese Akteur*innen eigentlich mit unserer Gesellschaft? Wie haben sie sich über die Zeit verändert? Wie wirken sie in die Gesellschaft hinein? Was mich dahingehend anfangs so gereizt hat, war, dass ich eine große Veränderung innerhalb des deutschen Schlagers der letzten 10 bis 20 Jahre wahrgenommen habe.

Welche Veränderungen meinen Sie genau?

Ich meine damit die Veränderung vom klassischen Musikantenstadl mit Vertreter*innen wie Marianne und Michael und anderen hin zu »cooleren«, moderneren Acts. Als außenstehende Person, die privat keinen Schlager hört, habe ich mich gefragt: Wie passen diese Veränderungen in den Schlagerkontext? Oder sind es zwei verschiedene Welten? Wieso wird das so positiv aufgenommen? Gerade Helene Fischer ist mit diesem neuen, frischen Image ja ein absolutes Massenphänomen geworden.

Interview
Marina ForellFoto: Uni Leipzig

Marina Forell ist Musikwissenschaftlerin an der Universität Leipzig und Herausgeberin des Buches »Das verdächtig Populäre in der Musik. Warum wir mögen, wofür wir uns schämen«. Ihre Promotion trägt den Titel »Atemlos zum Erfolg. Gender, Frauenbild und Entwicklungs­tendenzen im deutschen Schlager«.

Ist dieses neue Image auch Ausdruck symbolischer Kämpfe, die innerhalb des Schlagerkosmos ausgetragen werden? Gesamtgesellschaftlich lässt sich ja schon seit geraumer Zeit erkennen, wie umkämpft die Themen geschlechtliche Vielfalt und Sexismus zuweilen sind.

Im Schlager lassen sich diese Kämpfe – wenn überhaupt – nur indirekt erkennen. Anders als in anderen Genres gibt es innerhalb der Schlagerwelt keine nennenswerten Diskurse in Bezug auf ungleiche Geschlechterverhältnisse. Was aber zum Beispiel bemerkenswert ist: Es gibt und es gab schon immer eine queere Fanszene innerhalb der deutschen Schlager-Community. Die habe ich allerdings nicht erforscht, fand es aber dennoch bemerkenswert, dass gerade diese Gruppe sich oftmals so vom Schlager angesprochen fühlt.

Wie erklären Sie sich, dass Geschlechterverhältnisse im Schlager nicht so umkämpft sind wie beispielsweise im klassischen Pop-Bereich?

Das liegt an den jeweils sehr unterschiedlichen Zielgruppen. Die Zielgruppe des deutschen Schlagers hat im Gros einfach ganz andere Bedürfnisse und auch Wertevorstellungen als die, die man etwa im Pop- und Rockbereich beobachten kann, wo es oft um Themen wie Empowerment und individuelle Entfaltung geht. Der Schlager richtet sich dagegen eher an ein Kollektiv und hat dadurch in der Tendenz oftmals eine Sprachrohrfunktion, sodass die Hörer*innen das Gefühl vermittelt bekommen, dass die Interpret*innen ihre Gefühle und Emotionen wiedergeben.

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Neben den bereits erwähnten Modernisierungsprozessen im deutschen Schlager gibt es auch den sogenannten Ballermann-Schlager, der davon gänzlich unberührt scheint und stark misogyne Tendenzen aufweist. Was oftmals auffällt, ist eine Form der ironischen Brechung, die besagen soll: Ist eigentlich alles nicht so gemeint. Warum ist diese Form der Ironie gerade für den Schlager prägend?

Der Ballermann-Schlager ist reine Partymusik. Diese Musik hat eine bestimmte Funktion, die da lautet: unter großem Alkoholeinfluss und mit sehr vielen Menschen unterhalten zu werden. Da spielen Witze, Anzüglichkeiten oder Doppeldeutigkeiten wie »Nichts reimt sich auf Uschi« eine große Rolle, die man in dieser Form im klassischen Pop-Schlager eher nicht finden würde, der zwar als Massenphänomen in einer großen Halle funktioniert, aber auch alleine für sich – anders als der Ballermann-Schlager, der nur als Massenphänomen denkbar ist.

Welche Strömungen des Schlagers können Sie denn grundsätzlich ausmachen?

Ich unterteile da grob in Ballermann-, Pop- und klassischen Schlager. Mit klassischem Schlager meine ich zum Beispiel einen Interpreten wie Udo Jürgens. Jürgen Drews wiederum hat zwar als klassischer Schlagersänger begonnen, sich aber im Laufe der Zeit in Richtung Ballermann-Schlager entwickelt. Der Pop-Schlager wiederum hat mit Interpreten wie Guildo Horn begonnen. Man könnte auch noch den volkstümlichen Schlager ausmachen mit den bereits angesprochenen Marianne und Michael.

Ist das Mitgrölen sexistischer Schlagerlieder für Sie ein handfestes Indiz einer sexistischen Grundhaltung?

In gewisser Weise schon. Man kann sich ja auch immer dagegen entscheiden, etwas mitzugrölen oder an etwas teilzunehmen. Daher sehe ich das schon als Form der Zustimmung. Inwiefern man ab einem gewissen Alkoholpegel noch zustimmungs- und zurechnungsfähig ist, ist natürlich eine Frage, die sich noch mal separat diskutieren ließe. Gleichzeitig spielt natürlich auch der Gruppenfaktor und damit einhergehender sozialer Druck eine Rolle, wodurch ich mir zumindest zum Teil erkläre, warum auch Frauen handfest sexistische Texte mitgrölen – weil sie eben oftmals leider den anwesenden Männern gefallen wollen und Angst haben, andernfalls als Zicke oder als »schwierig« und »kompliziert« zu gelten.

Was war für Sie die größte Überraschung, auf die Sie im Laufe des Forschungsprozesses gestoßen sind?

In Bezug auf den Pop-Schlager war die größte Überraschung für mich die soziale Funktion der Musik. Damit meine ich ganz besonders die bereits angerissene Sprachrohrfunktion, die Ausdruck dessen ist, dass es weniger um das Ich und viel mehr um das Kollektiv geht. Und was mich ebenfalls überrascht hat, war, dass Helene Fischer und Beyoncé doch überraschend viele Gemeinsamkeiten haben.

Und zwar?

Gemeinsamkeiten performativer Art. Sowohl was beispielsweise Kostüme angeht, die bei Helene Fischer ganz klar an Beyoncé angelehnt sind, als auch die Inszenierungen, das Fliegen durch die Halle und der damit einhergehende Halbgöttinnenstatus. Den beansprucht Beyoncé im Bereich der internationalen Popmusik für sich und genauso Helene Fischer in Bezug auf den deutschen Schlager. Was Fischer dabei von Beyoncé unterscheidet, ist: Ihr fehlt komplett die politische Dimension, die bei Beyoncé ja durchaus vorhanden ist.

Würden Sie den Eindruck teilen, dass der Schlager trotz der angesprochenen Modernisierungsprozesse gesamtgesellschaftlich immer noch ein regressives Image hat?

Ja, teilweise. Zwar ist Schlager deutlich populärer geworden und spricht inzwischen auch Schichten mit hoher Bildung an – anders als früher. Allerdings geht mit dem Hören von Schlagermusik immer noch ein gewisser Rechtfertigungsdruck einher. In der Regel ist es unter Akademiker*innen sehr schwierig zu sagen, dass man Fan von Andrea Berg ist. Denn da spielen auch Aspekte von Selbstbild, Distinktion und Inszenierung innerhalb des jeweiligen Milieus eine wichtige Rolle. Im Zweifel stellt man sich dann doch lieber den Adorno-Sammelband ins Regal.

Wie hat sich Ihr Blick auf den deutschen Schlager im Laufe des Forschungsprozesses verändert?

Bei mir hat sich im Laufe des Forschungsprozesses der sogenannte Mere-Exposure-Effekt eingeschlichen. Das heißt: Je mehr man sich mit etwas auseinandersetzt, desto besser findet man es. Das hatte ich tatsächlich beim deutschen Schlager auch, sodass ich die Lieder dann irgendwann sogar ganz gut fand.

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